Champions League

Kommentar zum Bayern-Aus: Dieser Kader schreit nach neuen Kräften

Eine kommentierende Analyse von kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

Dieser Kader schreit nach neuen Kräften

Frust in München: Lewandowski und Co. bleibt "nur" die Meisterschaft.

Frust in München: Lewandowski und Co. bleibt "nur" die Meisterschaft. IMAGO/Sportfoto Rudel

Die Geschichte aus dem vergangenen Jahr hat sich für die Bayern in dieser Saison wiederholt. Schon zum zweiten Mal hintereinander sind sie im Viertelfinale aus der Champions League ausgeschieden. Während 2020/21 das Aus auf dieser Stufe gegen einen der vermeintlichen Topfavoriten und Geldgiganten, Paris Saint-Germain, einigermaßen hinnehmbar war, trifft die Münchner der jetzige Knockout gegen einen Außenseiter, den FC Villarreal, heftiger.

Dieser spanische Klub ist in der heimischen Liga auf Platz 7 gelistet und zählt nicht zum europäischen Establishment. Mag diese Mannschaft aus Villarreal schon gegen Juventus Turin im Achtelfinale (1:1/ 3:0) überrascht und nun eine Runde später mit ihrer Spielstärke überzeugt haben, so galten die Bayern in diesem Vergleich dennoch als der klare Favorit. Die extrem schwache Vorstellung bei der 0:1-Auswärtsniederlage konnten sie jedoch in der heimischen Arena nicht korrigieren.

Einfallsloses Mühen der Münchner

Nach einem vor der Pause zähen und extrem fehlerhaften Vortrag mit vielen zu langen Pässen ins Nichts und ohne jede Torchance legten die Münchner nach dem Wechsel forsche 20 Minuten ein. Der Kopfball Thomas Müllers, der völlig freistand, war allerdings die letzte aussichtsreiche Gelgenheit (71.). Insgesamt blieb es ein einfallsloses Mühen der Münchner, die keinen Spielfluss, keine Kombinationen, kein Positionsspiel zustande brachten.

Es fehlten der Esprit, die individuelle Durchsetzungsfähigkeit (Leroy Sané), stattdessen störten schlimme Fehlpässe (Lucas Hernandez) und miserable Standards (Joshua Kimmich) den Rhythmus. Von Kingsley Coman ging zumindest eine gewisse Gefahr aus, Robert Lewandowski erzielte wenigstens ein Tor - mehr aber nicht. Und so passierte das Vermeidbare, dennoch Logische: Die Bayern-Defensive wurde wieder einmal aus der Tiefe des Mittelfeldes durchfräst. Ihre einzige Chance vergoldeten die krass defensiven, jedoch eminent coolen und ballsicheren Spanier zum 1:1-Ausgleich und Einzug ins Halbfinale.

Die Münchner hingegen wurden seit dem Triple 2012/13 zum dritten Mal im Viertelfinale zwangsverabschiedet, 2018/19 war schon eine Stufe davor Schluss, nach 0:0 und 1:3 gegen den FC Liverpool. Die schöne Aussicht auf die diesjährige Vorschlussrunde eben gegen die "Reds" und ihren Teammanager Jürgen Klopp bleibt damit ein unerfüllter Traum.

Es gibt für dieses Scheitern aktuelle und grundsätzliche Gründe

Zu - internationalen - Großtaten sind die Bayern der Gegenwart einfach nicht gut genug. Die schwankenden Leistungen speziell in 2022 führten fast schon direkt hin zu diesem Misserfolg. Es gibt für dieses Scheitern aktuelle und grundsätzliche Gründe.

Zunächst verhinderte die individuelle Form mehrerer FCB-Profis sportliche Glanzleistungen. Wer außer Torwart Manuel Neuer erledigt in dieser Saison seine Arbeit konstant auf dem in dieser Sphäre geforderten Topniveau? Lewandowski schönt seine sonstige Form mit den von einem Torjäger seiner Kategorie erwarteten Treffern. Auch Coman ist noch einigermaßen gefährlich unterwegs, wohingegen es Serge Gnabry, Müller und Sané besser können.

(L-R) Bayern Munich's German forward Thomas Mueller, Bayern Munich's Polish forward Robert Lewandowski and Bayern Munich's French defender Dayot Upamecano react after the UEFA Champions League quarter-final, second leg football match FC Bayern Munich v FC Villarreal in Munich, southern Germany on April 12, 2022. (Photo by Jose Jordan / AFP) (Photo by JOSE JORDAN/AFP via Getty Images)

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Für den Bereich dahinter gilt dieser Befund genauso. Kimmich bestätigt seine eigenen Ansprüche nicht, Leon Goretzka war lange verletzt und in diesem Viertelfinale II sehr präsent. Und die Abwehrkette - ob mit drei oder vier Verteidigern besetzt - gönnt sich zu viele Patzer, sie ist nicht abgestimmt, es fehlen die Kommunikation und der Kommandogeber. Im Zentrum übt der diesmal gute Dayot Upamecano weiterhin Bayern-München-Standard, Hernandez ist ein entschlossener Zweikämpfer aus der Diego-Simeone-Schule, aber genauso wenig mit der Gnade der souveränen Spielereröffnung gesegnet wie Upamecano. Hernandez' Flanken und Pässe irrten gegen Villarreal durch die Arena und zumeist ins Aus oder in Gegners Beine.

Zweiklassengesellschaft im Bayern-Kader

Alle diese Namen finden sich jedoch in nahezu jeder Aufstellung, weil die Belegschaft gravierenden Personalaustausch nicht zulässt. Der deutsche Rekordmeister beschäftigt 2021/22 rund 14 Feldspieler der Spitzenklasse, dahinter setzt ein steiler Qualitätsabfall ein. Deshalb schreit dieser Kader nach neuen, nahezu gleichwertigen Kräften, damit der Konkurrenzkampf forciert wird, wie dieses zusammenhanglose und wenig energische Gespiele offenbarte.

Der FC Bayern muss diese Zweiklassengesellschaft - hier die Stars mit Stammplatzgarantie, dort die chancenlosen Ersatzbänkler - in dieser deutlichen Ausprägung auflösen. Es müssen bessere Herausforderer dazukommen, dazu Angestellte ohne Perspektive und Auftrag einvernehmlich ausgetauscht werden. Es wird ein schwieriger Auftrag.

Es braucht Fantasie für strukturelle Reformen

Erst dann kann auch ein definitives Urteil über Julian Nagelsmann gefällt werden. Der junge Trainer importierte viel Elan, übernahm aber eine schwächere Gruppe, nachdem David Alaba und Jerome Boateng gegangen waren, im Jahr zuvor Thiago, Ivan Perisic oder Philippe Coutinho. Marcel Sabitzer rechtfertigte Nagelsmanns Vertrauen - man kennt sich aus Leipzig - in nur ganz dünnen Ansätzen. Verschiedene Ausfälle über eine längere Periode - siehe die Stammkräfte Alphonso Davies, Goretzka oder Kimmich - ließen das Gefüge ungefestigt und unkoordiniert; und die diversen Wechsel in System und Startelf förderten die Stabilität auch nicht. Die Probleme in der Hintermannschaft - Achtung: defensives Mittelfeld! - blieben ungelöst.

Die Mannschaft braucht nicht nur einen Rechts- und Innenverteidiger, sondern auch ein strategischer und abwehrstarker Sechser muss eine Überlegung wert sein. Die personelle und in der Folge fußballspezifische Erneuerung des FC Bayern wird und muss sich fortsetzen. Die Finanzen diktieren allerdings unwillkommene Einschränkungen. Deshalb braucht es zusätzlich Fantasie für strukturelle Reformen.

Der sportliche Ertrag 2021/22 gleicht dem der Vorsaison: Die Bayern werden zwar Meister, scheiterten aber im DFB-Pokal jeweils in der zweiten Runde und international im Viertelfinale. Die Meisterschaft, gerade die zehnte in Serie, ist definitiv aller Ehren wert, aber im Selbstverständnis des FC Bayern eher ein Trostpreis. An der Säbener Straße werden nun sehr direkte Fragen gestellt werden. Sie verlangen schonungslose, sehr perspektivische Antworten und professionelle Reaktionen.

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