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Duisburg-Ikone Dietz: "Unser Keller ist ein Fußball-Museum"

495-facher Bundesligaspieler im kicker-Interview

Duisburg-Legende Dietz: "An Königin Fabiola bin ich einfach vorbeimarschiert"

Bernard Dietz absolvierte 495 Spiele in der Bundesliga.

Bernard Dietz absolvierte 495 Spiele in der Bundesliga. imago images/Fotostand

Erst mit 22 wurde Bernard Dietz Profi, erlebte anschließend mit dem MSV Duisburg und dem FC Schalke 04 in 495 Bundesliga-Partien vorwiegend den Abstiegskampf. 34 Mal spielte er für die Königsblauen zudem in der 2. Liga. Beim MSV ist "Ennatz" eine Legende, das Maskottchen der Zebras ist nach ihm benannt. Stolz ist Dietz auch auf 53 Einsätze in der deutschen Nationalelf, mit der er als Kapitän 1980 die Europameisterschaft in Italien gewann. An diesem Mittwoch wird der frühere Verteidiger 75 Jahre alt.

kicker: Wie viele Gäste erwarten Sie denn zur Feier Ihres Geburtstags, Herr Dietz?

Bernard Dietz: Meinen 70. habe ich noch groß gefeiert, aber diesmal wird es eher eine kleine und gemütliche Runde im engeren Familienkreis. Außerdem stecke ich auch in der Zwickmühle. Am Abend steigt die Jahreshauptversammlung beim MSV Duisburg. Keine leichte Entscheidung …

Schmied, Kämpfer, Europameister: Bernard Dietz wird 75

Sie spielten von 1970 bis 1982 beim MSV, den Zebras sind Sie immer noch eng verbunden.

Na klar, in Duisburg habe ich die Chance bekommen, mich in der Bundesliga zu zeigen, und habe mit dem MSV tatsächlich alles erlebt. Nach dem Abstieg habe ich auch noch fünf Jahre auf Schalke gespielt, aber natürlich ist und bleibt der MSV meine große Liebe, auch wenn ich seit vier Jahren nicht mehr dem Vorstand angehöre. Aber meine Frau und ich haben eine Dauerkarte auf Lebenszeit, und bei jedem Heimspiel sind wir natürlich dabei.

Was macht denn die eigene Fitness?

Vor viereinhalb Jahren hatte ich einen Herzinfarkt, aber mittlerweile ist längst alles wieder in Ordnung, mit ein paar Tabletten habe ich das ganz gut im Griff. Etwas schlimmer sind die Knieprobleme, natürlich auch Spätschäden der Profikarriere. Erst hat mir der Arzt jedes halbe Jahr eine Spritze gegeben, dann war Ruhe. Aber im Mai habe ich mich dann tatsächlich zur Operation durchgerungen. Ich hatte ein bisschen Schiss, aber es ist alles gut verlaufen. Vor dem Eingriff hat der Arzt nur gestaunt: Da ist ja wirklich alles kaputt, hat er gesagt.

Wie klappt es mit dem neuen Knie?

Das ist halt Gewöhnungssache. Links habe ich jetzt ein neues Gelenk, mal sehen, wie lang das rechte Knie hält. 16 Jahre in der Bundesliga und ein Jahr 2. Liga fordern natürlich ihren Tribut. Schließlich war ich ja kein Filigrantechniker und habe immer von der Kraft gelebt, hatte auch ein paarmal eine Gehirnerschütterung. Aber geistig ist alles in Ordnung. Ich weiß immer noch, wo ich wohne, und finde immer nach Hause. (lacht)

Gibt es den Kreis der alten MSV-Recken noch, der sich einmal im Monat trifft?

Den gibt es seit 30 Jahren, in wechselnder Besetzung, und ich kann Ihnen versichern, dass wir jedes Mal eine Menge Spaß haben. Dann wird natürlich über die alten Zeiten geklönt, und eigentlich haben wir früher ja deutlich häufiger verloren als gewonnen. Aber in der Rückschau werden wir immer besser, und spätestens bei der Heimfahrt denken alle, wir wären mindestens zweimal Deutscher Meister geworden.

Eigentlich kamen Sie mit 22 aus der 6. Liga als Stürmer nach Duisburg, wurden dort aber zum Verteidiger mit Vorwärtsgang umfunktioniert. Wie hat Rudi Faßnacht das denn hingekriegt?

Er war mein erster Trainer, ein richtig harter Knochen. Und für mich war der Sprung von den Amateuren zum MSV natürlich riesig. In meinem ersten Trainingslager im Schwarzwald lag ich abends im Bett, und mir taten alle Knochen weh. Ich dachte: Das packst du nie! Aber das ging vorbei, langsam wurde es besser. Irgendwann musste ich mal hinten aushelfen, weil einige Abwehrspieler fehlten. Das klappte wunderbar. Und Faßnacht: Wir haben immer gehofft, dass es möglichst viele englische Wochen gibt. Lieber spielen als ständig so gnadenlos zu trainieren. Aber sein Motto war: Spielerisch seid ihr nicht so gut - also rennt.

Helmut Schön hat das nicht in den Griff bekommen.

Bernard Dietz über den "Lagerkoller" bei der WM 1978

Aber immerhin haben Sie beim MSV so überzeugt, dass Helmut Schön Sie in die Nationalmannschaft berief. Die deutsche Auswahl gehörte zur Weltspitze. Warum verlief denn die WM 1978 so unbefriedigend?

Eigentlich hatten wir tolle Spieler, eine hohe Qualität, wie man heute sagen würde, aber eben keine Mannschaft. Wir haben dann in Argentinien auch noch auf einem komischen Militärgelände gewohnt, mindestens eine Stunde von der nächsten Stadt entfernt. Da gab es tatsächlich so eine Art Lagerkoller, und Helmut Schön hat das nicht in den Griff bekommen.

Umso größer waren die Erfolge mit seinem Nachfolger, Jupp Derwall. Wieso waren Sie denn plötzlich sogar Kapitän?

Das hätte ich selbst nicht für möglich gehalten, ich dachte, der Sepp Maier spielt und bleibt Spielführer, bis er mindestens 40 ist. Vor einer Partie gegen Holland in Düsseldorf im Dezember 1978 gab es eine Mannschaftssitzung, und ziemlich beiläufig teilte Derwall uns dann mit, er wolle mal etwas Neues probieren: Dieter Burdenski spielt im Tor. Keine große Sache - für mich aber schon. Plötzlich rückte ich zum Kapitän auf.

Stimmt es, dass Sie danach sofort Ihre Frau angerufen haben?

Stimmt genau. Pack die Mutter ein, kommt ins Stadion, morgen bin ich Kapitän, habe ich ihr gesagt. Wir gewannen mit 3:1, anschließend starteten wir eine ganz starke Serie und haben 23 Spiele hintereinander nicht verloren. Es passte menschlich unheimlich gut, Derwall passte als Kumpeltyp ideal zur Mannschaft. Und Kapitän blieb ich auch, weil Sepp Maier nach einem schweren Autounfall nicht mehr in die Nationalmannschaft zurückkehrte.

Ich war so im Tunnel, dass ich an Königin Fabiola von Belgien einfach vorbeimarschiert bin.

Bernard Dietz über die Siegerehrung bei der EM 1980

In diese Phase fiel auch der EM-Sieg 1980 in Italien mit dem 2:1-Erfolg über Belgien im Finale in Rom. Wie kam es denn, dass Sie bei der Gratulationsrunde eine wahrhaftige Königin übersehen haben?

Wirklich unglaublich, ich war so im Tunnel, dass ich an Königin Fabiola von Belgien einfach vorbeimarschiert bin. Die wollte mir gratulieren, ich hatte allerdings nur den EM-Pokal im Blick. Ziemlich peinlich im Nachhinein.

In früherer Zeit wurden ja nicht so eifrig die Trikots getauscht wie in späteren Jahren. Haben Sie noch ein paar Erinnerungen an Ihre lange Karriere im Keller?

Ich habe mindestens 100 Trikots, unter anderem das von meinem ersten Länderspiel im Dezember 1974 gegen Malta. Es fehlen aber leider die Trikots von Brasilien und Argentinien, die habe ich mal zu einer Ausstellung gegeben, und irgendwie müssen die Beine bekommen haben. Aber das ist noch nicht alles…

Gibt es noch mehr Fußball im Hause Dietz?

Unser Keller ist ein Fußball-Museum. Da gibt es Bücher vom DFB, Chroniken vom MSV, sogar noch ganz viele Videos von früher. Manchmal schaue ich die an und denke: Das ist ja wirklich Zeitlupen-Fußball, wie wir früher gespielt haben. Aber die Bedingungen waren auch ganz anders, zum Beispiel die Bälle. Gerade im Winter oder wenn es geregnet hat: Das waren bei uns die reinsten Kanonenkugeln.

Ich dachte erst, die wollten mich veräppeln.

Dietz über die ihm gewidmete Dokumentation "Ennatz - eine Zebra- Legende"

2018 ist ja auch eine Doku über Sie erschienen: "Ennatz - eine Zebra- Legende". Was dachten Sie denn, als die Filmemacher bei Ihnen vorstellig wurden?

Ich dachte erst, die wollten mich veräppeln. Aber das ist ja wirklich eine tolle Sache, eine große Ehre. Und eine schöne Reise in die Vergangenheit. Wir sind dann quer durch die Bundesrepublik gefahren, haben mit Kalle Rummenigge, Olaf Thon und Horst Hrubesch gedreht, das war natürlich ein toller Anlass, die alten Kollegen mal wieder zu sehen.

495 Partien in der höchsten deutschen Spielklasse haben Sie absolviert, nur elf Spieler kamen in 60 Jahren Bundesliga häufiger zum Einsatz. Sind Sie aktuell im Spitzenfußball noch voll im Bilde?

Ich gebe zu, ich schaue eine ganze Menge, auf allen möglichen Kanälen. Champions League, dann die Bundesliga, 2. Liga, dann muss ich umschalten und 3. Liga sehen, da kommt schon eine Menge zusammen.

Hängt da nicht mal der Haussegen schief?

Meine Frau hat unheimlich viel Verständnis, sie ist ja auch selbst sehr vom Sport geprägt. Sie war die Tochter des Vereinswirtes beim MSV Duisburg. Ich dachte: Prima, dann ist immer genug zu essen und zu trinken da. Mittlerweile sind wir seit 52 Jahren verheiratet.

Dieses Interview erschien erstmals in der kicker-Montagsausgabe (hier auch als eMagazine)

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