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Aliaksei Shpilevski trainiert Qairat Almaty - "Problem Fleischkonsum"

Interview: Aliaksei Shpilevskis Trainerleben in Kasachstan

"Ein Problem ist der große Fleischkonsum"

Aliaksei Shpilevski ist derzeit als Trainer bei Qairat Almaty in Kasachstan tätig.

Aliaksei Shpilevski ist derzeit als Trainer bei Qairat Almaty in Kasachstan tätig. imago images

Mit sechs kam er mit den Eltern aus Weißrussland nach Deutschland, wo sein Vater Nicolai Shpilevski, früherer Junioren-Nationalspieler Russlands und späterer Auswahlspieler Weißrusslands, beim damaligen Regionalligisten 07 Ludwigsburg anheuerte. Der Versuch, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, endete für Aliaksei, kurz Aloscha, Shpilevski gnadenlos frühzeitig. Der ehemalige defensive Mittelfeldspieler, der bis zur U 18 das Trikot des VfB Stuttgart trug und bei der U-17-EM 2005 in Italien für sein Heimatland spielte, zog sich eine Bandscheibenverletzung zu. Das Aus. Seine ersten Sporen als Trainer verdiente er sich in der VfB-Jugend, anschließend wechselte er in den Nachwuchsbereich von RB Leipzig. 2018 zog es Shpilevski für seine erste Station als Chefcoach im Erwachsenenbereich zum weißrussischen Erstligaklub Dinamo Brest, seit dem 25. November 2018 arbeitet er in der 1,9-Millionen-Einwohner-Stadt Almaty in Kasachstan. Im März startet die Saison, in der er mit seinem Team den Titel holen will. Und die natürlich durch die Corona-Pandemie aktuell ruht.

Almaty

Die Millionenstadt Almaty liegt im Südosten Kasachstan am Fuße des Tian-Shan-Gebirges. imago images

Herr Shpilevski, muss man sich Sorgen machen?
Ich wüsste nicht, warum.

Anfang Februar schwappten Meldungen nach Deutschland, wonach es in verschiedenen Landesteilen Kasachstans zu Gewaltausbrüchen unter verschiedenen Volksgruppen gekommen ist.
Das habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Vielleicht auch deswegen, weil das Land riesig ist und wir in der Saisonvorbereitung waren (Kasachstan ist der flächenmäßig größte Binnenstaat der Welt; Anm. d. Red.).

Wie sicher fühlen Sie sich in Almaty?
Es gibt schon Stadtviertel, in denen man sich vielleicht abends nicht unbedingt aufhalten sollte. Aber das ist nicht anders als in vielen anderen Städten dieser Welt. Es gibt keinen Grund, sich mit Bodyguards oder Ähnlichem zu schützen.

"Der Präsident hat sich bei Ralf Rangnick über mich erkundigt"

Ist das für Promis in so einem Land nicht üblich?
Eigentlich nicht. Mit meiner Frau Alla und meiner Tochter Milana wohnen wir in einem Wohnkomplex, in dem auch die meisten Spieler leben, der einem kleinen Ort im Ort ähnelt. Mit einem Einkaufszentrum, Bäcker, Metzger, Apotheke, Bank und so weiter. Der Komplex ist gesichert, was für kasachische Verhältnisse aber nicht ungewöhnlich ist. Ansonsten bewegen wir uns völlig frei in der Stadt. Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich von unserem Klubpräsidenten Kairat Boranbayew zum ersten Mal nach Almaty eingeladen wurde.

Wie weit sind der Fußball und die Klubs in Kasachstan?
Das Land muss sich entwickeln - in allen Bereichen. Aber es geht voran, auch im Fußball. Qairat ist der einzige Verein, der in Privatbesitz ist. Unser Präsident ist ein sehr wohlhabender Mann, der eine Holding mit 42 Unternehmen führt. Er ist außerdem das Gesicht des kasachischen Fußballs und bei der UEFA hoch angesehen.

Ein Schlaraffenland für einen Trainer?
Nein. Boranbayew hat nach sechs Jahren, in denen er sehr viel investiert hat, das Budget gekürzt.

Schlecht für Sie?
Überhaupt nicht. Der Präsident hat bereits in der vergangenen Saison gesehen, dass man auch mit weniger viel erreichen kann. Sogar mehr als zuvor. Wir haben in der einen Saison, in der wir jetzt hier sind, viele Spieler aus der Klub-Akademie zu den Profis gebracht, einige sind Nationalspieler geworden und waren in der Liga erfolgreich. Auch wenn wir leider nur Zweiter hinter FK Astana wurden.

Wie kam Boranbayew auf Sie?
Durch die internationalen Spiele mit Dinamo Brest, wo ich zuvor war, und sein Interesse an RB Leipzig. Der Präsident war schon länger von der Leipziger Spielweise beeindruckt. Ihm hat imponiert, was und wie alles aufgebaut wurde. Diesen Weg will er auch mit Qairat einschlagen, er hat sich bei Ralf Rangnick über mich erkundigt und Kontakt aufgenommen.

"Wir sind dabei, was richtig Großes aufzubauen"

Qairat Almaty gegen Legia Warschau

Trainingslager in Belek: Qairat Almaty (in Weiß) im Testspiel im Januar gegen Legia Warschau. imago images

Warum sind Sie nicht in Leipzig geblieben? Ungeduld als Triebfeder?
Ich wollte in den Erwachsenen-Fußball. Und bevor ich in Deutschland weitere Jahre im Jugendbereich geblieben wäre, um irgendwann in der 2. oder 3. Liga eine Chance zu bekommen, habe ich mich fürs Ausland entschieden. Was eine Riesenaufgabe ist, die nicht jeder Trainer auf Anhieb erhält.

Könnte sich diese Ungeduld rächen?
Glaube ich nicht. Ich bin sehr selbstbewusst. Ich bin überzeugt von mir und meiner Arbeit. Bisher habe ich meine Entscheidungen auch noch nie bereut. Wir sind dabei, was richtig Großes aufzubauen.

Wo haben Sie die Hebel angesetzt?
Wir haben eine neue Spielphilosophie entwickelt, setzen stark auf junge, talentierte Spieler und wollen mutigen, schnellen Offensivfußball spielen.

Qairat als Blaupause von RB?
Das könnte man fast so sagen. Vor allem in Sachen Intensität sowie in den Phasen im aktiven kollektiven Verteidigen und in den beiden Umschaltphasen. Es braucht Zeit, um die Jungs in der Spielweise und der Trainingsintensität zu erziehen, zu entwickeln. Aber wir sind einen Schritt weiter als im Vorjahr.

Was war besonders schwierig?
Den Fleischkonsum einzuschränken ist ein Problem. Fleisch gehört zu allen Mahlzeiten, vom Frühstück bis zum Abendessen. Es war sehr mühsam, die Speisen ein bisschen fleischloser zu gestalten. Den Spielern das ganz abgewöhnen konnten wir nicht. Im Großen und Ganzen haben mich die Jungs aber vom ersten Tag an mit ihrer Offenheit für Neues und ihrer Hingabe sehr beeindruckt.

Ihr erstes Auslands-Engagement bei Dinamo Brest in Weißrussland endete hingegen abrupt.
Brest mit Almaty zu vergleichen, ist wie den Atlantik mit dem Bodensee zu vergleichen. Der Klub, die Führung, die Möglichkeiten sind völlig unterschiedlich.

"Bei einem Regenerationstag saßen Spieler in der Sauna und tranken Alkohol"

Was ging damals schief?
Der dortige Präsident wollte unbedingt eine deutsche Kultur einführen, eine erkennbare Spielweise haben. Das wurde auch umgesetzt. Und es zeichneten sich erste Fortschritte ab. Nach dem ersten Spiel, das wir 6:0 gewonnen hatten, wurden wir schon in den Himmel gelobt. Aber es gab auch Spieler, die nicht mitziehen wollten, die ihre Komfortzone behalten wollten, das Leistungsprinzip verweigerten.

Es kam zum Eklat?
Bei einem Regenerationstag saß eine Gruppe Führungsspieler in der Sauna und trank Alkohol. Das war nicht nur hochprozentig falsch, sondern auch hochgradig unprofessionell. Aber als ich das sanktionieren wollte, zog der Klub nicht mit. Da blieb mir nur eins übrig: Bevor ich mein Gesicht verliere, trennten wir uns lieber.

Spielte Diego Maradona, der als Schirmherr von Brest fungierte, irgendeine Rolle?
Nein, er war auch nur einmal vor Ort, kam in die Kabine, hielt eine kurze Rede.

In Almaty holten Sie sich mit Christos Papadopoulos als Athletik-, Konditions- und Rehatrainer, mit Wolfgang Geiger als Leiter der Klub-Akademie und Tommy Jähnigen als Co-Trainer deutsche Unterstützung dazu. Warum?
Ich brauche Leute um mich herum, mit denen ich mich blind verstehe und denen ich auch blind vertrauen kann. Das trifft auf die drei zu.

Gibt es weitere Deutsche in Kasachstans Liga?
Nein, dazu ist die Liga nicht bekannt genug. Vielleicht können wir das auf Sicht ändern. Aber aktuell will niemand aus der Bundesliga oder der 2. Liga dieses Abenteuer wagen. Und wenn, sind allenfalls Profis kurz vor dem Karriereende interessiert, die sich einen großen finanziellen Aufwand für eine eher kleine Leistung versprechen.

Aliaksei Shpilevski

Aliaksei Shpilevski will gemeinsam mit seinem Klub Qairat Almaty in dieser Saison den Titel in Kasachstan holen. imago images

"Astana spielt regelmäßig in der Europa League"

Klappt es im zweiten Anlauf mit dem Titel?
Das ist das Ziel. Mit dem FC Astana haben wir einen Gegner, der mittlerweile regelmäßig in der Gruppenphase der Europa League spielt. Dazu kommen Tobol Qostanai, Shymkent Ordabassy und Schachter Qaraghandy, die ebenfalls ein bisschen mitreden wollen und können. Aber ich bin optimistisch.

Wie läuft die Saison ab?
Zwölf Mannschaften, jeder gegen jeden, und das dreimal von März bis Jahresende. Nach 33 Spieltagen steht der Meister fest.

Wie sieht es mit der Fan-Kultur aus?
Fußball ist nicht der Volkssport Nummer eins. Das ist Boxen, unangefochten. Selbst im TV wird mehr Boxen als Fußball gezeigt. Entsprechend überschaubar sind die Zuschauerzahlen. Bei Spitzenspielen kommen schon mal bis zu 15.000 Zuschauer. Ansonsten sind es bei unseren Partien 4000 bis 6000.

Wie würden Sie das Niveau der Liga einschätzen?
Die meisten Klubs bewegen sich auf unterem deutschen Drittliga-Niveau. Astana und Qairat würden in der 2. Liga mithalten, sogar in der oberen Hälfte.

Wie sehen Sie Ihre persönlichen Perspektiven?
Definitiv in Europa. Ende Mai schließe ich meine Fußballlehrer-Ausbildung ab, dann sehen wir weiter. Mein Vertrag hier läuft noch bis zum Jahresende 2021. Was dann kommt, wird man sehen.

Glauben Sie auch an die Perspektive Bundesliga, obwohl Sie weit ab vom Schuss arbeiten?
Die ist definitiv mein Ziel. Gute Arbeit spricht sich irgendwann rum.

(Dieser Artikel erschien am 24. Februar 2020 in der kicker-Printausgabe)

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