Champions League

Das CL-Finale in der Taktik-Analyse: Von Flügeln und Klavierträgern

Darauf kommt es für Inter an

Das CL-Finale in der Taktik-Analyse: Von Flügeln und Klavierträgern

Stellen sich im Champions-League-Finale vor taktische Herausforderungen: City-Coach Pep Guardiola und Inters Simone Inzaghi.

Stellen sich im Champions-League-Finale vor taktische Herausforderungen: City-Coach Pep Guardiola und Inters Simone Inzaghi. IMAGO/Gonzales Photo

Für Freunde der Taktik wird das ein hochspannendes Finale. Weil Manchester Citys große Flexibilität Inter Mailand vor knifflige Aufgaben stellt. Weil zwei Grundordnungen aufeinandertreffen, die keine klaren Zuordnungen mit sich bringen. Und weil italienische Klubs in der Regel defensiv-taktisch so top geschult sind, dass das Ganze kein Selbstläufer für die Skyblues wird.

Champions League, Finale in Istanbul

    Um Inters Chancen auf eine Überraschung zu evaluieren, dient daher das Rückspiel gegen den Stadtrivalen Milan eher als Anschauungsunterricht fürs Match in Istanbul als der 2:0-Erfolg im ersten Halbfinale. Denn mit ebendiesem Vorsprung im Rücken taten sie logischerweise das, was auch diesmal - nun in der Außenseiterrolle - erwartet werden darf: Sie verteidig(t)en. So wurde, anders als eben im "Auswärtsspiel", nicht hoch angepresst, sondern eher tief im 5-3-2 verteidigt. Die 3-3-2-2-Grundordung erfuhr eine defensive Transformation.

    Chancen und Risiken einer defensiven Grundordnung

    Gegen City birgt dieses 5-3-2 Chancen und Risiken. Der größte Vorteil: Gegen das extrem breit angelegte Spiel der Skyblues - Bernardo Silva und Jack Grealish halten erst mal treu ihre Position außen - ist das Spielfeld in letzter Linie und Tiefe horizontal gut abgedeckt. Zudem entsteht im Zentrum eine 3-gegen-1-Situation zu Erling Haaland. Und auch wenn die Achter Kevin De Bruyne und Ilkay Gündogan die Box mitbesetzen, folgt daraus erst mal zwingend keine nominelle Unterzahl wie mit nur zwei Innenverteidigern.

    Kevin De Bruyne

    Durch seine breite Positionierung im Achterraum einer der Schlüsselspieler Citys: Kevin De Bruyne. IMAGO/PA Images

    Doch die Nachteile überwiegen: Fünferkette statt Viererkette bedeutet in dieser defensiven Ausrichtung zwar kleinere Schnittstellen, aber eben auch eine mehr. Und die sucht City gerne. Zudem opfert man einen Spieler, der früher Zugriff hätte und die Passmaschinerie zum Knirschen bringen könnte.

    Dass nominell das Mittelfeld auf beiden Seiten und auch in Citys originärer 4-3-3-Grundordnung erst mal mit einem Sechser und zwei Achtern gebildet wird, führt nur bei erster Ansicht zu einer Parität in der Zentrale.

    Das Vorrücken des Innenverteidigers John Stones kann durch ein Abkippen eines Inter-Stürmers kompensiert werden, doch dann dürfte City den Ball einfach durch einen 3:1-Aufbau in die nächste Zone bringen.

    Citys rechter Flügel als Knackpunkt

    Der größte Knackpunkt wird, wie Inter auf Citys Flügelspiel reagiert. Vor allem über die rechte Seite der Engländer, weil Manuel Akanji auf links keinen solchen Offensivdrang verspürt. Rechts jedenfalls gibt's nicht nur den Außenverteidiger (voraussichtlich Kyle Walker) und Bernardo Silva als Rechtsaußen, sondern den immer wieder extrem breit agierenden Achter De Bruyne.

    Es kommt also sehr darauf an, wo Federico Dimarco sich entlang der linken Inter-Bande positioniert: im Mittelfeldpressing, um den vermutlich nach links schiebenden Achter Henrikh Mkhitaryan zu entlasten? Oder hält er die letzte Linie, sticht nicht raus, und überlässt somit Hakan Calhanoglu das Zustellen der Bahn?

    Wie mutig lässt Inzaghi seine Schienenspieler agieren?

    Die durchschnittlichen Ballbesitzwerte in der nun zu Ende gehenden Champions-League-Saison (61:46 pro City) lassen erahnen, wie das Match laufen wird. Doch entscheidend ist: Wie hybrid-geprägt wird die Rolle der Mailänder Schienenspieler sein? Wie hoch presst der ballnahe "Joker", um im Verbund mit dem Stürmer und dem Achter das Netz zuzuziehen? Der ballferne Bahnspieler lässt sich fallen, und schon wird, bei dieser Herangehensweise, die Inter erfolgreich im Hinspiel gegen den AC Mailand wählte, aus der Dreierreihe maximal eine Viererkette.

    Federico Dimarco

    Muss Citys starken rechten Flügel in den Griff bekommen: Federico Dimarco. IMAGO/Marco Canoniero

    Wie mutig wird Inters Coach Simone Inzaghi also agieren lassen? Oder eben doch nur reagieren lassen auf diesen manchmal übermächtig erscheinenden Gegner? Letzteres beinhaltet in Umschaltmomenten natürlich einen noch weiteren Weg zum City-Tor.

    Schieben aber sogar beide Außenbahnspieler, also Dimarco und Denzel Dumfries, in einem 3-1-4-2 hoch, könnte man Citys Aufbau nicht nur Mann gegen Mann begegnen, sondern würde sogar Stones vorerst zwingen, als Innenverteidiger und nicht als zweiter Sechser zu agieren. Das würde Pep Guardiola, der das Geschehen gerne weit weg vom eigenen Tor kontrolliert und dies zur Maxime seiner Strategie erhebt, sicherlich nicht schmecken.

    Allerdings erfordert dies auch sehr viel Laufarbeit von Inter und, wenn die erste Linie überspielt ist, viele Klavierträger im Rückraum: also Jungs, die vor allem fürs Grobe zuständig sind. Doch wenn man in einem Champions-League-Finale nicht zu dreckigen Extrakilometern bereit ist, wann dann?

    Thomas Böker

    13 verschiedene Klubs, zwei deutsche: Alle Champions-League-Sieger seit 1993