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Kicken mit Maradona und Staubhusten im Archiv: Meine Festtage im Alltag

Zum 100. Geburtstag des kicker

Kicken mit Maradona und Staubhusten im Archiv: Meine Festtage im Alltag

Frank Lußem erzählt eine Zeitreise durch sein 40-jähriges  Reporterleben beim kicker.

Frank Lußem erzählt eine Zeitreise durch sein 40-jähriges Reporterleben beim kicker. kicker

Als ich anfing beim kicker vor gut 40 Jahren, da bewegte sich die Zeitungsmacherei irgendwo zwischen Gutenberg und Gates. Noch waren die wuchtigen Druckmaschinen mit Setzkästen und Lettern vereinzelt in Betrieb, und wer sich neugierig in der Mettage oder der Zeitungsausgabe rumtrieb, der konnte seinen Fingern schnell ansehen, warum das Gewerbe auch "Schwarze Kunst" genannt wurde.

Ich sah dieser Kunst beim Sterben zu und machte mir überhaupt keine Vorstellung davon, was sich in den kommenden Jahrzehnten verändern würde zum Beispiel im Bereich der Herstellung einer Zeitung, welche Änderungen ich erleben sollte, Revolutionen, in der Produktion ebenso wie in der Beschaffung der Nachrichten und deren Verbreitung. Papier und Druckerschwärze spielen heute längst nicht mehr die wichtigste Rolle, das Zeitungsleben hat sich ausgebreitet vom Kiosk ins Netz. "Geh' mit der Zeit, sonst musst du mit der Zeit gehen", lautet ein Sprichwort, das dem Adressaten nahelegt, Entwicklungen nicht zu verschlafen, neue Techniken zu erlernen, zu akzeptieren und entsprechend für sich zu nutzen. "Neue Technik" - dies war der Zauberbegriff der 80er Jahre, vom Hantieren mit Blei-Lettern blieb ich verschont, ab Ende 1980 kamen auch beim Olympia-Verlag Rechner ins Spiel, groß und mächtig, sie erinnerten mich an die NASA-Computer aus den Nachrichten, und ich konnte wenig mit ihnen anfangen.

Gekloppe in die Tasten und keine Kolleginnen

Doch immerhin sorgten sie dafür, dass die Druckfahnen fein säuberlich ausgestoßen wurden, die man alsdann auf der Rückseite wachste und auf die Druckvorlagen klebte. Lustige Männer mit Nürnberger Dialekt und einem Skalpell montierten so Seite für Seite, 8 Punkt Antiqua bezeichnete Schriftgröße und -art, 10,6 Cicero die Spaltenbreite. Die Grafik lieferte die Layouts, und wir schrieben die Lücken voll. Auf unseren hölzernen Schreibtischen mit den ausgeleierten Schubfächern standen wie festgewachsen die Produkte aus dem (zufällig gleichnamigen) Hause "Olympia". Spinatgrün, cremeweiß, rubinrot - jeder Kollege (Kolleginnen gab es damals in der Redaktion noch nicht) bewachte seine Schreibmaschine wie einen Schatz, und keiner sah es gerne, wenn ein anderer Redakteur in die "eigenen" Tasten kloppte.

Ottokar Wüst oder Otto Garwurst oder Otto Graf Wüst

Bis heute leide ich übrigens unter den Nachwirkungen dieser Zeit. Besser gesagt: Meine PC-Tastatur leidet. Denn ich "kloppe" immer noch in die Tasten, als hätte ich die gute alte mechanische Schreibmaschine vor mir. Die zu bearbeitenden Manuskripte bekamen wir von unseren "Aufnahme-Damen", so nannten wir die Stenotypistinnen, die von Mitarbeitern durchtelefonierte Texte zu Papier brachten. Heute unvorstellbare Slapstick-Nummern spielten sich da häufig ab. Wenn aus dem Bochumer Präsidenten Ottokar Wüst plötzlich "Otto Garwurst" wurde und man die Dame freundlich darauf hinwies, noch einmal genauer hinzuhören, und am Ende "Otto Graf Wüst" auf dem Manuskript stand, ging im Großraumbüro die Post ab. Und die bedauernswerten Damen nebenan im "Aufnahmeraum" wussten, dass sie etwas falsch gehört hatten. Aber: Deren Arbeit kann man nicht hoch genug bewerten. Wir hatten wahre Virtuosinnen am Start, die zwei Spiele gleichzeitig bearbeiteten und die nie lockerließen, wenn ein Anruf mal nicht zustande kam. Was in Richtung Osteuropa damals eher die Regel als die Ausnahme bedeutete.

Der frühere kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann.

Der frühere kicker-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann. kicker

Drei sogenannte "Laufzettel" lagen auf dem Tisch vor mir: gelb für den Tiefdruck, grün für den Zeitungsteil der Montagsausgabe, rot für die Donnerstagausgabe. Wir machten unsere Kringel um Satz- und Überschriftengrößen, um Spaltenbreiten und hefteten die Manuskripte an, die wir mehr oder weniger fein säuberlich redigiert hatten. Ein Bote brachte jeweils einen Packen in die Setzerei, wo nicht mehr gesetzt wurde, dafür in die Computer eingegeben. Mir vermittelte all das, was einem heute miefig und piefig erscheinen mag, ein unfassbares Gefühl des Glücks und der Verbundenheit.

"Als Volontär angenommen. Erbitte Lockruf. Gruß Heimann."

20 Jahre war ich alt, hatte im Mai mein Abi gebaut, mich im Juni beim kicker beworben ("Suchen junge Leute mit Abitur zur Ausbildung zum Redakteur"), wurde im August mit elf anderen jungen Leuten zum Eignungstest eingeladen, zwei Tage später kam ein Telegramm, das erste und letzte meines Lebens, bei mir in Frechen vor den Toren Kölns an: "Als Volontär angenommen. Erbitte Lockruf. Gruß Heimann." Mein Problem: Ich wusste nicht, was ein "Lockruf" ist. Die Erklärung ist denkbar einfach: Telefonieren, zumal in eine weit entfernte Stadt, war damals recht teuer. Der Chefredakteur wollte, dass ich ihn kurz anrufe, meine Nummer durchsage, er hätte mich dann für ein längeres Gespräch zurückgerufen. Ich rief ihn mit zittriger Stimme an, er gratulierte mir kurz, alles Weitere komme per Brief. Das Ganze dauerte keine Minute. Was wiederum von Heimanns Verantwortungsbewusstsein im Kleinen zeugte: Ferngespräche kosteten seinerzeit zur Hauptzeit 92 Pfennig, also umgerechnet 47 Cent. Da kam schnell ein hübsches Sümmchen zusammen.

Knapp sechs Wochen später ging es von Frechen nach Nürnberg, rund 430 Kilometer, meine erste Wohnung in einem 15-stöckigen Terrassenbau bot mir auf 30 luftigen Quadratmetern ein Wohn-Schlafzimmer mit Küchenzeile und Einbauschrank und kostete 250 Mark. Mein Gehalt als Volontär betrug im ersten Jahr 1200 Mark brutto, im zweiten dann 1800 Mark, wenn ich sonntags arbeitete, kamen 50 Mark netto dazu. Und ich arbeitete jeden Sonntag. Wie jeden Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag oder Freitag. Samstags sowieso. Alles Feiertage im Alltag. Heimweh kannte ich nicht. Ich fühlte mich wie im Paradies. Ich arbeitete nicht, ich lebte wie die Made im Speck.

Stundenlang hockte ich im Archiv - einem staubigen Raum mit riesigen stählernen Drehschränken - und las in uralten kicker-Bänden. Bis heute verliere ich mich in dieser Vergangenheit, allerdings digital und ohne Staubhusten. Konfuzius war mir nicht wirklich ein Begriff, seinen Satz aber, nach dem man nie mehr im Leben arbeiten müsse, wenn man einen Beruf wählt, den man liebt, den lebte ich exzessiv aus. Und daran änderte sich 40 Jahre nicht wirklich etwas. Ich war mit Fußball aufgewachsen, ich wollte mit Fußball alt werden. Jetzt bin ich 60 und habe es geschafft. "Stand heute", würde ein Trainer sagen.

Weggeschickt - hin zum Fußball nach Moskau

Karl-Heinz Heimann ließ uns - mein Kollege Harald Kaiser wurde mit mir als Volontär eingestellt - machen, er schickte uns vor allen Dingen weg, hin zum Fußball, wo wir lernten, wie das Spiel funktioniert, wenn man es nicht von der Fankurve aus sieht, sondern neutral. Meine erste Dienstreise ging nach Moskau, im arschkalten Januar 1981 begleitete ich die U 18 des DFB zum Valentin-Granatkin-Turnier. Dort lernte ich junge Fußballer kennen, die mir über die Jahrzehnte immer wieder über den Weg laufen sollten: die Dortmunder Michael Zorc und Ralf Loose, Rüdiger Vollborn aus Berlin, der später nach Leverkusen wechselte, Thomas Brunner aus Nürnberg, Ulf Quaisser aus Mannheim, Toni Schmidkunz und Leo Bunk von den Löwen" aus München, Ralf Falkenmayer aus Frankfurt, Klaus Theiss vom (späteren) Klopp-KlubTuS Ergenzingen. Der Kern dieser Truppe wurde später Europa- und Weltmeister, Herbert Waas aus Leverkusen kam noch dazu, ebenso Alfred Schön aus Mannheim.

Ein Tipp an Calmund und der junge Völler

Ein Tipp für den "Dicken": Leverkusens Manager Reiner Calmunds (Mi.) und Frank Lußem (2. v. re.). kicker

Während des Empfangs in der Botschaft in Moskau lernte ich einen Namen kennen, der mir Jahrzehnte später auf ganz anderer Ebene begegnete: Andreas Meyer-Landrut hieß der deutsche Botschafter, seine Enkelin Lena gewann 2010 den Eurovision Song Contest. Rüdiger Vollborns Karriere übrigens habe ich zu einem kleinen Teil mit beeinflusst. Wir unterhielten uns in Moskau häufig, der Abiturient zeigte sich vielen Themen gegenüber sehr aufgeschlossen. Er spielte damals für Blau-Weiß 90, wollte aber in die Bundesliga. Mönchengladbach und Bayer Leverkusen hießen seine Wunschvereine, weil dort junge Profis gefördert würden. Bei der Borussia kannte ich niemanden, bei Bayer allerdings Reiner Calmund, der wie ich aus Frechen stammt. Den unterrichtete ich nach der Rückkehr aus Moskau von Vollborns Interesse, eine Woche später knabberte der "Dicke" Mutter Vollborns Kekse in Berlin-Wilmersdorf und machte schnell Nägel mit Köpfen. Bis heute ist der Keeper mit 401 Bundesliga-Spielen Rekordspieler von Bayer.

Meinen ersten Artikel für den kicker hatte ich da längst geschrieben. Über einen jungen Stürmer namens Rudi Völler, damals 20, der für 1860 München kickte und in einem Spiel drei Tore gegen Fortuna Düsseldorf erzielte. Aus einem sekundenlangen Gespräch formte ich rund 50 Zeilen, die Überschrift passte: "Mein Fernziel ist die Nationalmannschaft."

Rudi Völler und kicker-Reporter Frank Lußem

Der erste Artikel und ein Jahrzehnte währende Verbindung: Rudi Völler und kicker-Reporter Frank Lußem. kicker

Der Journalismus veränderte sich in diesen Jahren. Weg von der beschreibenden und zitierenden Wiedergabe, hin zur Kommentierung und Einordnung des Geschehens. Wer kicker-Artikel aus den 1960er und 70er Jahren mit denen aus den 1980ern vergleicht, der wird feststellen, dass es plötzlich deutlich kritischer, mitunter sogar aggressiver zuging. Nicht als Selbstzweck, aber dem Ereignis angemessen. Das Verhältnis zwischen Journalisten und Fußballern veränderte sich im gleichen Maße, es kam eine geschäftliche Komponente hinzu, wo vorher meist Geplänkel und Kumpanei die Szenerie bestimmten. Die ersten Berater tauchten auf, es ging um Einflussnahme und Versuche, über das Medium Druck auszuüben. Es waren übrigens die Klubs, die sich die Berater heranzogen. Zu viele Versuche, junge Profis zu übervorteilen, provozierten diese neue Klientel, die tatsächlich längst nicht immer so schädlich war, wie sie gemacht wurde.

Beckenbauer unter der Dusche und Kicken mit Maradona

Der Job entwickelte sich weiter, immer weiter. Ich interviewte Franz Beckenbauer - damals Libero beim Hamburger SV - unter der Dusche im Münchner Olympiastadion. Ich war dabei, als der große Hennes Weisweiler eines seiner letzten großen Interviews vor seinem viel zu frühen Tod gab. Ich lernte die Idole meiner Kindheit kennen, von Wolfgang Overath über Toni Schumacher bis hin zu Dieter Müller und meinem Frechener Landsmann Gerd Strack. Mit Diego Maradona kickte ich auf dem Rasen des Turiner WM-Stadions 1990 vor dem Spiel Argentinien - Brasilien ein paar Bälle hin und her. Käme ich heute einem Weltstar ähnlich nahe, die Security würde mich niederstrecken und aus dem Stadion schmeißen. Mindestens.

"Italia Novanta": Das Ende der Unbeschwertheit

Die Wochen in Italien waren herrlich. Wir hatten zu festen Terminen freien Zugang zu den deutschen Spielern, unser Kolumnist Hans-Peter Briegel entpuppte sich als ehemaliger Italien-Profi als sensationeller Türöffner, er kannte die besten Restaurants, Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Landes übertrugen sich schnell auf alle Beteiligten, als am Ende noch der WM-Titel stand, war alles perfekt. Schaue ich heute auf "Italia Novanta" zurück, sage ich: Es sollten die letzten wirklich unbeschwerten und (fast) unreglementierten Tage des großen Fußballs gewesen sein.

Home-Storys waren damals en vogue. Der Reporter reiste - meist mit einem Fotografen - zum Spieler oder Trainer, und dann wurde stunden-lang geredet, über Fußball, manchmal auch über weit mehr als das. Heute längst nicht mehr vorstellbar (Ausnahmen bestätigen die Regel), das Privatleben der Stars ist tabu und wird über die sozialen Medien von ihnen selbst ausgebreitet. Der Prozess, den die Klubs bereits damals anstrengten, um die Deutungshoheit zu erlangen, hat bis heute dazu geführt, dass kaum noch ein Interview mehr ungeprüft das Haus verlässt, Klubmitarbeiter so gut wie jedes Gespräch "begleiten", um mitreden zu können über das, was gesagt wurde.

Seit 1988 veränderte RTL mit der Sendung "Anpfiff" die komplette Landschaft. Immer mehr Geld floss, die weitere Kommerzialisierung des Profifußballs nahm ihren Lauf, nicht nur in Deutschland bestimmten von nun an die TV-Gelder, wer wann spielte. Es war die Zeit, in der sich auf der anderen Seite der Medaille die Fans organisierten - gegen die Zerstückelung des Spielplans, gegen Kommerz, gegen Sitzplätze. Die Auseinandersetzung wird bis heute geführt. Der Fußball gewann durch die mediale Dauerpräsenz an Bedeutung, Kulissen von 8000 Fans in abbruchreifen Stadien sind heute undenkbar, vor 30 Jahren noch gehörten sie zum Alltag.

Toni Kroos, Frank Lußem

2016 auf der Couch mit Toni Kroos. kicker

Zum Alltag gehören auch horrende Ablösesummen und Gehälter für die beteiligten Spieler, Funktionäre und Berater, ausgelöst durch das Bosman-Urteil 1995 und die gut bezahlten Exklusivrechte der übertragenden Sender. Bereits 1997 ging kicker.de ins rapide wachsende WorldWideWeb, es begann für uns eine Erfolgsstory, die sich bis heute fortsetzt. Aber: Was für den Print-kicker immer galt und gilt, gilt seitdem ebenso für den digitalen Auftritt: Die verlässliche, kompetente, kritische, faire Berichterstattung ist unser Markenkern. Mir wird heute noch übel, wenn ich daran denke, wie sich Verantwortliche der einschlägigen Medien nach Robert Enkes Selbstmord ins Moralin-Bad legten, Besserung und Rücksicht gelobten. Wir wissen heute: Sie sind schlimmer geworden. Der Boulevard ist schmutzig, wo er früher tricky war. Er ist durch und durch verlogen, wo er früher mal eine Ente aufs Wasser gelassen hat. Aber: Jeder muss selbst wissen, wie er sein Dasein gestaltet, was ihm gefällt.

Was es über die kicker-Sprache zu sagen gibt

Ich bin dankbar dafür, beim Olympia-Verlag gelandet zu sein, der sich bis in diese aktuell schwere Zeit als Arbeitgeber von hoher sozialer Verantwortung gezeigt hat. Ich kann mich an keinen einzigen Fall der Einflussnahme "von oben" Richtung Redaktion erinnern. Und keine Frage, es gibt auch Aspekte, über die wir am liebsten den Mantel des Schweigens legen würden. Machen wir aber nicht: Früher schrieb auch der kicker von der "Schwarzen Perle", Souleyman Sané brachte "Farbe ins Spiel". Puh! Was heute zu Recht als rassistisch gegeißelt wird, wurde früher geduldet. Was zeigt: Menschen entwickeln und ändern sich, Sprache entwickelt und ändert sich. Zum Glück.

Was mich aber heute ärgert, ist die sich ständig wiederholende Kritik an der Sprache im kicker. Wer an der Uni lehrt oder Monatsmagazine herausgibt, der hat jede Menge Zeit und gut spotten. Wer aber an Großkampftagen mit Live-Spielen in mehreren Ligen zu kämpfen hat, dem kann eine sprachlich zweifelhafte Headline durchrutschen. Wobei Harald Kaiser mich bei der Niederschrift dieser Gedanken breit grinsend an eine spezielle Tradition erinnerte: Am Ende unserer ersten Woche beim kicker lernten wir das Reimen. "Unser Kalle knackt die Falle", hieß es vor dem Länderspiel gegen die Niederlande am 8. Oktober 1980 auf Seite 1 des Donnerstagskicker. Kalle knackte allerdings nichts, beim 1:1 in Eindhoven traf Horst Hrubesch.

Und der kicker wird 100. Wahnsinn!

Die kicker-Redaktion im 100. Jahr seines Bestehens.

Die kicker-Redaktion im 100. Jahr seines Bestehens. kicker

Ich erinnere mich an Hunderte toller Storys, an eine Menge Preise für Kollegen, an pointierte Kommentare, die keine Wünsche nach Klarheit offenließen. An exklusive Geschichten, die sich tatsächlich als wahr herausstellten, und an den souveränen Umgang damit, wenn man einem Irrtum erlegen war. 1980 bis 2020 - 40 lange und schöne Jahre. Als ich in Nürnberg begann, war der kicker so alt wie ich heute. Ich lebte in der Stadt des Rekordmeisters, neun Meister-Titel hatte bis dato kein Verein geholt, erst 1986 schlossen die Münchner Bayern zum Club auf, heute sind es 30 dieser Meister-Trophäen für den FCB, der FCN kämpft zum wiederholten Male um seine Existenz. Und der kicker wird 100. Wahnsinn!

1980 bis 2020 - mein Job ist heute der gleiche, der Alltag aber hat sich verändert. Die Nähe zu den kickenden Hauptdarstellern beschränkt sich meist auf offizielle Interview-Termine. In meinem Falle finde ich das okay, ich bin dreimal so alt wie mancher Profi, da wird sich keine große Beziehung mehr aufbauen. Verändert hat sich dieser Alltag auch durch Corona. Man kann keinem Virus böse sein. Aber sauer bin ich trotzdem.

Das Büroleben erstarb in den vergangenen Monaten. Weniger direkte Diskussionen über Noten, über Spieler, über Funktionäre. Keine Auseinandersetzungen über Themen auf dem kleinen Dienstweg. Kein Einfach-mal-Rübergehen zum Kollegen, die Beine auf den Tisch und ein bisschen erzählen. Das fehlt mir ungemein. Und deshalb freue ich mich wie Bolle auf den Tag, an dem dies alles überflüssig wird: Distanz, ständiges Home-Office, Maske, Zuschauer-Ausschluss. Fünf Jahre darf ich noch. Die wollte ich eigentlich auskosten.

Frank Lußem