Amateure

Wie ein Sportplatzstreit den bayerischen SV Lohberg umtrieb

"Klingt nach Kabarett, ist aber existenzbedrohend"

Damwild, Fasching, offene Briefe: Wie Hirsche beinahe einen Amateurklub heimatlos machten

Ein Exemplar wie dieses hier wird verdächtigt, in Ostbayern beinahe einen Amateurverein in die Obdachlosigkeit gestürzt zu haben.

Ein Exemplar wie dieses hier wird verdächtigt, in Ostbayern beinahe einen Amateurverein in die Obdachlosigkeit gestürzt zu haben. IMAGO/SuperStock

Ein harmloser Scherz sollte es sein, mehr nicht. Ein paar Schilder, angebracht an einem Faschingswagen, auf denen Zeilen zu lesen waren wie: "Zaun richten, welch ein Graus. Da lass' ich meine Hirsche lieber raus". 

Knapp ein Jahr ist das her. Doch dass diese Schilder den Grenzstein einer Entwicklung markierten, die das Dorf ein ganzes Jahr lang umtrieb und seinen Fußballverein vor reale Existenznöte stellte, war an jenem Sonntag im Februar 2023 allenfalls an einem Zwischenfall zu erahnen. Ein Berichterstatter der "Mittelbayerischen Zeitung" hielt ihn schriftlich fest: "Einer, dem ein Faschingsscherz missfiel, obwohl er namentlich in keiner Form genannt wurde, goss Eimer voll Wasser von der Straßenüberführung auf einen offenen Wagen. Betroffene waren die Darsteller der Damwildplage."

Fußball und Fasching

Lohberg, Landkreis Cham in Ostbayern, aufgerundete 2.000 Einwohner. Zwischen dem Sportplatz am Dorfrand und der Grenze zu Tschechien liegt nur ein knapper Kilometer Wald. Das Gelände gehört nicht dem heimischen SV Lohberg selbst. Zu zwei Dritteln ist es im Besitz der Gemeinde, ein weiteres Drittel hält ein Unternehmer aus dem Dorf. Es ist ein wichtiges Drittel: Die Umkleidekabinen stehen drauf, der Geräteraum; die Grenzlinie verläuft zwischen Strafraum und Eckfahne einmal längs über das Spielfeld. Mehrfach in den vergangenen Jahrzehnten wurden Pachtverträge geschlossen und verlängert. Eine Selbstverständlichkeit, so dachte der Verein.

Fünf Jugendmannschaften, eine Damen-, eine Herren- sowie eine AH-Mannschaft hat der SVL aktuell. "Die Jugendförderung hat wieder richtig Fahrt aufgenommen. Wir haben rund 60 Kinder von sechs bis zehn Jahren", berichtet Ludwig Begerl, Jugendleiter, zweiter Abteilungsleiter und Trainer der Herren. Doch der Verein spielt nicht nur Fußball, er richtet auch den jährlichen Faschingsumzug aus. So auch im Februar 2023: 15 Wägen seien angemeldet gewesen, so Begerl, eine bunte Mischung. Wie es Tradition ist, griff der Umzug in Lohberg gesellschaftliche Themen auf. Die WM im Katar, den fehlenden Dorfpfarrer - und eben auch die Hirschproblematik. Über ein Jahr hätten die ihr Unwesen im Dorf getrieben, Gärten verkotet, sogar den Friedhof, verrät Begerl, ausgebüxt aus einem offenbar nur mehr unzulässig gesicherten Gehege. Ihr Eigentümer: Ein Unternehmer im Dorf - der gleiche, dem auch das Gelände des SV Lohberg mitgehört.

"Es klingt nach Kabarett"

"Es klingt nach Kabarett. Für den Verein aber ist es existenzbedrohend", sagt Begerl im Dezember. Und das, obwohl der SVL direkt gar nichts mit der Faschingsschmähung zu tun gehabt habe. Angemeldet hätten den Wagen Ortsfremde aus dem Nachbarort, "es waren Lohberger darauf, aber keiner aus dem Verein." Doch als Reaktion - davon zumindest sind die SVL-Verantwortlichen überzeugt - wurde nur zwei Tage nach jenem Sonntag im Februar der generationenübergreifend laufende Pachtvertrag zum Ende des Jahres gekündigt. Der Unternehmer widerspricht dieser Darstellung, wirft den Vereinsvorständen stattdessen einen "Reigen von Vertragsbrüchen" vor. Es wird an beidem etwas dran sein - wie in vielen anderen Geschichten gibt es auch in dieser kein Gut und kein Böse.

In den Monaten darauf traf man sich jedenfalls ein paar Mal, konnte sich aber auf keinen neuen Vertrag einigen. Der Unternehmer, selbst Vereinsmitglied, wollte nur noch die Gemeinde als Vertragspartner, bot Tauschverhandlungen an, konkret ein Grundstück, wie er fand, "im Wert weit unter dem tatsächlichen Wert des Sportplatzes". Sein Vorschlag aber wurde abgelehnt, das Gegenangebot bestand seiner Ansicht nach aus "absolut wertlosem Unland". Auch die 185.000 Euro, die die Bürgermeisterin ihm nach seinen Angaben als Kaufpreis zahlen wollte, lehnte er ab. Als das Jahresende näher rückte und Zeitdruck ins Spiel kam, kochte die Sache hoch; Medien berichteten über die skurrile Geschichte, auch weil sich der SVL nicht mehr anders als mit Öffentlichkeit zu helfen wusste.

"Wenn es kein Einlenken gibt, war es das", sagt Begerl noch kurz vor Weihnachten. Auf dem verbliebenen Gelände befinde sich zwar noch ein Trainingsplatz, aber ohne Umkleidetrakt und Duschmöglichkeiten sei auch kein Training möglich. Und alle Teams bei SG-Partner SpVgg Lam unterzubringen, sei nicht machbar. Dem jüngst wieder zum Leben erwachten Verein - und damit einem wichtigen Teil des Dorflebens - drohe das Aus.

Ehrenbürger und Ehrenmitglied

Doch noch, sagt Begerl da, habe er Hoffnung, auch wenn manch Alteingesessener sie längst verloren hätte. Denn noch spreche man miteinander: In einem offenen Brief - für Unbeteiligte durchaus unterhaltsam geschrieben - unterbreitete der Unternehmer, der mitten im Ort wohnt, noch einen weiteren Vorschlag: Für die Dauer von 30 Jahren verlangte er 500 Euro im Monat Pacht. Der Haken: Er wolle zudem aufgrund seiner "andauernden außerordentlichen Verdienste um das Gemeinwohl" die Ehrenbürgerwürde der Gemeinde, die "Ehrenmitgliedschaft im SV Lohberg" und "die entsprechende Ehrung durch den Bayerischen Fußball-Verband".

Der erste Reflex: Ernstgemeint waren diese Forderungen nicht. Aber dass sie im Dorf selbst nicht genau wussten, wie sie die Zeilen verstehen sollten, zeigen die Kommunikationsfallstricke dieser Geschichte. Die Nebenforderungen wurden zum Gesprächsstoff, Leserbriefe flogen hin und her: "Die Ehrenmitgliedschaft...", seufzte Begerl darauf angesprochen; Gründungsmitglieder und langjährige Funktionäre bekämen diese, nun als Teil eines Deals auch den Unternehmer aufzunehmen, berge Konfliktpotenzial: "Manche haben schon angekündigt, dann auszutreten." Und auch mit der Ehrenbürgerwürde - die der Gemeinderat dem Unternehmer laut Forderung übrigens mit einer Zweidrittel-Mehrheit zusprechen sollte - sei es schwierig: "Denn die Gemeinde hat bislang noch gar keinen Ehrenbürger." Gar nicht zu reden davon, ob der BFV sich darauf einließe...

Die Eskalationsspirale dreht sich

Am Dienstag vor Weihnachten telefonierte Begerl mit dem Unternehmer: "Er war sehr aufgeschlossen und höflich, an einer Lösung interessiert. Zudem hat er betont, auf keinen Fall zu wollen, dass es mit dem Jugendfußball im Dorf zu Ende geht." Auch, dass die Nebenforderungen lediglich satirischen Charakter gehabt hätten, wusste der Jugendleiter nun, Satire, die im Gefühl der mangelnden Wertschätzung aber einen realen Kern hatte. Die Öffentlichkeit erfuhr all das in einem weiteren Leserbrief: Darin auch das Gleichnis eines generösen Herrn (Unternehmer), der einem naturgemäß uneinsichtigen Hund (Verein) doch nur helfen möchte, einen Dorn (drohende Obdachlosigkeit) aus dem Lauf zu ziehen.

Natürlich kein deeskalierender Schachzug in einer Spirale - die aber zuvor bereits von der Gegenpartei weitergedreht worden war. Kontaktaufnahme mit dem Unternehmer selbst kurz vor Jahreswechsel: Er habe ein Einschreiben erhalten, berichtet er - und das noch während zwischen ihm und der Gemeinde Verhandlungen liefen. Darin: Die Kündigung seiner Mitgliedschaft im SV Lohberg - inklusive deftiger Abrechnung. "Ist es nicht vereinsschädigend, wenn sich ein Vereinsvorstand dadurch in laufende Verhandlungen einmischt, indem er eine Vertragspartei persönlich ausschließt, welche gleichzeitig zu Zugeständnissen bewegt werden soll?", so der Unternehmer rhetorisch. "Vom Zeitpunkt als auch in der Sache mehr als unglücklich", nennt Begerl, der in die Entscheidung selbst nicht involviert war, den Vereinsausschluss. Es wird deutlich: Empfundene Kränkung, Überheblichkeiten, persönliche Animositäten, gefährliche Abhängigkeiten, Kommunikations- und Timingfehler  - eine toxische Gemengelage. Die Fronten verhärtet.

 "Mein Angebot an die Gemeinde steht nach wie vor", bekräftigte der Unternehmer dennoch, "vielleicht wird ja eine rationale Entscheidung getroffen." An Silvester trafen sich ein paar Spieler nochmals zu einem finalen Kick, zur Schlüsselübergabe gleich darauf forderte der Unternehmer dann die vollständige Räumung von Umkleidekabinen, Duschen, Geräteraum und Sprecherkabine. Der Verein packte gemeinsam mit an - und war einen Tag später dann obdachlos.

Showdown im Februar

Der Showdown wartete dann im neuen Jahr: Am 2. Februar wollte der SVL eigentlich zurück auf den Trainingsplatz, einen Tag zuvor kam es zu einer weiteren Gemeinderatssitzung, auf der das Angebot diskutiert wurde. Und abgelehnt.

Denn Gemeinde und Verein zogen ein neues Ass aus dem Ärmel: Ein ortsansässiger Fußballplatzbauer, erklärt Begerl, habe noch einmal nachgemessen; und sein Gutachten brachte Erfreuliches zutage: Aktuell ist der Lohberger Platz 100 Meter lang und 64 Meter breit. Verschöbe man ihn nach links hinten und verkleinere ihn in diesem Zuge auf 90 mal 50 Meter, wäre er zwar nah am regeltechnischen Minimum - würde aber noch auf das verbliebene Gelände der Gemeinde passen. Als Umkleide, so die Pläne, könnte man ein angrenzendes, altes Schulgebäude nutzen, fehlende Sanitäranlagen möglicherweise durch Duschcontainer ersetzen. Und das Vereinsheim? "Hätte eh erneuert werden müssen", sagt Begerl. Ein Provisorium, natürlich, aber man wäre vom Gelände des Unternehmers runter und könnte - vorerst mit Unterstützung des SG-Partners Lam - weitermachen.

Und die Zukunft? Ist offen. "Ich denke, dass das ein Abschluss von Seiten der Gemeinde ist", sagt der Unternehmer auf Nachfrage. Begerl hingegen hofft, in den nächsten Monaten vielleicht doch noch zu einer Einigung zu kommen, viel sei mit dem nun unbenutzten Gelände ja nicht anzufangen.

Die Hirsche übrigens, ob sie nun irgendetwas zu tun haben mit der Geschichte oder auch nicht, sind inzwischen andernorts ausgewildert. Doch das Dorf - "es wird nicht langweilig bei uns", sagt Begerl - hat neue Geschichten. Und der nächste Faschingsumzug steht schon vor der Türe.

Jan Mauer