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Brdaric im Interview: "Wir sind im Aufwind, die Entwicklung ist da"

Indien: Der Ex-Stürmer und sein erstes Jahr mit Chennaiyin FC

Brdaric im Interview: "Wir sind im Aufwind, die Entwicklung ist da"

Landete mit seinem Verein im unteren Mittelfeld: Thomas Brdaric (Mitte).

Landete mit seinem Verein im unteren Mittelfeld: Thomas Brdaric (Mitte). IMAGO/Pacific Press Agency

Platz acht zum Saisonschluss in der Indian Super League - hätte es etwas mehr sein dürfen, Herr Brdaric?
Das hätte es, natürlich. Es war eine sehr durchwachsene Saison. Manches haben wir selbst verbockt. Andere Umstände kamen hinzu, die ich aber nicht als Entschuldigungen anführen möchte.

Welche?
Klassische Dinge, die einem Trainer nicht passen. Verletzungen, zu viele Gegentore. Wir hatten auch ziemliches Schiedsrichterpech. Fünf klare, nicht gegebene Elfmeter für uns in 20 Spielen sind schon eine Menge. Erklären lässt sich unser Abschneiden aber vor allem mit dem immensen Umbruch seit meinem Einstieg voriges Jahr. Wir hatten zwischenzeitlich noch 37 Spieler im Kader. Wir wussten alle, dass das zu viel war und haben uns sukzessive auf 24 verschlankt.

Lief es dann besser?
Ja, klar. Ein ganz anderes Arbeiten. Wir haben zum Beispiel vier, fünf Spieler, die zuvor noch keine ISL-Erfahrung hatten, dazu gebracht, Stammspieler zu werden, teilweise auf Schlüsselpositionen. Indische Talente sind auf dem Weg, für die Nationalmannschaft interessant zu werden. Wir sind im Aufwind, die Entwicklung ist da.

Woran machen Sie sie konkret fest?
Wenn es stocken würde, hätten wir gerade zuletzt, als in der Meisterschaft der Zug für die vorderen Plätze abgefahren war, nicht mehr überzeugend gewinnen können. Das haben wir aber geschafft. Tatsächlich sind wir in keinem der 20 Spiele richtig unterlegen gewesen. Unterm Strich fehlten so zwei, drei erfolgreichere Auftritte. Aber die Jungs lernen. Sie fangen an, in den wichtigen Phasen der Spiele das Momentum mehr und mehr auf unsere Seite zu ziehen.

Warum sind die Teams an der Spitze, Mumbai City und Hyderabad, dennoch aktuell so weit weg?
Weil diese Klubs in den letzten Jahren schon geschafft haben, was bei uns erst angelaufen ist: Sie haben ihre Kader streng nach Leistung strukturiert, die Defensive stabilisiert, Konstanz in den Resultaten erreicht. Aber auch wir haben jetzt schon ligaweit mit die meisten Chancen herausgespielt und auch mit die meisten Tore geschossen. Ich bin persönlich zwar etwas enttäuscht von der Gesamtausbeute, aber stolz auf die Mannschaft. Wir sind wettbewerbsfähig, und das können wir ja demnächst schon wieder beweisen.

Im indischen Supercup, dessen Gewinn noch einen Startplatz in der Asian Champions League beschert.
Richtig, darauf bereiten wir uns nun vor. Es wird ein hartes Stück Arbeit. Gespielt wird mit einem Teilnehmerfeld von 16 Mannschaften in einem Mix aus Erst- und Zweitligisten, und das in Turnierform den April hindurch.

Wie geht es dann weiter, auch angesichts Ihres auslaufenden Vertrags: Bleiben Sie dem Klub erhalten?
Der Verein hat mir signalisiert, dass er weitermachen möchte und ich bin im Gegenzug auch dankbar, diesen Job machen zu dürfen. Alle sehen, wie sich etwas bewegt, wenn man kontinuierlich arbeitet, ohne überzogenen Druck. Wir wollen einfach Schritt für Schritt etwas machen aus der Sache hier, Nachhaltigkeit vor allem mit indischen Spielern erreichen.

Spielen dann internationale Verstärkungen wie die in Deutschland bekannten Fallou Diagne, Julius Düker oder Petar Sliskovic künftig weniger eine Rolle?
Nicht wenn sie, wie diese drei, absolute Stammspieler-Qualitäten haben und das Team mit Leistung oder Toren anführen. Aber es ist eben für alle auch wichtig zu sehen, dass sich etwa ein einheimischer 25-Jähriger wie Anirudh Thapa bei uns zum Kapitän und als Box-to-box-Spieler zum Leistungsträger aufschwingt. Wir schauen uns den Kader gerade genau an, werden ihn jedoch nicht einfach verändern, nur um mehr indische Spieler einzubauen. Wenn wir sie bekommen - gerne. Aber sie müssen uns besser machen.

Was können Sie nach einem Jahr allgemein über den Stellenwert des indischen Fußballs sagen?
Mit Nationaltrainer Igor Stimac gelang die Qualifikation zur bevorstehenden Asienmeisterschaft, das ist ein erfreuliches Zwischenergebnis. Die A-Nationalmannschaft und auch die U 21 machen Fortschritte, was die taktischen Möglichkeiten angeht. Vor allem aber erreichen sie immer mehr die physischen Voraussetzungen, um mit hoher Intensität Fußball zu spielen.

Haben Sie manchmal Sehnsucht nach Europa?
Ich verfolge hier alles, so gut es geht. Theoretisch kann ich hier quasi den kompletten europäischen Fußball und die deutsche 2. und 3. Liga im TV sehen, live ist es manchmal wegen der Zeitverschiebung anstrengend. Tagsüber gibt es wegen des Klimas viel Leerlauf, der Rest ist meist Training, dann irgendwann auch einmal Schlaf. Ich hatte zuletzt Anfragen aus der Türkei, Portugal. Gute Sachen, bei denen ich durchaus überlegt habe, wo mein Weg weitergeht. Aber die Perspektiven hier haben das Pendel gedanklich stets wieder Richtung Indien ausschlagen lassen.

Wie kommen Sie denn persönlich im Alltag dort zurecht?
Fußball ist das eine, aber du musst selbstverständlich auch mit dem jeweiligen Land klarkommen, das habe ich in meiner Karriere gelernt. Das Klima hier verlangt dem Körper schon einiges ab und bestimmt vielfach den Tagesrhythmus. Wir leben im Hotel, das hat Vorzüge - bis man das Hotel einmal verlässt und sich auf eigene Faust auf den Weg irgendwohin macht. Es gibt so viele Menschen hier, ein unglaublich pulsierendes Leben. Da fühlt man sich auf der Straße manchmal wie früher in diesen Videospielen, in denen man ständig Hindernissen ausweichen muss. Von rechts, von links. Und manchmal sogar von oben…

Interview: Michael Richter