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Ein Eigentor als Todesurteil: Escobars erschütterndes Ende

Vom Traum zum Albtraum des kolumbianischen Fußballs

Ein Eigentor als Todesurteil: Escobars erschütterndes Ende

Ein sportlicher Fauxpas mit unfassbaren Folgen: Kolumbiens Andres Escobar trifft bei der WM 1994 gegen die USA ins eigene Tor.

Ein sportlicher Fauxpas mit unfassbaren Folgen: Kolumbiens Andres Escobar trifft bei der WM 1994 gegen die USA ins eigene Tor. Getty Images

Die "traurigste Geschichte des kolumbianischen Fußballs"

Sie nannten ihn den "Gentlemen des Fußballs". Oder auch "Die Nummer 2, die eine 1 war." Dennoch schrieb Andres Escobar die "traurigste Geschichte des kolumbianischen Fußballs", wie sie in dem südamerikanischen Land noch heute sagen. Viele weinen auch über ein Vierteljahrhundert nach Escobars Tod noch um den ehemaligen Nationalspieler.

Fußball war das Spiel seines Lebens. Rund um die WM 1994 in den USA wurde daraus aber blutiger Ernst. Doch Escobars Mörder ist längst wieder auf freiem Fuß.

Andres Escobar

"Die Nummer 2, die eine 1 war" schrieb die traurigste Geschichte des kolumbianischen Fußballs: Andres Escobar. Getty Images

1994 beim Turnier in den USA war dem Innenverteidiger mit der Trikotnummer 2 am 23. Juni beim 1:2 gegen die USA ein Eigentor unterlaufen. Escobar wehrte dabei eine Hereingabe John Harkes von der linken Seite ins eigene Tor ab, es war das 0:1. Weil die Südamerikaner zum Auftakt bereits 1:3 gegen Rumänien verloren hatten, besiegelte die Niederlage gegen Gastgeber USA das Aus in der Gruppenphase.

Wettverluste von Drogenbossen oder exzessive Gewalt in Kolumbien?

Kolumbien war also raus. Und, so die Theorie, weil Drogenbosse aus Medellin, Escobars Heimatstadt, dadurch viel Geld bei Wetteinsätzen verloren, musste der Verteidiger am 2. Juli sterben. Escobar war damals 27 Jahre alt. Eine andere Theorie sagt, der Mord sei schlicht eine Folge der damals exzessiven Gewalt in Kolumbien gewesen. So reiste etwa Mittelfeldspieler Gabriel "Barrabas" Gomez, Bruder des damaligen Co-Trainers "Bolillo" Gomez, vorzeitig ab. Grund: Todesdrohungen gegen seine Familie in Kolumbien, falls er gegen die USA auflaufen sollte.

Stürmer Faustino Asprilla sagt daher, Escobar habe sich nach dem Ausscheiden und der Rückkehr nach Kolumbien um ihn, Asprilla, Sorgen gemacht. Weil er, also Asprilla, bekanntermaßen das Nachtleben genoss. "Bleib zu Hause, geh' nicht raus, hat mich Andres gebeten", erinnert sich der mittlerweile 50-Jährige. "Ich bin dann zu Hause geblieben." Was Asprilla wundert: "Wer ausging, das war Andres."

Sechs Pistolenschüsse in einem Restaurant

Neun Tage nach dem Eigentor wurde Escobar am 2. Juli im Außenbereich eines Restaurants ermordet - vom Chauffeur zweier Drogenhändler. Deutschland besiegte an diesem Tag im WM-Achtelfinale Belgien mit 3:2, zweimal Rudi Völler und Jürgen Klinsmann trafen.

Schweigeminute am Tag von Escobars Ermordung beim WM-Achtelfinalspiel der DFB-Elf gegen Belgien am 2. Juli 1994.

Schweigeminute am Tag von Escobars Ermordung beim WM-Achtelfinalspiel der DFB-Elf gegen Belgien am 2. Juli 1994. imago images

Sechs Pistolenschüsse wurden auf Escobar abgegeben, der damals als bester Verteidiger Kolumbiens galt. Der damals riesengroße AC Mailand soll Interesse an dem Profi gehabt haben, der 1989 mit Atletico Nacional aus Medellin die Copa Libertadores gewonnen hatte. Im Elfmeterschießen des Final-Rückspiels verwandelte Escobar, 22 Jahre jung, den ersten Elfmeter. Gegen Milan verloren Atletico Nacional und Escobar im Dezember 1989 dann knapp das Weltpokalfinale.

Victor Marulanda, Escobars Teamkollege bei Atletico Nacional, lobt noch heute: "Für mich und alle, die ihn kannten, war Andres das Maximum. Nicht nur im Sportlichen, sondern vor allem auch im privaten Umfeld."

Escobars Mörder wurde zunächst zu 43 Jahren Haft verurteilt, die Strafe dann aber auf 23 Jahre reduziert. Letztlich kam er 2005, nach elf Jahren Haft, frei. Andere Angeklagte, denen Handlangerdienste wie der Verschleierung der Tat vorgeworfen wurde, waren gar nun wenige Monate in Haft.

"Er wird immer mit uns sein", sagte Kolumbiens Fußball-Ikone Carlos Valderrama 2014 über Andres Escobar. imago images

"El Tiempo", die größte kolumbianische Tageszeitung, schrieb einmal über Escobar, der mit militärischen Ehren beerdigt wurde: "Er ist in unsere Herzen tätowiert." Ikone Carlos Valderrama sagte im kicker-Interview 2014 zum 20. Todestag Escobars: "Er wird immer mit uns sein. Und irgendwie, wie auch immer, bekommt er auch jetzt mit, dass Kolumbien eine tolle WM spielt." Bis ins Viertelfinale ging es für Kolumbien bei der WM 2014 in Brasilien.

Er ist in unsere Herzen tätowiert.

"El Tiempo"

Escobar und Valderrama hatten nicht nur die WM 1994 gemeinsam bestritten, sondern auch schon die 1990 in Italien. Damals standen beide beim 1:1 gegen Deutschland 90 Minuten auf dem Platz, Valderrama gab dabei den Traumpass zum Ausgleich in letzter Sekunde. Vier Jahre später war es ein Albtraum.

Escobar: "Man weiß doch, dass im Fußball immer alles passieren kann"

"Dass uns die Fans vor dem Turnier fast schon zu Weltmeistern machten, hatte den Druck enorm erhöht. Dabei weiß man doch, dass im Fußball immer alles passieren kann", sagte Andres Escobar noch bei der Rückkehr nach Kolumbien. Was dann passierte, hatte aber mit Fußball nichts zu tun.

Jörg Wolfrum