kicker

Rüdiger Schnuphase: Der ungewöhnliche Torschützenkönig

Von langjährigem Mitspieler "Willensmonster" genannt

Der ungewöhnliche Torschützenkönig: Schnuphase wird 70

Kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken: Rüdiger Schnuphase.

Kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken: Rüdiger Schnuphase. imago/Karina Hessland

Ein paar Tage vor seinem runden Geburtstag wurde Rüdiger Schnuphase gefragt, wie zufrieden er denn mit seiner Karriere als Fußballer gewesen sei. Seine Antwort fiel verblüffend ehrlich und auch überraschend aus. "Meine fußballerischen Mittel waren ja bescheiden, aber mein Wille und mein unbändiger Kampfgeist waren größer als bei vielen anderen Spielern."

Schnuphase, der in seiner Geburtsstadt Erfurt lebt, hat dabei in Sachen "fußballerischer Fähigkeiten" arg untertrieben, denn er galt als ein gut ausgebildeter Kicker, der den Ball beherrschte. Er war beileibe kein Super-Techniker, aber einer, der stets voranging, seine Teamkameraden mitriss und als Abwehrmann erstaunlich viele Tore schoss. Schnuphase erklärt: "Ich wollte immer unbedingt gewinnen, und mir war wichtig, dass ich mit erhobenem Haupt vom Platz gehen konnte."

"Willensmonster" Schnuphase

Sein langjähriger Mitspieler in der Oberliga und der DDR-Nationalmannschaft, Lutz Lindemann (74), lobt: "Mit seiner Kampfkraft hat er alles erreicht und eine tolle Karriere hingelegt." Auch der Olympiasieger von 1976, Lothar Kurbjuweit (73), mit dem Schnuphase beim FC Carl Zeiss Jena für Furore sorgte, nennt den "Hase", wie er gern sagt, ehrfürchtig ein "Willensmonster".

Rüdiger Schnuphase

Rüdiger Schnuphase posiert mit der Silbermedaille von den Olympischen Spielen 1980. imago sportfotodienst

Schaut man sich die Vita des Thüringers an, kommt einem Bayer Leverkusen in den Sinn, einst als "Vizekusen" tituliert. Auch Schnuphase landete gleich dreimal mit Jena und der DDR-Olympiaauswahl auf Platz 2. "Ich habe leider nur einen einzigen Titel errungen", sagt der einst so robuste Spieler, "das fehlt schon etwas, aber darüber bin ich nicht traurig."

1980 gewann er mit Jena den FDGB-Pokal. Im Endspiel hieß der Gegner ausgerechnet FC Rot-Weiß Erfurt, der Heimatverein von Schnuphase, bei dem er sämtliche Nachwuchsmannschaften durchlief. 1976 verließ er wegen der besseren Perspektive, im Europacup spielen zu können, den Klub Richtung Jena. Der FC Carl Zeiss siegte mit 3:1 nach Verlängerung, und Schnuphase nahm natürlich keine Rücksicht auf seine Mitspieler von einst.

Torschützenkönig als Libero - WM-Teilnahme 1974

Der athletische Kicker, der von seinen Freunden wahlweise "Schnuppi" oder eben "Hase" gerufen wird, kann ein spektakuläres Alleinstellungsmerkmal aufweisen: Im Trikot des FC Carl Zeiss wurde er in der Saison 1981/82 Torschützenkönig der Oberliga mit 19 Treffern vor dem legendären Torjäger Joachim Streich vom 1. FC Magdeburg, der auf 16 Treffer kam. Das Kuriose: Schnuphase agierte dabei als Libero in Jena und übertrumpfte sämtliche etablierten Angreifer der Liga. "Das war schon etwas Besonderes", sagt der Jubilar.

Seine Torjägerqualitäten stammen bereits aus der Jugend. Bis zum Männerbereich spielte er im Angriff und schoss als Juniorenspieler sehr viele Tore. Erst Dr. Rudolf Krause beorderte den stürmischen Erfurter als Trainer der DDR-Juniorenauswahl ins Mittelfeld und schließlich sogar in die Abwehr. Mit 17 Jahren stieg er in die Männer-Mannschaft von Rot-Weiß auf und blieb weiter torgefährlich.

Im Juli 1973 kam er im Alter von erst 19 Jahren zu seinem Debüt in der Nationalmannschaft bei einem 2:1-Sieg auf Island. "Ich hatte keine Berührungsängste", erinnert sich Schnuphase. Nationaltrainer Georg Buschner nahm später den 20-Jährigen mit der Erfahrung von nur vier Länderspielen mit zur WM 1974. Beim 1:0 gegen die BRD drückte er noch die Ersatzbank, aber gegen die Niederlande (0:2) und gegen Argentinien (1:1) durfte der Youngster je 90 Minuten spielen.

Rüdiger Schnuphase und Ruud Krol

Rüdiger Schnuphase (li.) im Kopfballduell mit dem Niederländer Ruud Krol bei der WM 1974. imago images

Sein Wechsel nach Jena brachte dann wichtige Entscheidungen. 1978 verletzte sich Zeiss-Stamm-Libero Uli Oevermann schwer und fiel lange Zeit aus. Trainer Hans Meyer beorderte Schnuphase auf die Libero-Position, die er fortan "fantastisch ausfüllte", wie sein Teamkamerad Kurbjuweit befand. Nur in der Nationalmannschaft musste er die Rolle als "letzter Mann" oft dem leichtfüßigen Edeltechniker Hans-Jürgen "Dixie" Dörner von Dynamo Dresden überlassen und ackerte als Vorstopper oder im Mittelfeld.

In den Jahren 1980 bis 1982 überschlugen sich die Ereignisse. Neben großartigen Erfolgen blieben aber die Enttäuschungen, dreimal den ganz großen Wurf verpasst zu haben. Mit der DDR-Olympiaauswahl erreichte Schnuphase am 2. August 1980 das Endspiel der Olympischen Spiele in Moskau und unterlag der CSSR mit 0:1. In bester Erinnerung geblieben sind ihm aber die "unglaublichen Zuschauermassen bei unseren Spielen in Kiew und in Moskau." Zweimal kamen 100.000 Fans in die Stadien.

1980/81 mischte der FC Carl Zeiss den Europacup der Pokalsieger auf. Am 1. Oktober 1980 stand Schnuphase in jener Elf, die in der Jenaer Fußball-Historie "das Spiel der Spiele" ablieferte. Nach einer 0:3-Niederlage bei der AS Rom schlug Jena die Italiener im Rückspiel sensationell mit 4:0! "Unvergesslich", sagt der damalige Libero. Der FC Carl Zeiss erreichte gar das Finale, stand kurz vor dem großen Triumph und unterlag am 13. Mai 1981 in Düsseldorf Dinamo Tiflis mit 1:2. Nur 17 Tage später - am 30. Mai 1981 - verspielte Jena auch den greifbar nahen DDR- Meistertitel. Am letzten Spieltag gab es beim Meister BFC Dynamo eine bittere 1:2-Niederlage. Was blieb, war die Vize-Meisterschaft. "Das waren schon schwere Momente", sagt Schnuphase.

Schnuphase trainiert einmal in der Woche jugendliche Straftäter

Nach einem Intermezzo bei Rot-Weiß Erfurt beendete der stürmende Libero im Sommer 1986 seine Karriere, erwarb das Trainerdiplom. Vor allem im Nachwuchs in Erfurt und beim Thüringer Fußballverband war er als Fußballlehrer tätig. Seit September vorigen Jahres trainiert Schnuphase - wie einst - einmal in der Woche jugendliche Straftäter in Arnstadt. "Das hat den Jugendlichen und auch mir viel gebracht", sagt Schnuphase über sein besonderes Engagement.

Eines ist dem Jubilar wichtig: "Ohne meine Frau Jutta, mit der ich 45 Jahre verheiratet bin, hätte ich nicht solch eine Karriere hinlegen können." Dabei war Jutta Schnuphase selbst eine sehr bekannte Künstlerin. Sie brillierte als Solotänzerin am Erfurter Theater und begeisterte die Ballett-Fans. Seinen Geburtstag wird Rüdiger Schnuphase im kleinen Kreis feiern - auch mit seinen vier Enkeln. Gratulanten könnten es schwer haben, ihn an seinem Ehrentag zu erreichen. Schnuphase hat seit einiger Zeit aus freien Stücken auf ein Handy verzichtet. Er sagt: "So lebe ich viel ruhiger!"

Michael Jahn