Champions League

Der Schock von Hannover: Wie Jaissle Salzburg-Trainer wurde

Die Geschichte des 33-jährigen Ex-Hoffenheimers

Aufgerafft nach dem Schock von Sinsheim: Wie Jaissle Salzburg-Trainer wurde

Will mit Salzburg in der Champions League jetzt auch den FC Bayern ärgern: Matthias Jaissle.

Will mit Salzburg in der Champions League jetzt auch den FC Bayern ärgern: Matthias Jaissle. imago images (2)/Getty Images

Weltmeister? Warum denn eigentlich nicht? Im März 2009 liegt der Titel von Rio noch fünf Jahre entfernt, und bis auf Philipp Lahm hat auch die Abwehr vom späteren Finale noch ein gutes Stück Weg vor sich. Jerome Boateng bekommt erst im Herbst sein erstes A-Länderspiel, Mats Hummels muss fast ein weiteres Jahr darauf warten, Benedikt Höwedes sogar noch zwei, Shkodran Mustafi kickt für die U 17 des Hamburger SV. Als ein Mann der Zukunft beim DFB gilt damals ein junger Kerl vom Aufsteiger Hoffenheim: Matthias Jaissle.

Das Versprechen hält jedoch nur bis zum 21. März vor 13 Jahren und dem Heimspiel der TSG gegen Hannover. Hansi Flick, damals Jogi Löws Assistent, sitzt auf der Tribüne im nagelneuen Sinsheimer Stadion und beobachtet Jaissle, einen von Ralf Rangnick ausgebildeten Innenverteidiger, schneller Antritt, gute Spieleröffnung, kopfballstark, extrem lernwillig. Oben notiert Flick seine Eindrücke, unten verdreht sich Jaissle böse das Knie. Riss des vorderen Kreuzbands, der Anfang vom Ende als Profi, knapp eine Woche vor dem 21. Geburtstag.

Es dauert anderthalb Jahre bis zum Comeback, dann folgen erst eine Meniskus-OP und Knöchelprobleme, schließlich reißt die Achillessehne. Mit 26 Jahren und nur 31 Bundesligaspielen ist die Spielerkarriere vorbei. Es bleiben die Erinnerungen an den Aufstieg in die Bundesliga und die furiose Herbstmeisterschaft 2008. Doch noch mehr prägt Jaissle der Moment, als der Arzt ihm sagte: "Das wird nichts mehr."

"Ralf hat schon einen Trainer in mir gesehen, als ich davon noch gar nichts wusste"

Danach sei er erstmal "in ein Loch gefallen", erzählt Jaissle, bis heute findet er es "sehr schade, nicht zu wissen, wo mein Limit gewesen wäre". Er hört 2014 als Fußballer auf, in dem Jahr, als Boateng, Hummels, Höwedes und Mustafi im Maracana ihren größten Triumph feiern. Jaissle braucht Monate, bis er sich wieder aufrafft und gleich mehrere Studiengänge belegt, unter anderem macht er den Bachelor in Sport Business Management. "Nur Golfspielen und mit Freunden treffen wäre doch etwas langweilig geworden."

Jaissle arbeitet sich ins Scouting ein und vertieft sich ins Erstellen von Spielanalysen, schließlich wird er Jugendcoach bei Rangnick in Leipzig. "Ralf hat schon einen Trainer in mir gesehen, als ich davon noch gar nichts wusste", sagt Jaissle. Er assistiert Alexander Zorniger zwei Jahre bei Bröndby in Kopenhagen und kehrt dann wieder zurück zum Dosenkonzern. Erst in die Akademie und nach ein paar Monaten als Chefcoach des FC Liefering, dem Red-Bull-Farmteam in der 2. Liga in Österreich, steigt Jaissle im vergangenen Frühjahr etwas überraschend auf zum Nachfolger von Jesse Marsch in Salzburg.

"Mutig, frech und selbstbewusst" gegen das "überragende Paket" Bayern

Es ist ein Experiment. "Fußball von morgen" lautet das Motto in Salzburg, es klingt nach Zukunftslabor. Der 33-jährige Jaissle übernimmt einen Kader mit einem Altersschnitt von nicht einmal 23 Jahren, ein Dutzend Teenager ist darunter, Talente aus Kroatien, den USA oder Mali. Zum Topstar schwingt sich bald der deutsche Stürmer Karim Adeyemi auf, aber auch Brenden Aaronson oder Mohamed Camara werden nicht mehr allzu lange in Österreich spielen. Just gegen Jaissles Ex-Klub Bröndby gelingt im August in den Play-offs der Sprung in die Gruppenphase der Champions League, mit zehn Siegen in den ersten zehn Pflichtspielen stellt er als Coach einen neuen Vereinsrekord auf.

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In der rot-weiß-roten Bundesliga steht Salzburg heute so souverän wie pflichtgemäß auf Platz 1, am Freitag gab es im ersten Spiel nach der Winterpause ein 2:1 bei Rapid Wien. In der Champions League schaffte es der Verein mit dem jüngsten Team in der Geschichte des Wettbewerbs zum allerersten Mal ins Achtelfinale, als Zweiter der Wolfsburg-Gruppe hinter Lille OSC. Und dort geht es am Mittwoch (21 Uhr, LIVE! bei kicker) daheim im Hinspiel gegen Bayern München.

"Mutig, frech und selbstbewusst" will Jaissle die Sache angehen, so kündigt er es im Interview mit dem kicker an. Denn natürlich hat sein Team an einem herausragenden Tag auch die Chance, die Großmacht aus München zu ärgern. "Der Bayern-Kader hat von vorn bis hinten nur absolute Top-Qualität, dazu noch ein Weltklassetrainer, das ist schon ein überragendes Paket", sagt Jaissle respektvoll.

Es gibt einiges, was Jaissle als Spieler hasste

Den nur ein Jahr älteren Julian Nagelsmann kennt er noch aus Hoffenheimer Zeiten, hie und da schreibe man sich. "Vor seiner Trainerkarriere kann man nur den Hut ziehen. Erst Hoffenheim in einer ganz schwierigen Lage gerettet und bis in die Champions League geführt, dann auch in Leipzig erfolgreich, und jetzt beim größten Verein Deutschlands wieder überragende Arbeit. Das alles in diesem Alter. Einfach nur stark, wie Julian das macht." Aber Jaissle selbst braucht sich ja ebenfalls kaum zu verstecken.

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Den Gegner früh attackieren, "um ihn maximal zu stressen", so lautet sein Plan, selbst gegen die Bayern. Aggressives Pressing und Gegenpressing - das hat er unter Rangnick selbst bis zur Erschöpfung geübt. Aber nicht alles war früher besser, es gab einiges, was er als Spieler hasste. "Videositzungen, die länger als eine Stunde dauerten. Oder aufgezwungene Teambuilding-Maßnahmen." Also das Wildwasser-Rafting und die beliebten Hüttenabende im Trainingslager am Wilden Kaiser.

2008 hält Jaissle Klose in Schach, kommt aber bei Toni zu spät

Jaissle will einiges anders machen. Zwar zahlen auch die jungen Salzburger Talente Strafen, wenn sie zu spät kommen. Es gibt aber außerdem eine Mitarbeiter-Box im Profitrakt, aus der Spieler Wünsche der Angestellten ziehen und diese erfüllen. Das Thema Leadership interessiert ihn besonders. "Ich versuche immer, über den Tellerrand zu schauen, und spreche zum Beispiel mit Vorständen aus der Wirtschaft oder lasse mich von Extremsportlern inspirieren." Auch Sachbücher und Biografien liest er gern, etwa über Gehirnforschung, über Apple-Gründer Steve Jobs oder über die All Blacks, das Rugby-Team Neuseelands. "Man lernt dabei viel über Zusammenhalt und Mannschaftsführung." Denn er leitet ja nicht nur seine jungen Spieler an, sondern hat Verantwortung für einen Staff von 30 Mitarbeitern.

Luca Toni schießt im Dezember 2008 gegen Hoffenheim zum 2:1-Sieg ein - Matthias Jaissle (hinten) kommt zu spät.

Luca Toni schießt im Dezember 2008 gegen Hoffenheim zum 2:1-Sieg ein - Matthias Jaissle (hinten) kommt zu spät. imago sportfotodienst

Sie alle fiebern dem Duell mit dem großen FC Bayern entgegen. Jaissle selbst kennt es ja noch aus seiner aktiven Zeit und nennt es "das größte Spiel meiner Karriere". Damals im Dezember 2008 wird das Match zwischen Sensations-Tabellenführer Hoffenheim und den Münchnern in über 160 Länder übertragen. Es ist ein rasantes Wild-West-Spiel in der Arena, Rangnick wollte zuvor ja "nicht die Trikots, sondern die Skalps" der Gegner. Jaissle hält Miroslav Klose weitgehend in Schach, kommt aber beim späten 2:1 von Luca Toni gleich zwei Schritte zu spät.

Im Achtelfinale sollen seine jungen Außenseiter jetzt besser auf Ballhöhe sein. Der junge Trainer ist es oft ohnehin. Leistungssport kann er heute wegen der Achillessehne nicht mehr machen, aber dennoch tigert Jaissle durch die Coaching-Zonen. "Meine Spielerkarriere war so kurz, also hole ich jetzt vielleicht einiges an der Seitenlinie nach. So kommt wenigstens noch etwas Laufleistung zusammen." Und er bleibt fit. Sein Weg als Trainer hat ja erst begonnen.

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Martin Gruener

Wgcl

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