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Sparwasser, das "Bruderduell" und eine nicht ausgezahlte Prämie

DDR schlägt bei der WM 1974 die BRD

Sparwasser, das "Bruderduell" und eine nicht ausgezahlte Prämie

Jürgen Sparwasser erzielt das Tor des Tages für die DDR gegen den späteren Weltmeister.

Jürgen Sparwasser erzielt das Tor des Tages für die DDR gegen den späteren Weltmeister. imago images

Der Angreifer des 1. FC Magdeburg - der auch abseits dieses Spiels eine veritable Karriere machte - schoss sich in jener Partie am 22. Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadion mit einer Aktion in die Geschichtsbücher des Fußballs: seinem Treffer zum 1:0-Erfolg der DDR.

Das Tor fiel damals in der 77. Minute einer Partie, die vorher zum Bruderduell und zum Kampf der Systeme stilisiert worden war. Hier das Team aus dem kapitalistischen Deutschland, der amtierende Europameister, der bei der Heim-WM als einer der Titelfavoriten galt. Dort der vermeintliche Underdog aus dem sozialistischen Teil Deutschlands. "Wir als Spieler haben uns aber nicht für das Bruderduell interessiert", sagt Sparwasser im Rückblick, "die Funktionäre waren angespannter als wir Spieler."

Viel zugetraut wurde dem DDR-Team vor der Partie nicht, vor allem im Gastgeberland. Die Mannschaft von Bundestrainer Helmut Schön galt als haushoher Favorit. Trotz der Tatsache, dass der 1. FC Magdeburg 1974 mit einem 2:0 im Finale gegen den AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger gewonnen hatte. "Die Medien haben versucht, das Verhältnis zwischen der BRD und uns zwischen Bundesliga und dritter Liga anzusiedeln. So hatte die Bild-Zeitung auch am Spieltag ihre Überschrift gehalten: So werden wir gewinnen", erzählt Sparwasser.

Es war ein Unding, dass er mit seiner Technik einen relativ einfachen Ball nicht über die Linie kriegt.

Jürgen Sparwasser über Hans-Jürgen Kreische

Die DDR-Akteure konnte das indes nicht beeindrucken. "Wir wussten, dass wir stark sind", sagt der heute 72-Jährige, und die Partie zeigte schnell, dass die DDR ebenbürtig war. Kapitän Franz Beckenbauer und Co. hatten zwar mehr Ballbesitz und verzeichneten durch Gerd Müller auch einen Schuss an den Außenpfosten (40.), "aber die größere Chance, in Führung zu gehen, hatten wir", so Sparwasser. Nämlich in der 32. Minute, als Sparwasser-Kumpel Hans-Jürgen Kreische (Dynamo Dresden) nach einer Flanke von Reinhard Lauck (BFC Dynamo) am Fünfmeterraum völlig freistehend über das BRD-Tor schoss. "Wenn er einen Spaten gehabt hätte, hätte er sich eingegraben. Es war ein Unding, dass er mit seiner Technik einen relativ einfachen Ball nicht über die Linie kriegt", sagt Sparwasser im Rückblick, "10 bis 15 Minuten hat ihn das auf dem Platz beschäftigt, ich musste einige Male zu ihm hingehen und ihm sagen: Jetzt reiß dich mal zusammen. Es geht weiter."

DDR-Torschütze Jürgen Sparwasser (li.) feiert den Sieg gegen die BRD.

DDR-Torschütze Jürgen Sparwasser (li.) feiert den Sieg gegen die BRD. imago images

Sparwassers Stupsnase sorgt für ungewöhnlichen Torjubel

45 Minuten später sah es dagegen eigentlich zunächst nicht danach aus, als sollte ein (historischer) Treffer fallen. Der eingewechselte Erich Hamann (Vorwärts Frankfurt/Oder) spielte von rechts einen Flugball in die Mitte. Und Sparwasser lief los. "Ich weiß nicht, was mich dazu bewogen hat, aus meiner Position den Sprint nach vorne anzusetzen", sagt er heute. Umzingelt von Berti Vogts, Hörst-Dieter Höttges und Bernd Cullmann war es nach Ansicht des Stürmers "eine aussichtslose Situation" für einen Stürmer. Doch der Ball kam irgendwie zu ihm, "und ich wollte ihn eigentlich mit der Brust mitnehmen, habe mich aber ein bisschen verkalkuliert und kriege den Ball an meine Stupsnase. Dadurch bekam der Ball eine andere Richtung. Wenn ich ihn mit der Brust mitnehme, können Berti oder Horst-Dieter den wahrscheinlich ablaufen." So erwischte der DDR-Stürmer mit der Nummer 14 auf dem Rücken die beiden DFB-Verteidiger auf dem falschen Fuß und guckte beim erfolgreichen Abschluss auch noch Sepp Maier aus. Heute stellt er lachend fest: "Ich würde mal sagen: Das war geil gemacht." Was dann passierte, dafür hat der Ex-Stürmer, der noch 1988 in den Westen floh und heute in Bad Vilbel vor den Toren Frankfurts lebt, keine Erklärung. "Ich hatte zuvor in meinem Leben noch nie einen Purzelbaum nach einem Tor gemacht. Warum gerade nach diesem Tor, weiß ich nicht. Das war ja auch mehr eine Judorolle als ein Purzelbaum."

Ich warte immer noch auf die Prämie vom DFB.

Jürgen Sparwasser

Die DDR überstand die anschließenden 13 Minuten bis zum Schlusspfiff unbeschadet - und dann war der historische Sieg geschafft. Für die DDR bedeutete dieser den Einzug in die zweite Finalrunde, in der nach zwei Niederlagen (0:1 gegen Brasilien, 0:2 gegen die Niederlande) und einem Remis (1:1 gegen Argentinien) Endstation war. Die BRD dagegen marschierte bis zum Titel durch. Auch oder gerade wegen der Pleite gegen die DDR, die viele beim DFB damals als Wendepunkt zum WM-Gewinn bezeichneten. Franz Beckenbauer regte sogar später mal an, Sparwasser im Nachhinein noch zum "Weltmeister" zu ernennen: "Der Franz sagte: Gebt dem Sparwasser die 23. Medaille", berichtet der Held vom 22. Juni 1974 und fügt schmunzelnd hinzu: "Ich warte immer noch auf die Prämie vom DFB."

Andreas Hunzinger

Erfolge, Sparwasser, Niedergang und neue Ära