Champions League

Thomas Delaney (Sevilla): "Ich soll die Mannschaft führen"

Früherer Bundesliga-Profi trifft mit Sevilla auf Wolfsburg

Delaney im Interview: "Von mir wird erwartet, dass ich die Mannschaft führe"

Rückkehr nach Deutschland: Thomas Delaney trifft mit Sevilla auf Wolfsburg.

Rückkehr nach Deutschland: Thomas Delaney trifft mit Sevilla auf Wolfsburg. imago images/Pressinphoto

Pünktlich auf die Minute erscheint Thomas Delaney im digitalen Konferenzraum, um mit dem kicker über das bevorstehende Champions-League-Gastspiel seines neuen Klubs FC Sevilla beim VfL Wolfsburg (21 Uhr, LIVE! bei kicker) zu sprechen. "Hier in Spanien ticken die Uhren etwas anders", sagt der 30-jährige Däne, der inzwischen viereinhalb Jahre für Bremen und Dortmund spielte, "aber die deutsche Pünktlichkeit habe ich mir bislang bewahrt." Auf Deutsch verrät der Mittelfeldspieler anschließend, weshalb er den BVB in Richtung Sevilla verließ, was er aus den EM-Wochen im Sommer gelernt hat und was er macht, sollte sein Ex-Klub Dortmund in dieser Saison einen Titel gewinnen.

Thomas Delaney, wollen wir direkt mit dem unangenehmen Teil starten …

Spielersteckbrief Delaney
Delaney

Delaney Thomas

FC Sevilla - Vereinsdaten
FC Sevilla

Gründungsdatum

14.10.1905

Vereinsfarben

Rot-Weiß

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Borussia Dortmund - Vereinsdaten
Borussia Dortmund

Gründungsdatum

19.12.1909

Vereinsfarben

Schwarz-Gelb

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VfL Wolfsburg - Vereinsdaten
VfL Wolfsburg

Gründungsdatum

12.09.1945

Vereinsfarben

Grün-Weiß

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Sie meinen meine Gelb-Rote Karte? (lacht)

Ja! Sie haben am vergangenen Samstag binnen weniger Sekunden zweimal Gelb kassiert, weil sie foulten, meckerten und dann dem Schiedsrichter applaudierten. Nach 65 Minuten und beim Stand von 1:0 für Ihr Team gegen Espanyol Barcelona ging es für Sie vorzeitig zum Duschen.

Ja, das war mein Fehler und der nervt mich immer noch. Ich war zu emotional in diesem Moment. Ich habe den Rest des Spiels im TV gesehen und konnte in der Kabine nicht stillsitzen. Das war Stress pur. Erst nach dem zweiten Tor konnte ich mich etwas beruhigen. Nach dem Spiel (Sevilla gewann 2:0, Anm. d. Red.) habe ich mich bei meinen Mitspielern bedankt und mich entschuldigt. Denn durch die Rote Karte wurde es unnötig schwer für uns.

Mahmoud Dahoud, Ihrem früheren Mitspieler beim BVB, passierte fast zeitgleich etwas Ähnliches.

Ja, das war ein witziger Zufall. Aber wie gesagt: Mich nervt das wirklich sehr, dass mir so etwas passiert ist. Das war komplett unnötig.

Das Spiel gegen Espanyol war Ihr erst fünftes für Sevilla. Sie wechselten erst kurz vor Transferschluss vom BVB nach Andalusien. Warum fiel Ihre Wahl gerade auf diesen Klub?

Als wir mit dem BVB in der vergangenen Saison gegen Sevilla gespielt haben, habe ich gemerkt, dass das eine sehr gute Mannschaft ist. Das hat jetzt auch den Ausschlag gegeben. Sevilla ist ein Topteam in Spanien, das Ambitionen hat und international spielt. Beides war extrem wichtig für mich. Dazu ist die Stadt richtig geil und das Wetter meist sehr gut. Das hilft auch. (lacht)

Sie waren zuvor drei Jahre beim BVB und haben sich sehr emotional von Dortmund verabschiedet. Wie schwer fiel Ihnen der Weggang?

Mir hat das in gewisser Weise wehgetan, denn ich war ja nicht unzufrieden in Dortmund. Im Gegenteil. Weder persönlich in der Stadt noch innerhalb des Teams. Der BVB ist ein geiler Klub und es macht mich stolz, dass ich drei Jahre lang für ihn spielen durfte. Am Ende haben Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben: Ich konnte absehen, dass ich sportlich nicht die größte Rolle spielen würde. Aber ich bin 30 Jahre alt - ich wollte mehr spielen, als es die Planungen des Klubs für mich vorsahen. Deshalb wollte ich wechseln.

Wie fand der Klub diese Idee?

Nicht so gut, glaube ich. Aber sie haben mir dennoch die Möglichkeit dazu gegeben. Dass die meisten es schade fanden, dass ich gehe, war für mich zusätzlich ein schönes Zeichen der Wertschätzung. Ich werde diesen Klub immer positiv in Erinnerung tragen.

Ein Abschied vor vollen Rängen blieb ihnen erst einmal versagt …

Ich habe mit Sebastian (Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung des BVB, Anm. d. Red.) am Tag meines Wechsels mindestens dreimal darüber gesprochen, wie schade ich das finde. Es tat weh, anderthalb Jahre auf ein volles Stadion zu verzichten. Denn ich weiß, wie großartig das Gefühl ist, vor 81.000 Menschen zu spielen und Siege zu feiern. Dass das zum Abschied nicht möglich war, schmerzt mich noch immer.

Verfolgen Sie aus der Ferne noch die Entwicklung beim BVB?

Ja, ich schaue mir immer die Highlights der Spiele an. Auch nach Bremen gucke ich noch häufig, auch wenn dort eigentlich niemand mehr spielt, den ich noch aus meiner Werder-Zeit kenne.

Was trauen Sie ihren früheren Mitspielern in Dortmund zu?

Ich drücke Ihnen die Daumen und hoffe, dass es in naher Zukunft mal mit der Meisterschaft klappt - auch wenn der FC Bayern auch in dieser Saison wieder der Favorit ist. Dortmund hat eine Menge super Leute an Bord, ich kann gar nicht schlechtes über diesen Klub und die Menschen dort sagen. Ich würde mich riesig freuen, wenn es am Ende der Saison etwas für Sie zu feiern gibt. Vielleicht komme ich dann auch zum Borsigplatz und mache mit, wenn es zeitlich passt. (lacht)

Wie oft werden Sie in Spanien auf Erling Haaland angesprochen?

Oft, Erl interessiert die Menschen hier sehr. Aber ich werde auch häufig nach Jude Bellingham gefragt, der in den Spielen gegen Sevilla mächtig Eindruck hinterlassen hat. Er wirft sein Herz auf den Platz, das gefällt den Leuten hier.

Am Mittwoch kehren Sie erstmals seit Ihrem Wechsel wieder nach Deutschland zurück. In der Champions League sind Sie beim VfL Wolfsburg gefordert. Hat Ihr Trainer Julen Lopetegui bereits ihr Insider-Wissen über den deutschen Fußball angezapft?

Nein, bislang ist das noch nicht passiert. Nach dem Spiel gegen Espanyol hatten wir erst einmal frei. Aber vielleicht holt er das bis zum Anpfiff noch nach.

Zum Start in die Königsklasse gab’s für Sie ein Remis gegen Salzburg. Wie groß ist der Druck vor dem Spiel in Wolfsburg?

Das Spiel gegen Salzburg war sicher nicht leicht für uns, auch weil wir dort ebenfalls eine rote Karte kassiert haben. In Deutschland wird es jetzt ebenfalls schwer. Wolfsburg ist in Spanien nicht so bekannt wie der FC Bayern oder Dortmund. Aber sie haben eine sehr gute Mannschaft mit hoher individueller Qualität und einer guten Breite im Kader. Sie werden uns vor Herausforderungen stellen, darauf müssen wir vorbereitet sein.

Wolfsburg wird von Mark van Bommel trainiert. Er war als Spieler ein Aggressive Leader wie Sie.

Als Spielertyp bin ich ihm sicher recht ähnlich, das stimmt. Wir tragen auf dem Platz beide den Wahnsinn in uns. Aber den guten… (lacht) Meine Vorbilder damals waren jedoch andere: Gennaro Gattuso beispielsweise oder auch Andrea Pirlo.

"Maximilian Arnold kann auch schon mal aus 40 Metern ein Tor machen"

Van Bommel galt nach dem Wechsel-Fehler im DFB-Pokal gegen Münster als erster Kandidat für einen Rauswurf. Es folgt ein starker Liga-Start.

Wolfsburg hat ja auch Qualität - und das seit Jahren. Allein Wout Weghorst ist für jedes Team der Welt eine Challenge. Auch das Mittelfeld ist top besetzt, Maximilian Arnold etwa kann auch schon mal per Freistoß aus 40 Metern ein Tor machen. Wir haben uns mit Dortmund jedenfalls immer schwer gegen sie getan, auch wenn wir am Ende oft gewonnen haben. Für mich sind sie eine typisch deutsche Mannschaft. Sie haben nicht den einen Topstar, aber insgesamt ein hohes Niveau im Kader.

Sevilla galt in den vergangenen Jahren als Europa-League-Spezialist. Manch einer spottet, Sevilla würde nur in der Champions League spielen, um später als Gruppendritter in der Europa League weiterzumachen…  

(lacht) Titel zu gewinnen ist ja auch gar nicht so schlecht - und wie schwer es ist, die Champions League zu gewinnen, muss ich nicht betonen, glaube ich. Mein Eindruck ist der, dass die Menschen hier sehr stolz darauf sind, dass Sevilla diese Titel in der Europa League gewinnen konnte. Zumal dort auch nicht nur die Meister aus Dänemark und Schweden mitmischen, sondern auch richtig große Teams. Aber natürlich lautet der Anspruch, den wir an uns selbst stellen, dass wir die Gruppenphase in der Champions League überstehen.

Wie schwer war es für Sie aufgrund des späten Einstiegs bei Sevilla, Ihren Platz im Team zu finden?

Ich habe zuallererst gemerkt, dass Sevilla ein sehr spanischer Verein ist. Hier wird Spanisch gesprochen, deshalb muss ich dringend an meinen Sprachkenntnissen arbeiten - auch wenn mir die wichtigsten Dinge auf Englisch übersetzt werden. Davon ab fühle ich mich hier sehr willkommen. Ich wurde gut aufgenommen von der Mannschaft. Und wir haben auch schon ein Haus gefunden. Das ist für mich sehr wichtig, um mich wohlzufühlen. Ich bin niemand, der gerne im Hotel wohnt.

In Sevilla sind Sie auf den Ex-Schalker Ivan Rakitic getroffen. Mussten Sie sich zum Einstieg einen Spruch wegen Ihrer Dortmunder Vergangenheit anhören?

(lacht) Nein, das nicht. Aber ich habe bei unserem Spiel gegen Espanyol tatsächlich zwei, drei Schalke-Trikots mit seinem Namen auf dem Rücken im Publikum gesehen. Dortmund-Trikots mit meinem Namen drauf waren noch nicht dabei. Daran muss ich noch arbeiten …

In Dortmund haben Sie mal den schönen Satz gesagt, sie würden sich manchmal wie ein Hundebesitzer fühlen, der mit zehn Welpen an der Leine spazieren geht. In Sevilla dürfte Ihre Aufgabe eine andere sein.

Ja, unser Altersdurchschnitt ist deutlich höher als in Dortmund. Gerade unsere Führungsspieler - wie Rakitic oder Jesus Navas - sind deutlich über 30. Natürlich unterscheidet sich dadurch meine Rolle, aber auch hier wird von mir erwartet, dass ich die Mannschaft führe, da ich von einem großen Klub nach Sevilla gekommen bin. Ich glaube, man hat mich als Leader geholt. Und dem möchte ich gerecht werden.

In Deutschland hat der FC Sevilla nicht den besten Ruf, weil er sich in den letzten Duellen - etwa gegen den BVB - oft als durch Zeitspiel und Nicklichkeiten hervorgetan hat. Wird das dem Klub gerecht?

Nein, das denke ich nicht. Ich nehme Sevilla als einen sehr familiären Klub wahr, der gar nicht so unähnlich zum BVB ist. Hier arbeiten viele, die aus der Region kommen, die Menschen geben alles für den Verein. Und sportlich wird auch hier Arbeit hochgeschätzt - auch wenn der spanische Fußballer insgesamt langsamer ist als in Deutschland. Zugleich sind die Ambitionen ebenfalls sehr groß. Unsere Fans erwarten, dass wir guten Fußball spielen und Spiele gewinnen.

Trotz der Vormacht von Atletico Madrid, Real Madrid und dem FC Barcelona?

Ja, denn natürlich machen diese drei in der Regel die Titel unter sich aus, aber die Situation ist insgesamt offener als beispielsweise in Deutschland, wo der FC Bayern klar die Nummer 1 ist. Sevilla hat in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass es ganz oben mit dabei sein kann. Und dieses Ziel verfolgen wir auch jetzt wieder, wenn ich auf unsere Transfers und die Breite unseres Kaders schaue.

"Ich will um Titel mitspielen und in der Champions League dabei sein"

Auch für Sie ist die Konkurrenz im zentralen Mittelfeld groß.

Das stimmt, aber meine Rolle hier ist anders als in Dortmund, wo ich in der Regel der Sechser war. In Sevilla werde ich - ähnlich wie in der Nationalmannschaft - etwas weiter vorne eingesetzt. Ich kann als Achter am Offensivspiel teilnehmen und weite Wege gehen - so wie ich das liebe.

Sie haben für vier Jahre unterschrieben - daraus schließe ich, dass Sie sich mit Ihrer Familie für eine längere Zeit in Andalusien niederlassen wollen.

Ja, ich hoffe, dass ich viele gute Jahre hier haben werde. Die Ansprüche, die der Klub hat, passen zu meinen Ambitionen. Ich will um Titel mitspielen und in der Champions League dabei sein. Dafür sind die Bedingungen hier sehr gut. Und ich spüre auch, dass ich mich hier trotz meiner 30 Jahre noch entwickeln kann in meinem Spiel.

Viele hatten eigentlich damit gerechnet, dass Sie Dortmund in Richtung England verlassen würden.

Ich glaube, diese Erwartungen basierten auf einer alten Geschichte, die noch aus Bremer Zeiten stammte. Damals wollte mich der FC Everton gerne verpflichten und im Zuge dessen sagte ich, dass ich gerne mal in England spielen würde, aber auch in den USA oder Japan. Nur: Alles wird nicht möglich sein. Ich bin dann später zum BVB gewechselt, weil es für mich zu diesem Zeitpunkt der richtige Schritt war. So wie es jetzt richtig war, nach Sevilla zu gehen.

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Sie können ruhig zugeben, dass Sie Ihre Schritte eigentlich nur danach planen, wo Ludwig Augustinsson spielt. Sie sind in Sevilla schon das dritte Mal aufeinandergetroffen.

(lacht) Das stimmt. Aber in Kopenhagen damals war ich zuerst. Ebenso in Bremen, auch wenn wir zuerst im gleichen Flieger nach Bremen saßen. Dass wir jetzt in Sevilla noch einmal aufeinandergetroffen sind, ist richtig cool.

Sie hatten einen extremen intensiven Sommer: Die EM - mit dem Drama um Christian Eriksen und dem knappen Halbfinal-Aus gegen England -, der Wechsel: Hatten Sie schon Zeit, alles zu reflektieren?

Gute Frage … Es kam schon verdammt viel zusammen. Aber ich glaube, ich konnte das ganz gut aufarbeiten. Nachdem das mit Christian in Kopenhagen passiert war, konnten wir alle zunächst nicht mehr an Fußball denken. Ich glaube, jeder von uns rechnete damals damit, dass wir das folgende Spiel gegen Belgien 0:6 verlieren würden, weil unser Kopf einfach ganz woanders war. Aber nach der Gruppenphase hatte sich das verändert - Christian ging es besser, es kehrte wieder Normalität ein. Ab da ging der Fokus auch wieder aufs Sportliche.

Haben Sie aus diesen Wochen bei der Euro, wo Leid und Freud so eng beieinanderlagen, etwas für Ihre Karriere gelernt? Oder sogar etwas fürs Leben?

Auf eine Situation, wie Sie uns damals passiert ist, kannst du dich nicht vorbereiten. Wir sind dadurch sicher sehr viel näher zusammengekommen und haben gelernt, ehrlicher miteinander umzugehen. Im Fußball gibt es ja oft diese Einstellung, man müsse hart und stark sein und dürfe auf keinen Fall Schwäche zeigen. Wir sind damals in der Gruppe offen damit umgegangen, wie schwer es uns fiel, wieder zu spielen. Die ganze Welt hat auf uns geschaut - und wir haben ihnen unsere Emotionen gezeigt. Die Mauer, die man als Sportler, der in der Öffentlichkeit steht, oft um sich herum errichtet, war gefallen. Ich habe damals gespürt, dass so eine EM natürlich etwas Großes ist, aber eben nicht alles. Das Leben ist so viel mehr. Meine Tochter lehrt mich das jeden Tag aufs Neue.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie und ihre Teamkollegen durch Ihren öffentlichen Umgang mit Ihren Emotionen ein Stück dazu beigetragen haben, dass mentale Gesundheit gesellschaftlich stärker in den Blick genommen wird?

Ich hoffe es. Ich denke, gerade nach dieser Corona-Pandemie haben viele Menschen das Bedürfnis, darüber zu sprechen, wie es ihnen in dieser Zeit ergangen ist. Viele waren allein, hatten Sorgen. Da geht es uns Fußballern ja nicht anders als anderen Menschen, auch wenn wir sehr gut verdienen. Wir rennen und kämpfen und stürmen vor Publikum über den Platz, aber auch wir haben manchmal Probleme, über die man sprechen muss, um sie zu verarbeiten.

Matthias Dersch