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Gerd Müller: "Ein schöneres Leben gibt es nicht"

Zum Tod von Gerd Müller

"Ein schöneres Leben gibt es nicht"

Ein Leben in Zufriedenheit und Bescheidenheit: Gerd Müller.

Ein Leben in Zufriedenheit und Bescheidenheit: Gerd Müller. imago images/MIS

Die Frage sickerte eher schüchtern durch das Telefon. Ob es denn möglichst früh gehe? Zaghaft äußerte Gerd Müller seinen Vorschlag. Gut 150 Kilometer Anfahrt seien es doch mit dem Auto, dazu am Montag mit den vielen Pendlern im Morgenverkehr, trotzdem 7.30 Uhr? Das Fragezeichen folgte unüberhörbar durch die Fernleitung. Die Äußerung des gewünschten Termins klang wie eine Entschuldigung. Dabei verhielt es sich doch eigentlich umgekehrt. Für ein Treffen und Interview mit diesem Mann wäre keine Stunde zu früh oder zu spät, kein Weg zu weit. Eine Ehre war für das Gegenüber ein Gespräch mit dem größten Torjäger aller Zeiten, mit dem Idol der eigenen Kindheit, mit einem Mann, der ein Weltstar war, ohne es nur im Ansatz jemals sein zu wollen.

Seine Welt war vollkommen in Ordnung

Da saßen wir also. Die Klubzentrale des FC Bayern glänzte noch nicht so wie heute, im Untergeschoss befand sich ein wenig wirtlicher Funktionsraum mit Schränken, Gerätschaften, Bällen. In diesem Durcheinander saß irgendwo in der Ecke Gerd Müller, damals der Co-Trainer bei den Amateuren. Es gab kein Klagen von ihm, seine Welt war vollkommen in Ordnung. Er hatte alles, was er brauchte. Als wir uns später wieder trafen, anlässlich seines 50. und 60. Geburtstages, um über sein und das Leben überhaupt zu sprechen, hatte sich an dieser inneren Ausgeglichenheit nichts geändert.

Was ich halt so brauche, aber ich brauche sowieso wenig.

Gerd Müller

Er war bevorzugt zwischen dem heimischen Herd und der Klub-Kabine unterwegs, unauffällig, am liebsten im Trainingsanzug. Dieser Mensch war absolut mit sich im Reinen. Wenn er, der größte Torjäger aller Zeiten, vor 16 Jahren anlässlich seines 60. Geburtstages davon sprach, dass für ihn drei Jahrzehnte nach seiner fantastischen Karriere zehn Millionen Euro Jahresverdienst möglich gewesen wären, war diese Anmerkung für ihn nicht mehr als eine Randnotiz. Geld bestimmte sein Leben längst nicht mehr, er begriff es als Mittel zum Lebensunterhalt: "Was ich halt so brauche, aber ich brauche sowieso wenig." Als Schulkind hatte er samstags um 5 Uhr mit dem Rad Brötchen ausgefahren, später als Schichtarbeiter musste er genauso zeitig raus. So wird man zum Frühaufsteher und lernt die kleinen Dinge des Lebens schätzen.

Ohne Allüren in die Grabsteinliga

So definierte sich Gerd Müller auch später über das tägliche kleine Glück. "Ich fühle mich wie 50", sagte er im Oktober 2005 und freute sich über sein Laufvermögen beim geliebten Tennis. Jeden Tag spielte er in jener Zeit eine Stunde lang. Selbst wenn beide Hüften künstlich waren und gelegentlich schmerzten, wollte er, dass es so bleiben möge. "Ein schöneres Leben gibt es nicht", sagte Gerd Müller. "Es geht so weiter, wie es bisher war. Und es ist in Ordnung so." Zehn Jahre zuvor hatte er noch Fußball gespielt und sich seinen letzten sportlichen Lebenstraum erfüllt. In der sogenannten Grabsteinliga hatte er mit seiner Mannschaft das Endspiel gegen Pasing gewonnen, wie er erzählte. Grabsteinliga? "Ja, da darf nur mitspielen, wer im laufenden Jahr 50 wird", erklärte Müller. Kontakt zu jener Mannschaft pflegte er weiterhin. Er war eben ein Mensch wie du und ich, ohne jegliche Allüren.

Aus allen Lagen und Winkeln, mit allen Körperteilen

Anwandlungen übermannten ihn allenfalls auf dem Fußballplatz, der Ehrgeiz des Torjägers. Trainingsspiele zogen sich so lange in die Länge, bis Müllers Team gewonnen hatte. Sonst wurde er ungenießbar. "Und wehe", so sagte er im Rückblick, "die anderen haben den Ball nicht abgespielt", zu ihm. Sie taten es gerne, weil sie wussten, dass er das Zuspiel veredeln würde. Gerd Müller erzielte seine Tore aus allen Lagen, Ecken und Winkeln, mit allen seinen Körperteilen. Seine Treffer erschienen so einfach und waren doch so spektakulär.

Gerd Müller wird weiterleben

Ein Jahrzehnt nach seinem letzten Auftritt in jener Grabsteinliga - was für eine makabre Bezeichnung! - haben wir auch über den Tod gesprochen. "Nein", antwortete er auf die Frage, ob er Angst davor habe. "Ich denke gar nicht daran." 70 Jahre wolle er schon werden, sagte er damals. Er wurde 75. Nach einem langen Leiden starb Gerd Müller nun. Aber er wird weiterleben. Die Generation, die mit ihm groß wurde und seine Tore live erleben durfte, wird sich immer mit Bewunderung vor ihm verneigen, die Nachgeborenen sollten jede Gelegenheit nutzen, Bewegtbilder von diesem außergewöhnlichen Torjäger zu sehen.

Gerd Müller gibt als Fußballspieler ein Vorbild mit seinen Toren; und als Mensch für ein Leben in Zufriedenheit und Bescheidenheit. Oft werden Fußballer als Legende bezeichnet, Gerd Müller ist eine.

Karlheinz Wild

Unzählige Titel und Tore: Die Karriere von Gerd Müller