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Dubiose Machenschaften in Belarus: Im Marriott klicken die Handschellen

Belarus: Deutscher Sportdirektor in Haft

Dubiose Machenschaften in Belarus: Im Marriott klicken die Handschellen

Ihnen wurde die Meisterschaft 2022 wieder aberkannt: Mannschaftsfoto Schachzjor Salihorsk.

Ihnen wurde die Meisterschaft 2022 wieder aberkannt: Mannschaftsfoto Schachzjor Salihorsk. IMAGO/Anca Tepei

Die einen sprechen von einem Skandal, die anderen von einer politisch motivierten Zerschlagung des erfolgreichsten Klubs der jüngeren Vergangenheit.

Seit Januar ist nichts mehr so, wie es einmal war bei Schachzjor Salihorsk. Das Erdbeben beim belarussischen Meister der Jahre 2020, 2021 und 2022 begann mit der Festnahme des deutschen Sportdirektors Vladimir Niederhaus im Januar. Im September 2021 hatte Salihorsk Niederhaus unter Vertrag genommen. Der 55-Jährige ist in Kasachstan geboren, besitzt aber auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Niederhaus war Direktor bei diversen Klubs im Ostblock wie Loko Astana, Rotor Volgograd, Shakhter Karagandy, Tobol Kostanay, beim kasachischen Fußballverband und spielte zuvor als Profi für Kairat Almaty, Volgograd, später Maccabi Haifa und ganz am Ende seiner Karriere für Preußen Münster, den Bremer SV und den SC Weyhe in Deutschland.

Niederhaus sitzt in Valadarka ein

Als Nationalspieler lief er ein einziges Mal, anno 1994, für die russische Föderation auf, vier Einsätze sind für Kasachstan verzeichnet. Heute sitzt der einstige Schachzjor-Sportdirektor im Minsker Untersuchungsgefängnis Valadarka. Vorgeworfen werden ihm Spielmanipulationen zugunsten des Titelgewinns seines Klubs.

Welche Medaillen hat Dinamo Minsk bekommen? Aus Holz? Die kann ich Ihnen auch so malen.

Belarus' Präsident Alexander Lukaschenko

Das soll er zum einen mit Vertragsangeboten an den Stürmer eines anderen Klubs getan haben, um dessen Leistung in bestimmten Matches zu beeinflussen, zum anderen mit Geldversprechen. So ist es jedenfalls in Medien nachzulesen - von denen einige offenbar als regimekritisch angesehen werden, andere wiederum wie "Belarus today" als staatlich kontrolliert gelten. Belarus hängt am Tropf des großen Nachbarn Russland und gilt als Diktatur. Machthaber Alexander Lukaschenko ließ 2020 demokratische Proteste wiederholt blutig niederschlagen.

Schachzjor wurde Meisterschaft entzogen

Die Vorwürfe gegen Niederhaus und einen anderen Schachzjor-Manager jedenfalls hatten rasch sportpolitische Folgen. Kürzlich entzog die zuständige Kammer des weißrussischen Verbandes Schachzjor den Meistertitel für 2022 und zog dem Klub 30 Punkte für die laufende Saison ab. Auch andere Vereine wurden mit hohen Punktabzügen bestraft.

Die beteiligten Personen sanktionierte das Verbandsgremium zu Geldstrafen in Höhe von 322.000 US-Dollar. Der Funktionär Anatoli Jurevich vom involvierten Klub Belshina wurde für fünf Jahre gesperrt, Niederhaus zur "persona non grata" in Weißrusslands Fußball erklärt.

Für den Klub Salihorsk, der 2020 die Vorherrschaft BATE Borissows im belarussischen Fußball zerstörte, sind Titel-Aberkennung und Punktabzug eine Katastrophe. BATE war zuvor 13-mal in Serie Champion geworden, 2019 holte Dinamo Brest den Titel, es folgte die dreifache Meisterschaft Salihorsks.

Der Klub aus der erst in den späten 1950er Jahren gegründeten Bergbaustadt profitierte stark von der Unterstützung des lokalen Konzerns Belaruskali, der rund 15 Prozent des Weltbedarfs an Kali-Dünger produziert. Als Niederhaus 2021 kam, schickte sich der Verein an, gerade zum zweiten Mal in Serie die Liga zu gewinnen.

Missgunst aus der Politik?

Sergei Kovalchuk

Welche Rolle spielte er? Sportminister Sergei Kovalchuk. IMAGO/ITAR-TASS

Einem ehemaligen hochrangigen Klub-Mitarbeiter zufolge begann in etwa diesem Zeitraum eine Entwicklung gegen den Verein, für die vor allem zwei Personen verantwortlich sein sollen: Yuri Vergeichik, ein ehemaliger Direktor von Salihorsk, der nach seinem Aus dort zunächst als Generalsekretär und dann als Vize-Präsident des belarussischen Verbandes firmierte - aus diesem Amt schied er im März aus. Und Sportminister Sergei Kovalchuk.

Demnach sollen unter anderem Trainingslager im Ausland verboten und eine straffe Gehaltsobergrenze von 8000 Belarus-Rubel, umgerechnet 2900 Euro, im Monat eingeführt worden sein. Entsprechend nützte die finanzielle Unterstützung von Belaruskali dem Klub kaum noch, dennoch sicherte sich Salihorsk auch die Titel 2021 und 2022. Angeblich soll Machthaber Lukaschenko darauf gedrängt haben, den regierungsnahen Klub Dinamo Minsk wieder an die Spitze der Liga zu führen.

Schwierige Informationslage

Es ist kompliziert, diese Informationen zu verifizieren oder zu falsifizieren. Doch zu dem Vorwurf politischer Einflussnahme in den Sport passt zumindest ein Video aus dem Jahr 2022. Es zeigt Lukaschenko und Kovalchuk neben anderen Staatsrepräsentanten. Lukaschenko attackiert seinen Sportminister verbal, das Niveau des nationalen Fußballs erschrecke ihn.

Wortwörtlich sagt der Machthaber auch: "Mittlerweile sind so viele Jahre vergangen und wo sind die Ergebnisse? Welche Medaillen hat Dinamo Minsk bekommen? Aus Holz? Die kann ich Ihnen auch so malen. Sie sind ja für den Verein verantwortlich, Geld habe ich Ihnen gegeben. Und Sie erzählen mir was von Sanktionen. Gerade im Sport müssen in so einem Fall Ergebnisse erreicht werden. In der Sportart, an der Sie am meisten arbeiten, haben wir die schlechtesten Ergebnisse." Ende 2022 wurde das Video ausgestrahlt.

Im Januar klickten die Handschellen

Das Marriott in Minsk.

Hier kam es zu den Verhaftungen: Das Marriott in Minsk. picture alliance / Zoonar

Im Januar 2023 dann klickten die Handschellen, offenkundig unter seltsamen Umständen. Medienberichten zufolge nämlich hatte sich Niederhaus bereits nach Kasachstan abgesetzt, um dort wieder für Tobol Kostanay zu arbeiten. Auf Bitten von Schachzjor-Verantwortlichen, wonach Niederhaus noch Unterschriften hätte leisten sollen, kehrte er kurzfristig zurück. Am Ende der avisierten Sitzung im Marriott-Hotel in Minsk hätten ihn Mitarbeiter des Sicherheitsapparates dann mitgenommen.

Inhaftiert wurde zudem ein weiterer Manager von Salihorsk, Direktor Oleksandr Marchenko. Letzterem wirft man laut einem Medienbericht vor, die 2900-Euro-Gehaltsobergrenze missachtet zu haben. In der Tat publizierte kurz vor der Eskalation in Belarus die Streitschlichtungskammer der FIFA zwei Entscheide, aus denen hervorgeht, dass Salihorsk seinen Profis vertraglich höhere Löhne zugestanden hatte.

Der Weltverband sprach den Ex-Schachzjor-Spielern Eze Vincent Okeuhie (aktuell vereinslos) und Dario Kolobaric (heute ND Gorica/Slowenien) Entschädigungen von 240.000 US-Dollar und 680.000 Euro zu. Einem Bericht zufolge wirft man Marchenko Machtmissbrauch und unerlaubte Eigengeschäfte vor. Bei Niederhaus lautet die Unterstellung: Spielabsprache.

Politisch motivierte Geschichte?

Die mit dem Klub verbundene Quelle behauptet: Eine rein politisch motivierte Geschichte, die Landesführung wolle den Klub zerschlagen, weil er zu erfolgreich gewesen sei. Die eigentlich fünfköpfige Kommission, die die Vorwürfe überprüft habe, sei nicht vollständig gewesen, zwei Mitglieder hätten in der Sitzung gefehlt.

Die Anklagepunkte seien vage, es fehlten Belege wie etwa dokumentierte Geldtransfers. Zudem bemängele der Verband nun auch 2021 eingereichte Lizenzunterlagen - dabei hatte der Klub die Startberechtigung für 2022 basierend auf ebendiesen Dokumenten anstandslos erhalten. Spieler anderer Mannschaften seien festgehalten und damit zu Aussagen gegen Niederhaus und Marchenko getrieben worden.

Der belarussische Verband reagiert nicht auf eine Anfrage dazu. Unabhängig überprüfen lassen sich die Gegenanschuldigungen ebenso wenig wie die Vorwürfe gegen Niederhaus und Marchenko.

Dubiose Vorgeschichte und Verschiebebahnhof Salihorsk

Zur Wahrheit gehört allerdings, dass Niederhaus bereits anno 2008 in Kasachstan in einen Matchfixing-Skandal verwickelt war und gesperrt wurde - wenig später arbeitete er aber plötzlich für den Verband.

Zudem verfügt Schachzjor im osteuropäischen Raum nicht unbedingt über den besten Ruf, wie Insider aus dem Baltikum bestätigen. Der Klub sei als Verschiebebahnhof für die Interessen eines Spielerberaters zweckentfremdet worden, wo Profis teils gegen ihren Willen und ohne vollständiges Salär zwischen Vereinen hin- und hertransferiert worden sind.

Letzteres wiederum passt zu einer weiteren Inhaftierung. Denn ebenfalls im Minsker Marriott festgenommen worden sein soll einer umfangreichen Recherche des Portals "Tribuna" zufolge Yevhen Kultaev, der Jüngere. Und zwar laut "Tribuna", um dessen Vater, Yevhen Kultaev senior, dazu zu bewegen, aus Lettland anzureisen und sich selbst gegen seinen Sprössling auszutauschen.

Dario Kolobaric

Erhielt von der FIFA eine Entschädigung zugesprochen: Dario Kolobaric. imago images / Pro Shots

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe gegen Niederhaus und Kultaev, das erweckt den Eindruck einer Erpressung. Kultaev senior, ein Spieleragent, soll in Kooperation mit einem weiteren bekannten Funktionär Provisionsobergrenzen umgangen und dubiose Spielertransfers getätigt haben, auch in die Kolobaric-Sache war er offenbar involviert.

Auch hier sind die Vorwürfe schwer zu verifizieren respektive zu falsifizieren, allerdings gilt "Tribuna" als unabhängiges Medium. Die Kultaev-Sache soll mit der Anklage gegen Marchenko zusammenhängen, der mittlerweile gegen Kaution auf freien Fuß ist.

Was also steckt wirklich hinter den Inhaftierungen?

Was also steckt wirklich hinter den Inhaftierungen? Für die Version eines politisch motivierten Verfahrens spricht die jüngere Vergangenheit im Verhältnis zwischen Sport und Politik in Belarus.

2020 etwa hatte Alexei Apeikin im Zuge der Proteste gegen Lukaschenko die Athletenvereinigung BSSF gegründet. Die Beteiligung von Sportlern an den blutig niedergeschlagenen Kundgebungen gegen das Regime habe Lukaschenko nervös gemacht, sagte Apeikin 2021 dem britischen Guardian, weshalb der nun den Sport verstärkt als Propagandakanal nutzen wolle.

Mittlerweile könnten Sportler, die Kritik äußern, alles verlieren, sagte auch die zweifache Olympiateilnehmerin Yelena Leuchanka, ein ehemaliger Basketball-Star. Leuchanka war im Zuge der Proteste wiederholt festgenommen worden.

2020 gab es den Vorwurf staatlicher Spielmanipulationen

Proteste in Belarus im Jahr 2020

Repressalien gegen die eigenen Bürger: 2020 wurde in Belarus friedliche Proteste niedergeschlagen. picture alliance/dpa

Schon 2020 gab es laut Oppositionellen Spielmanipulationen, die von anderer Seite, also vom Machtapparat forciert worden seien. Andrei Chepa, der ehemalige Schiedsrichterchef des belarussischen Verbandes, beklagt: "Den Schiedsrichtern wurde gesagt, dass BATE in diesem Jahr nicht den Titel holen sollte. Ein 'Fehler' des Schiedsrichters, der BATE Borissow behindern würde, wurde begrüßt."

Chepa floh wie Apeikin 2021 in die Ukraine. Apeikins Organisation hatte 2021 einen größeren Report über die politische Einflussnahme unter anderem an die UEFA geschickt.

Borissow profitiert sportlich - Stillschweigen bei der UEFA

Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, den das Lukaschenko-Regime offenkundig ideologisch und mit der Stationierung russischer Truppen im eigenen Land unterstützt, war der Ausschluss von Teams aus Belarus in der UEFA wiederholt diskutiert, aber nicht vollzogen worden.

Und so wie es aussieht, wird auch die Sache Schachzjor nicht in Nyon auf den Tisch kommen. Denn durch den Entzug der Meisterschaft 2022 - und der gleichzeitigen Disqualifikation des Vize-Meisters Energetik BGU Minsk für den europäischen Wettbewerb - dürfte der belarussische Verband nun den eigentlichen Dritten, Borissow, für die Champions-League-Qualifikation melden. 

Kommentieren jedenfalls möchte die UEFA die Vorgänge in Belarus auf Anfrage derzeit nicht.

Benni Hofmann