Int. Fußball

Thierry Henry bei Arsenal: Die Rückkehr des Königs

Vor zehn Jahren

Die Rückkehr des Königs: Als Thierry Henry sein emotionalstes Tor schoss

Jubel vor dem Stadion, Jubel darin: 2012 drehte Thierry Henry die Zeit zurück.

Jubel vor dem Stadion, Jubel darin: 2012 drehte Thierry Henry die Zeit zurück. imago images (3)

Es dauert nur einen Fußmarsch von elf Minuten, um in die gute alte Zeit zu reisen.

Im Januar 2022 scheint sich der FC Arsenal unter Mikel Arteta zwar auf einem verheißungsvollen Weg zu befinden, doch ist er wirklich schon verheißungsvoller als der zurück nach Highbury?

Wo heute eine hochmoderne Wohnanlage steht, die sich die Optik eines Stadions andächtig erhalten hat, spielten die Gunners vor einer halben Ewigkeit noch Viertel- und Halbfinals in der Champions League; gewannen sie eine goldene Meisterschaft, wie sie keinem Klopp, keinem Pep, keinem Ferguson gelang.

Henry verführte die Fans

Highbury steht heute vor allem für die Wenger-Ära, die es aber auch schon Mitte der 90er und noch bis 2018 gab. Vielmehr war es die Ära des Thierry Henry, die Arsenal Bewunderer und Fans auf der ganzen Welt bescherte. Der Franzose habe gar Blut an seinen Händen, beschwerte sich ein solcher Fan jüngst auf Twitter - weil Henry ihn einst dazu verführt hatte, Gooner zu werden. Was schon lange nicht mehr so spaßig ist, wie es einmal war.

Die Henry-Ära ist längst vorbei, das war sie auch vor zehn Jahren schon. Sie endete ziemlich genau zur gleichen Zeit wie die Highbury-Ära. An der Stelle, wo Henry King 1914 der erste "Hattrick" gelungen war, erzielte "King" Henry 2006 den letzten. Vergangenheit und Gegenwart liegen manchmal ziemlich nah beieinander.

Thierry Henry bejubelt das letzte Tor im Highbury-Stadion

Das letzte Tor im alten Stadion: Dreierpacker Henry küsst den Rasen des Highbury. imago images

Ein Jahr nachdem Arsenal ins Emirates Stadium umgezogen war, verabschiedete sich Henry gen Barcelona, wo er sich seinen Traum erfüllte, die Champions League zu gewinnen. Für die Gunners brachen tristere Zeiten an.

Sie hatten keinen weiteren Titel gewonnen und Cesc Fabregas, Samir Nasri und mit 2:8 gegen eine B-Elf von Manchester United verloren, als die stolzen Nordlondoner im Januar 2012 nach einer guten Nachricht lechzten.

Unglaublich, aber wahr: Sie sollten nicht enttäuscht werden.

Arsenal hatte sein erstes Spiel im neuen Jahr verloren und war im Begriff, mit Gervinho und Marouane Chamakh zwei Angreifer für den Afrika-Cup abstellen zu müssen, als eine vermeintliche Schnapsidee plötzlich zu einer ernsthaften Überlegung reifte.

Englands Rekordmeister: Liverpool rückt ManUnited auf die Pelle

Kein Geringerer als Henry, der mit 34 zum Karriereausklang in die MLS gewechselt war und gerade frisch aus dem Urlaub kam, sollte den Personalnotstand der Gunners beheben. Und wenn es nur für zwei Monate war. Das spektakuläre Leihgeschäft ging über die Bühne. Arsenal hatte seine gute Nachricht.

"Ich komme nur, um zu helfen", beschwichtigte die lebende Legende viereinhalb Jahre nach ihrem Abgang. Henry war bemüht, erst gar keine Versprechen aufkommen zu lassen, die er nachher nicht mehr einhalten konnte. Den Fans war das herzlich egal.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass noch immer von Wenger trainierte Gunners an einem ungemütlichen Montagabend in der dritten Runde des FA Cup auf einen Zweitligisten trafen. Eine gähnend langweilige Veranstaltung, weil Underdog Leeds sein Heil nicht gerade in der Offensive suchte und auch der Favorit ziemlich uninspiriert auftrat.

Eine Stunde lang sah sich Wenger das Trauerspiel an.

Dann machte er von etwas Gebrauch, was vor Inspiration nur so strotzte: Er wechselte einen neuen Stürmer ein. Aber nicht irgendeinen Stürmer. Sondern Arsenals Rekordtorschützen, dem sie nur Wochen zuvor eine Statue vors Emirates gestellt hatten. Und plötzlich stand er wieder auf dem Platz. Die Rückkehr des Königs, frenetisch bejubelt.

Der Thierry-Henry-Abschluss

Es war zwar nicht mehr Highbury; es war auch nicht mehr die von Theo Walcott besetzte Rückennummer 14, sondern die 12, die Henry ursprünglich hatte haben wollen, die 1999 aber nicht frei gewesen war. Und es war auch nicht mehr diese Ausnahmeerscheinung, die so elegant sprintete wie Carl Lewis und sich so geschmeidig über den Rasen bewegte wie Muhammad Ali. Die fünf Gegenspieler abhängen konnte, ohne auch nur schwer atmen zu müssen, wie Paul Scholes einmal ungläubig feststellte.

FA Cup 2011/12, 3. Runde

Henry wirkte schwerfälliger, steifer, er wirkte eben einfach älter. Vier Ballkontakte lang.

Neun Minuten war er auf dem Platz, lange war nicht mehr zu spielen, es stand immer noch 0:0. Und es ging einfach nichts. Zeit, an der Uhr zu drehen. Halblinks absetzen, offene Haltung, ein Kontakt, Aufdrehen nach innen, flacher Schlenzer ins lange Eck. Der typische Thierry-Henry-Abschluss. Eigentlich zu kitschig, um wahr zu sein. "Eigentlich dachte ich, dass der Winkel zu spitz ist", gestand Wenger.

Thierry Henry trifft gegen Leeds

Mit der Innenseite ins lange Eck. Das konnte vielleicht keiner so wie Thierry Henry. imago sportfotodienst

Nicht für Thierry Henry, der nach Toren meistens lässig von dannen gejoggt war, diesmal - "Es war das erste Mal, dass ich als Fan traf" - allerdings einen geradezu unkontrollierten Jubellauf hinlegte. Er endete in den Armen von Arsene Wenger, der Zeuge "einer Geschichte" wurde, "die man noch seinen Kindern erzählt". Auch wenn es nur ein Drittrundenspiel gegen einen Zweitligisten war und Arsenal am Ende wieder ohne Titel blieb.

"He may be cast in bronze, but he's still capable of producing truly golden moments", überschlug sich die Stimme von ESPN-Kommentator Jon Champion. Mit diesem einen, sportlich nahezu unbedeutenden Moment hatte Henry "sein" gebeuteltes Arsenal noch einmal in leibhaftiger Erinnerung an die goldenen Zeiten schwelgen lassen. Obwohl er nur ein paar Meter weiter bereits in Bronze gegossen war.

Vergangenheit und Gegenwart liegen manchmal eben ziemlich nah beieinander.

Niklas Baumgart

Die internationalen Top-Transfers des Winters