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WM 2022 kicker-Kolumne: Der mit der Eckfahne tanzt

WM-Kolumne "Mein Tag in Katar" von kicker-Reporter Sebastian Wolff

Der mit der Eckfahne tanzte

Auf zum Tanz: Roger Milla nach seinem Treffer 1990 gegen Rumänien.

Auf zum Tanz: Roger Milla nach seinem Treffer 1990 gegen Rumänien. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Die Erinnerungen an den Sommer 1990 als Heranwachsender in einer niedersächsischen Kleinstadt beinhalten vor allem eines: Fußball. Danach kam erst mal wenig und dann wieder Fußball. Und unweigerlich auch: Roger Milla.

In einer nicht von Social Media geprägten Jugend fand die Grundversorgung über den damaligen Lebensinhalt tatsächlich noch ausschließlich über den kicker statt. Die Geschichte von einem 38 Jahre alten Beinahe-Fußball-Rentner, der allein aufgrund des Geheiß‘ von Kameruns Präsident Paul Biya mit zur Weltmeisterschaft nach Italien angereist ist, war dadurch bekannt. Mehr aber auch nicht. Wie auch?

Der deutsche Titel brannte sich ins Gedächtnis, Milla aber genauso

Bis dahin hießen unsere Stars Maradona, Lineker, und natürlich Völler, Matthäus oder Klinsmann. Aber Milla zog jeden in seinen Bann. Da war seine Story, dazu der sensationelle 1:0-Auftaktsieg der Afrikaner im Eröffnungsspiel gegen Weltmeister Argentinien. Vier Mal traf Milla bei der WM 1990, stürmte mit Kamerun bis ins Viertelfinale und feierte jedes seiner Tore mit einem Tanz an der Eckfahne. Deutschlands Titelgewinn brannte sich natürlich ins Gedächtnis, Millas Tore und Tänze aber beinahe genauso.

Vier Jahre später hatte er beim Endturnier in den USA noch einen Auftritt. Keinen ganz so grandiosen mehr, aber einen historischen. Im Alter von 42 Jahren erzielte er gegen Russland einen Treffer und schrieb damit Geschichte als ältester Turniertorschütze der WM-Geschichte.

Milla geht zur Eckfahne, und...

Roger Milla heute: Der Kameruner wurde von der FIFA ausgezeichnet.

Roger Milla heute: Der Kameruner wurde am Donnerstag von der FIFA ausgezeichnet. AFP via Getty Images

Am Dienstag in Al-Wakrah leben nun plötzlich die Erinnerungen auf. Wenige Minuten vor dem Anpfiff der Partie Schweiz gegen Kamerun (1:0) steht völlig unvermittelt Milla auf dem Feld. 70 Jahre alt und doch jung geblieben: grauer Anzug, Sonnenbrille, immer noch drahtig. Als Delegationsmitglied hat er die kamerunische Nationalelf mit nach Katar begleitet und erhält von der FIFA auf dem Rasen des Al-Janoub-Stadions einen Award für den Titel "ältester WM-Torschütze."

Treffenderweise sitzen die heimischen Fans genau in Höhe der Eckfahne. Milla deutet auf sie, er geht tatsächlich ein paar Schritte in Richtung Eckfahne - und tanzt doch nicht. Weil seine Nachfahren in den darauffolgenden 90 Minuten zwar nicht wirklich enttäuschen, aber nicht Millas Abgeklärtheit und Finesse im Abschluss haben, tanzt an diesem Donnerstag am Ende keiner.

In unserer WM-Kolumne "Mein Tag in Katar" berichten unsere sieben Reporter vor Ort abwechselnd über ihre persönlichen WM-Erlebnisse abseits des Fußballplatzes - über Sportliches und Unsportliches, Kurioses und Kritisches.

Sebastian Wolff

kicker-Reporter Sebastian Wolff berichtet aus Katar.

kicker-Reporter Sebastian Wolff berichtet aus Katar. kicker