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Thomas Broich: "Flick steht für diese Art von Fußball"

Als WM-Experte für die ARD im Einsatz

Thomas Broich: "Flick steht für diese Art von Fußball"

Wird bei der WM in Katar als Experte für die ARD im Einsatz sein: Thomas Broich.

Wird bei der WM in Katar als Experte für die ARD im Einsatz sein: Thomas Broich. Getty Images

Im großen Interview, ab Sonntagabend im E-Magazine und ab Montag im kicker, spricht der Ex-Profi ausführlich über seinen Job als Leiter Methodik der Akademie von Hertha BSC. In diesem Part des Gesprächs nun geht’s um die Ansichten des 41-Jährigen zur WM - sportlich wie gesellschaftskritisch.

Herr Broich, wie kriegen Sie den Spagat hin als WM-Experte zwischen Fußball und den brisanten Themen drum herum?

Ich möchte die Umstände dieser WM, all das Negative, auf keinen Fall ausblenden. Trotzdem soll und möchte ich am Ende auch über Fußball reden. Gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen müssen wir im Verbund mit allen Ressorts die Balance hinbekommen: Lageberichte - und politische Hintergründe. Und zur angemessenen Zeit auch die Schönheit des Spiels feiern.

Taktik ist Ihre große Leidenschaft. Was wünschen Sie sich unter technisch-taktischen Aspekten bei dieser WM? Inwieweit kann der Fußball noch mal neu erfunden, Trends gesetzt werden bei so einem Turnier?

Trends werden eher in den Klubs gesetzt. Wenn man so will, wird der Fußball in der Champions League erfunden. Da ist die Creme de la Creme unterwegs, die genialsten Spieler, die besten Trainer, die hellsten Köpfe. Da wird das Spiel entwickelt. Am Ende schaut man sich trotzdem gerne vom Weltmeister etwas ab. Wenn der Weltmeister mit einer Doppelsechs spielt oder mit einem wuchtigen Neuner, dann ist das mitunter stilprägend. Im Vorfeld ist es schwierig zu sagen, was Neues passieren wird. Gespannt bin ich, ob sich fortsetzt, was der kicker neulich in einer Analyse über die einrückenden Außenbahnspieler thematisiert hat: Dass eben unheimlich viel durchs Zentrum gespielt wird. Die Breite, wie sie früher da war, ist bei vielen Mannschaften gar nicht mehr vorhanden. Aber es wird unheimlich geil gezockt in der Mitte. Jamal Musiala ist da ein Wahnsinnsbeispiel. In welchen Räumen die Bayern da noch aufdrehen, durch welche Nadelöhre sie sich durchkombinieren - das beobachtet man mehr und mehr bei Spitzenteams. Dennoch gibt es auch weiterhin die pfeilschnellen Außen, die ins Eins-gegen-eins gehen. Das wird auch bei der WM eine Rolle spielen.

Ich denke und hoffe, dass wir viele offensive, aggressive Spielweisen antreffen werden.

Thomas Broich

Erwarten Sie spielerisch die beste WM seit langem, vielleicht sogar aller Zeiten, weil alle Spieler im Saft und nicht am Ende einer langen Saison stehen?

Ich halte das tatsächlich für möglich. Natürlich gab es auch Verletzte wegen der jüngsten englischen Wochen, vielleicht ist der eine oder andere auch im Tief gewesen. Aber grundsätzlich sollten die Spieler zu diesem Zeitpunkt der Saison über ein top Fitnesslevel und einen guten Rhythmus verfügen. Hinzu kommt bei vielen hoffentlich diesmal eine offensive Grundidee. Das Schlimmste bei der WM in Russland waren die Defensivdenker, das ständige Entscheiden der Spiele über Standards. So was sehe ich jetzt eher weniger. Ich denke und hoffe, dass wir viele offensive, aggressive Spielweisen antreffen werden.

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Was könnte deren Entfaltung verhindern?

Vielleicht die typische WM-Denke: Wir müssen gut starten, brauchen eine stabile Defensive, dürfen das erste Spiel nicht verlieren. Aber am Ende gehört die Welt doch eher den Mutigen. Siehe Italien bei der EM. Gerade bei den Topteams in Europa ist alles auf Angriff gepolt. Auch jetzt haben viele Mannschaften in der Offensive ein extremes Potenzial. Ich habe die Hoffnung, dass Teams, die defensiv agiert haben und ausgeschieden sind, daraus die Lehren gezogen haben. Das Schlimmste für Deutschland bei der EM war doch, dass wir es nicht wirklich "wissen" wollten.

Was meinen Sie?

Man hatte nicht das Gefühl, dass wir tausendprozentiges Zutrauen in unsere Fähigkeiten hatten. Bei der Achtelfinalniederlage gegen England hatten wir nur drei ausgewiesene Offensivkräfte in der Startelf. Man kann doch ausscheiden, das ist überhaupt keine Schande. Aber dann bitte nicht mit einer so vorsichtigen Haltung. Da fragt man sich dann am Ende nach einer knappen Niederlage: War das unser wahres Gesicht auf dem Platz? Hätten wir nicht mehr gekonnt? Viele Mannschaften, die jetzt dabei sind, haben auf dem Papier den Anspruch, offensiv zu agieren: die Spanier, die Deutschen, die Portugiesen, die Brasilianer, die Argentinier. All diese Teams müssen doch sagen: Wir wollen diktieren, wir wollen unser Spiel durchdrücken.

Broich hofft auf "Lauf" bei DFB-Team

Ist Deutschland unter Hansi Flick wieder mutiger, mutig genug, um eine dieser Favoritenrollen einnehmen zu können?

Den einen Favoriten sehe ich nicht. Aber wenn die Truppe einen Lauf kriegt, dann kann sie bis zum Ende mitmischen. Flick hat das bei Bayern bewiesen, als er die Champions League gewann: Mehr Mut geht nicht - wie hoch da die Viererkette stand! Das haben Gegner zwar decodiert und wird es in der Form wohl nicht mehr geben. Aber Flick steht für diese Art von Fußball. Das ist gut.

Bleibt ihm aber auch vielleicht nichts anderes übrig als die Flucht nach vorne angesichts des Potenzials in den verschiedenen Mannschaftsteilen, wenn sogar das Denken des Sechsers Joshua Kimmich primär nach vorne ausgerichtet ist?

Das ist doch schön. Lasst uns unsere Stärken aufs Feld bringen. Kimmich, für mich übrigens einer der besten Sechser der Welt, macht offensiv so viel Gutes, dass die Rechnung mit ihm aufgeht, selbst dann, wenn er mal nicht da steht, wo vielleicht ein anderer Sechser defensiv stehen würde. Das ist wie bei Manuel Neuer, der von hinten heraus zockt und hochsteht. Ja, manchmal verzockt er sich und kriegt ein billiges Gegentor. Aber das ist doch im Verhältnis gesehen eher die Ausnahme. Wir gewinnen viel mehr, wenn wir unsere Stärken aufs Parkett bringen.

Sie sagten schon, dass es keinen eindeutigen Favoriten gibt. Aber kann vielleicht eine Mannschaft alle anderen überraschen?

Auch die kleineren Nationen sind mittlerweile gespickt mit Spielern, die in den Topligen ihr Geld verdienen. Mit Sicherheit wird eine davon weit kommen. Welche das sein wird, lässt sich im Vorfeld schwer sagen. Das hängt viel vom Momentum und Spielglück ab.

Wir befinden uns moralisch auf dünnem Eis, ganz klar.

Thomas Broich

Noch mal ein Blick weg vom Rasen: Was können Sie mit Blick auf die Missstände in Katar der Logik derer abgewinnen, die sagen, dass sich dort nichts ändern würde, wenn man nicht dort hinfährt, nicht dort trainiert, keine WM ausrichtet und nur dadurch überhaupt der Fokus darauf gelegt wird?

Schwierig. Es ist richtig, dass öffentliches Interesse auch Druck generieren und zu Veränderungen führen kann. Aber das war ja niemals die ursprüngliche Motivation. Wir sollten uns schon hinterfragen, mit wem wir Geschäfte machen wollen und das nicht im Nachhinein so rechtfertigen. Die ganze Vergabe, die ganzen Deals, die in der Folge zustande gekommen sind - all das ist und bleibt fragwürdig. Wir befinden uns moralisch auf dünnem Eis, ganz klar. Aber ich sage auch: Scheinheilig sollten wir auch nicht sein und nur moralisierend durch die Gegend laufen. Das hilft auch keinem weiter. Es gibt gewisse Mechanismen in der Welt, die sind nicht schön. Man kann sie aber auch nicht immer ausblenden. Die reine Lehre ist auch nicht immer der gangbare Weg, aber man kann zumindest unterwegs viel Gutes bewirken. Es ist ja tatsächlich auch was passiert, zum Beispiel Verbesserungen im Arbeitsrecht. Es tut sich was, es tut sich aber nicht genug. Und dass sich was tut, war ehrlicherweise nicht das Ansinnen, als wir die Deals gemacht haben. Es ist komplex.

Zum Abschluss noch eine Frage, die an ein Zitat angelehnt ist, dass Thomas Broich über Thomas Broich mit Blick auf seine Fußball-Leidenschaft gesagt hat: "Ich bin mir schon bewusst, dass das für manche vielleicht schon manisch obsessiv ist und der eine oder andere zu mir sagt: Zieh doch mal den Stecker, können wir nicht mal über was anderes reden?" Also: Über welches Thema kann man mit Ihnen - nach Fußball - denn am besten reden?

Katzen.

Demnächst dann … Besten Dank, Herr Broich.

Danke, ebenso.

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