Europa League

Körbels Erinnerungen an West Ham: Clint Eastwood, Schlamm u

Interview mit Frankfurts Rekordspieler: "Wir zogen uns im Bus um"

Clint Eastwood, Schlamm und eine gebrochene Nase - Körbels Erinnerungen an West Ham

Blickt auf kuriose Geschichten zurück: Bundesliga-Rekordspieler Karl-Heinz Körbel.

Blickt auf kuriose Geschichten zurück: Bundesliga-Rekordspieler Karl-Heinz Körbel. picture alliance/dpa

Auch mit 67 Jahren liebt Körbel den Fußball und "seine" Eintracht mit jeder Faser seines Körpers. Das spürt man sofort, wenn der frühere Verteidiger vergnügt und lebhaft anfängt, von den Erlebnissen seiner mit 602 Bundesligaspielen einmaligen Karriere zu erzählen. Obwohl er in den hessischen Osterferien mit seiner Fußballschule alle Hände und Füße voll zu tun hat, um 250 Kindern wöchentlich ein tolles Programm zu bieten, nahm er sich für den kicker Zeit, um über das Halbfinale 1976 und die bevorstehenden Partien gegen West Ham zu sprechen.

Herr Körbel, am kommenden Donnerstag tritt die Eintracht zum Halbfinal-Hinspiel bei West Ham an. Das ist die Neuauflage des Duells von 1976, mit gerade einmal 21 Jahren standen Sie damals noch am Anfang Ihrer Karriere. Welche Erinnerungen holen Sie ein, wenn Sie an das Halbfinale im Europapokal der Pokalsieger zurückdenken?

Die Reise nach London ging für uns mit einer großen Überraschung los: Wir kamen im zu dieser Zeit besten Hotel der Welt unter, dem Dorchester an der Park Lane. Das gibt es bis heute. In so einem guten Hotel war ich noch nie in meinem ganzen Leben. Überall tummelten sich Filmstars wie Clint Eastwood oder Gary Grant - und in dieser Glitzerwelt, die ich nur aus dem Kino kannte, liefen wir in unseren Trainingsanzügen herum. Ich weiß bis heute nicht, wie die Eintracht auf dieses Hotel kam.

Der Upton Park, wo das Spiel stattfand, lag allerdings gut 15 Kilometer weit entfernt, was bei der Anfahrt für einige Komplikationen sorgte.

Ja. Dabei fuhr der Busfahrer die Strecke vorher extra ab, danach meinte er, dass wir eine halbe Stunde zum Stadion brauchen. Aber am Spieltag schüttete es in London wie verrückt und die Straßen waren in der Rush Hour zu. Wir fuhren eineinhalb Stunden oder sogar noch länger. Bis zum Anpfiff wurde es immer enger und enger. Was auch ungewöhnlich war: Die Journalisten saßen mit uns im Bus, weil es keinen anderen gab. Ich erinnere mich noch, dass vom kicker Wolfgang Tobien dabei war. Unser Trainer Dietrich Weise ließ den Bus schließlich im Stau anhalten, und unser Zeugwart Toni Hübler musste die Trikots auspacken. Dann zogen wir uns im Bus um und sind direkt raus auf den Platz, als wir eine halbe Stunde vor dem Anpfiff endlich da waren.

Welchen Einfluss hatte diese Anreise auf das Sportliche?

Wir hatten nicht mal eine Mannschaftssitzung! Außerdem brauchst du als Spieler auch eine gewisse Ruhe, es ging immerhin um den Einzug ins Endspiel. Ich weiß noch, dass unser Masseur im Bus die Spieler massierte und Verbände anlegte. Zu allem Übel war dann auch noch der Platz ein richtiger Acker, was West Ham in die Karten spielte. Die sind kampfstark, das werden wir auch jetzt sehen.

Wie lief das Spiel?

Sie setzten uns sofort unter Druck, da hieß es: Feuer frei. Und wir wurden beschissen, in der zweiten Hälfte hätten wir einen Handelfmeter bekommen müssen. Entscheidend war allerdings, dass Roland Weidle aus drei Metern an den Innenpfosten schoss, diesen Ball hätte er reinmachen müssen, dann wären wir im Finale gewesen. Solche Möglichkeiten musst du einfach nutzen, dieses Gesetz gilt auch jetzt im Halbfinale. Wir hätten mit unserer Mannschaft, mit Grabi und Holz (Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein, Anm. d. Red.), ins Endspiel kommen müssen. Allerdings hatten wir ein Problem im Tor.

Er trug Kontaktlinsen und hatte sich die Haare nach vorne gekämmt und mit Taft festgeklebt. Durch den strömenden Regen fielen ihm mit der Zeit aber die Haare ins Gesicht, zwei Tore hat er gar nicht gesehen.

Karl-Heinz Körbel über Ersatzkeeper Peter Kunter

Wo Peter Kunter zwischen den Pfosten stand.

Unsere Nummer 1 Günter Wienhold hatte sich einige Wochen zuvor beim Spiel in Gladbach den Knöchel gebrochen. Deshalb musste Doktor Kunter spielen, der seine Karriere mit 34 Jahren eigentlich schon beendet hatte. Keiner rechnete damit, dass Wienhold etwas passieren könnte. Ich glaube, dass uns diese Verletzung nicht nur das Endspiel, sondern auch die deutsche Meisterschaft kostete. Kunter trainierte nach Wienholds Verletzung zwar wie verrückt, quälte sich und kochte in der Sauna ab, aber er kam nicht mehr richtig in Form. Bei West Ham war es für ihn dann besonders schwierig. Er trug Kontaktlinsen und hatte sich die Haare nach vorne gekämmt und mit Taft festgeklebt. Durch den strömenden Regen fielen ihm mit der Zeit aber die Haare ins Gesicht, zwei Tore hat er gar nicht gesehen. Er hätte einen Scheibenwischer gebraucht. Dann kam noch der Schlamm in den Strafräumen dazu, plus die fehlende Spielpraxis. Heute lacht man darüber, aber damals lief alles gegen uns.

Dabei hatte die Eintracht das Hinspiel im Waldstadion sogar 2:1 gewonnen.

Trevor Brooking gegen Roland Weidel

Schwer zu stoppen: Trevor Brooking (gegen Roland Weidle). imago sportfotodienst

Das erste Spiel hätten wir höher gewinnen müssen, weil wir klar überlegen waren. In Frankfurt spielte ich noch gegen Trevor Brooking, der einer der besten englischen Stürmer und auch Nationalspieler war. Das war eine Maschine wie Robert Lewandowski. Im Hinspiel schaltete ich ihn aus, das war richtig cool, doch dann brach ich mir das Nasenbein. Masken wie heute gab es damals nicht. Im Krankenhaus wurde die Nase gerichtet, ich bekam ein Pflaster drauf und habe bis zum Rückspiel nur Lauftraining gemacht. Weise wollte nicht, dass ich mir noch einmal die Nase breche. Er wusste, dass die Engländer kopfballstark sind und es viel hin und her gehen würde. Deshalb stellte er mich ins Mittelfeld und brachte Bernd Lorenz als Vorstopper, damit ich nicht so viel köpfen muss. Lorenz spielte also gegen Brooking, der dann leider Gottes zwei Tore gemacht hat. Im ganzen Spiel hatte ich acht Ballkontakte, wenn überhaupt (lacht). Es ging mit hohen Bällen wie im Ping Pong hin und her, das Spiel lief völlig an mir vorbei.

Die Engländer hauen dir auf die Socken.

Karl-Heinz Körbel

Wie bewerten Sie jetzt die Chancen gegen West Ham?

Wir haben zwei Gesichter: Das Bundesligagesicht und das internationale Gesicht. Wenn das Flutlicht angeht, die Zuschauer alle da sind und es Choreografien gibt, macht es auf einmal Bumm. Davon wirst du als Spieler getragen. Ich schätze die Chancen 50:50 ein, bei beiden Mannschaften rechnete man nicht damit, dass sie so weit kommen würden. West Ham und die Eintracht verfügen über eine ähnliche Tradition und wissen, dass sie Geschichte schreiben können. Ich erwarte ein völlig anderes Spiel als im Viertelfinale gegen Barcelona, die Engländer hauen dir auf die Socken, kämpfen und marschieren. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass auswärts wie im Camp Nou 30.000 Frankfurter im Stadion sein werden. Wir bekommen ein Kontingent von 3000 Tickets - und fertig. Vielleicht ist es ein Vorteil, dass wir zuerst auswärts spielen. Allerdings hat West Ham im Viertelfinale mit dem 3:0 in Lyon gezeigt, dass sie auch auswärtsstark sind. Uns traue ich alles zu, weil wir dazu in der Lage sind, außergewöhnliche Leistungen zu vollbringen.

Worauf kommt es besonders an?

Sebastian Rodes Auftritt in Barcelona ist das Paradebeispiel dafür, dass wir weit, weit, weit über unsere Grenzen gehen müssen. So muss es auch gegen West Ham sein. Dann werden wir ins Endspiel kommen. Wer sich mehr quält, wird der Sieger sein. Normalerweise hätte ich damals im Endspiel stehen müssen, vielleicht gibt es jetzt die Rache.

In Sevilla könnte es am 18. Mai zum deutschen Finale gegen Leipzig kommen - eine undankbare Aufgabe?

Leipzig wird wahrscheinlich ins Endspiel kommen. Aber da sage ich: Die hatten auch im DFB-Pokalhalbfinale gegen Union Berlin Probleme. In einem so einmaligen Spiel wären wir dazu in der Lage, Leipzig zu schlagen. Wir können das Ding gewinnen! Wenn alles stimmt.

Gehen Sie in der von Verantwortlichen und Medien vielfach geäußerten Bewertung mit, dass der Sieg in Barcelona ein Jahrhundertspiel war? Oder ist das zu hoch gegriffen?

Ich weiß nicht, wie viele Jahrhundertspiele ich gemacht habe... (lacht) Das haben 1975 auch alle gesagt, als wir die Bayern mit allen Granaten 6:0 geschlagen haben. Wenn wir im Camp Nou den Titel gewonnen hätten, wäre das ein Jahrhundertspiel gewesen. So tue ich mir mit diesem Begriff schwer. Trotzdem geht dieses Spiel in die Geschichte von Eintracht Frankfurt ein, es hat in ganz Europa Wellen geschlagen.

Interview: Julian Franzke