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Nachruf auf "Dixie" Dörner: Ästhet und Antreiber

Nachruf auf Dixie Dörner

Ästhet und Antreiber

Der DDR-Fußball hatte keinen Größeren: Hans-Jürgen "Dixie" Dörner.

Der DDR-Fußball hatte keinen Größeren: Hans-Jürgen "Dixie" Dörner. imago/Sportfoto Rudel

Er hat den Ball geliebt und der Ball ihn, aber manche Sehnsucht blieb auch in dieser sehr innigen Beziehung unerfüllt. Als die DDR 1974 zur WM in die Bundesrepublik fuhr und in Hamburg den Gastgeber und späteren Weltmeister aufs Kreuz legte, saß Hans-Jürgen Dörner zu Hause auf der Couch. Wegen der Folgen einer Gelbsucht verpasste er das Turnier.

"Ich war 23 und tröstete mich damit, dass ich dann eben später eine WM oder EM spiele", hat Dörner Jahrzehnte danach erzählt. Aber die DDR schaffte es nie mehr zu einer WM und nie zu einer EM, und deshalb bekam dieser Libero von Weltformat, der sich seinen Vorwärtsdrang - zum Glück! - von keinem Trainer, nicht mal vom Disziplinfanatiker Georg Buschner, ausreden ließ, nie die Bühne, die ihm gebührt hätte.

"Beckenbauer des Ostens": Nur anfangs fühlte er sich geschmeichelt

Dörners Krönungsmesse wurden die Olympischen Spiele in Montreal 1976. Frankreich kam mit Platini, Brasilien mit Junior, Polen mit Lato und Szarmach, Spanien mit Arconada und Juanito, die Sowjetunion mit Blokhin, aber Gold gewann die DDR, deren Auswahl davor und danach vermutlich nie besser gespielt hat als in jenen Wochen im fernen Kanada. Dörner schoss vier Turniertore, er stand in der Blüte seines Könnens und seiner Kunst. Er hat seine Rolle als Libero nie nur ausgefüllt, er hat sie zelebriert, und er konnte das auch deshalb, weil die Vorstopper vor ihm so kompromisslos abräumten: Konrad Weise in der Nationalmannschaft, Udo Schmuck bei Dynamo Dresden.

Als Dynamo 1973 im Europapokal der Landesmeister auf den FC Bayern München traf, nannten die Westmedien im Vorfeld des Duells Dörner den "Beckenbauer des Ostens". Anfangs hat ihm das geschmeichelt, später nicht mehr so sehr: "Ich bin ich, dachte ich." Er war er - und einer, wie ihn der DDR-Fußball kein zweites Mal hatte.

Ästhet, Antreiber, Dirigent

In ganz jungen Jahren Stürmer, später Mittelfeldspieler, und beim UEFA-Junioren-Turnier 1969 meldete ihn die DDR sicherheitshalber sogar als Ersatztorwart. Er war ein Allrounder, aber seine Berufung war die Rolle als Libero, die ihm Walter Fritzsch anvertraute. Er war auf dem Papier Abwehrchef, aber auf dem Platz Ästhet und Antreiber, Dirigent und genialer Freistoßschütze. Er ließ das Schwere leicht aussehen, und er stand mit dem ebenfalls viel zu früh verstorbenen Reinhard Häfner für das feine Dresdner Spiel der goldenen 70er Jahre.

"Ich war überzeugt, dass man dem anspruchsvollen Dresdner Publikum stets ein paar Kabinettstückchen bieten muss", hat Dörner später gesagt. Der langjährige Kapitän der DDR-Nationalmannschaft und der SG Dynamo wollte als Libero nie verwalten, er wollte gestalten: "Ich habe mit Risiko gespielt, aber ich wusste immer, was ich mache." Er bestritt für Dynamo 392 Oberliga- und 65 Europacupspiele, er wurde fünfmal Meister und fünfmal Pokalsieger, aber nie Cheftrainer bei seinem Herzensklub.

Schiffbruch im Haifischbecken

Der Trainer Dörner - vor der Wende für die Olympia-Auswahl  der DDR zuständig, danach beim DFB im Nachwuchsbereich und im Stab von Bundestrainer Berti Vogts - hat nie die Weihen erfahren, die ihm als Spieler zuteil wurden.

Als ihn im Januar 1996 Werder Bremens Präsident Dr. Franz Böhmert, Sachse wie er, anrief, überlegte Dörner nicht lange. Er war der erste Trainer aus dem Osten, der im vereinten Deutschland eine Cheftrainer-Stelle bei einem West-Bundesligisten antrat. Dörner kam ohne eigenen Co-Trainer, ohne Berater und ohne die nötige Härte für das Haifischbecken Bundesliga. Als er im August 1997 - Bremen war Bundesliga-Schlusslicht - mit einem Rumpfteam zu einem Einladungsturnier auf die Kanaren reiste und dort gegen CD Teneriffa (0:4) und Atletico Madrid (0:8) Schiffbruch erlitt, flog Dörner erst mit zurück und dann raus.

Kungelei war ihm fremd

Er hätte sich dagegen wehren müssen, unter diesen Umständen dieses Turnier zu spielen, aber er tat's - damals - nicht. Er war zu nett, und jedwede Kungelei war ihm fremd. Es war, mit gerade 46, der Bruch in der Trainer-Karriere. Engagements beim FSV Zwickau, bei Al-Ahly in Ägypten, wo er als Nachfolger von Rainer Zobel ägyptischer Pokalsieger und Vizemeister wurde, und beim VfB Leipzig folgten, aber der große Fußball hatte keinen Platz mehr für ihn. Das hat ihn beschäftigt und - auch - geärgert. Er sei an der Entlassung in Bremen "nicht zerbrochen", hat er später gesagt, "doch insgeheim habe ich mich schon gefragt, warum klingelt bei dir nicht auch das Telefon wie bei anderen?"

Er hat es irgendwann verwunden und seinen Frieden gemacht mit der eigenen Biographie und manch unerfüllten Sehnsüchten. Der Mann, der als Spieler und als Mensch eine feine Klinge schlug, saß ab 2013 bei Dynamo im Aufsichtsrat, 2019 wurde der gebürtige Görlitzer in die "Hall of Fame" des deutschen Fußballs aufgenommen.

"Etwas zu klein" fand DDR-Nationaltrainer Georg Buschner Dörner mit seinen 1,75 Meter anfangs für den Posten als Libero. Buschner lag meistens richtig, aber da irrte er sich (und er korrigierte seinen Irrtum sehr bald): Der DDR-Fußball hatte keinen Größeren. In der Nacht zum Mittwoch ist Dixie Dörner im Alter von 70 Jahren nach langer, schwerer Krankheit gestorben.

Steffen Rohr

Ikone, Pionier, Olympiasieger: Das Leben von "Dixie" Dörner in Bildern