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Ralf Rangnick: Was in Englands Nachwuchs falsch läuft

RB Leipzigs Sportdirektor kritisiert Umgang mit Talenten

Rangnick: Was in Englands Nachwuchs falsch läuft

Vergleicht Nachwuchsspieler in England mit "Briefmarken oder Münzen": Leipzig-Sportdirektor Ralf Rangnick.

Vergleicht Nachwuchsspieler in England mit "Briefmarken oder Münzen": Leipzig-Sportdirektor Ralf Rangnick. picture alliance

England ist gerade zum zweiten Mal in diesem Jahr Weltmeister geworden, nach der U 20 triumphierte auch die U 17. Die U 19 gewann 2017 die EM, die U 17 stand im Endspiel, die U 21 im Halbfinale. Nur werden all diese Talente eines Tages auch die ganz große Karriere starten? Ralf Rangnick hat da seine Zweifel.

Der Sportdirektor von RB Leipzig, den das englische Boulevardblatt "Sun" besuchte, geht hart mit den Premier-League-Klubs ins Gericht. "Manchmal sieht es so aus, als würden Milliardäre Briefmarken oder Münzen sammeln und stolz herzeigen, wenn Gäste kommen. Aber wenn die dann weg sind, verschwinden die Münzen wieder im Regal."

Premier League - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Manchester City Manchester City
28
2
Manchester United Manchester United
23
3
Tottenham Hotspur Tottenham Hotspur
20

Manchester City und der FC Chelsea hätten aus seiner Sicht die besten Nachwuchsakademien in England. "Aber keiner dieser jungen Spieler hat eine echte Chance, für die erste Mannschaft zu spielen", sagt Rangnick. "Wenn Spieler mit 16 Jahren Verträge in diesen Akademien abschließen, sollten sie sich im Klaren darüber sein, dass sie wahrscheinlich nie das Trikot der ersten Mannschaft tragen werden."

Der Letzte, der bei ManCity den Durchbruch schaffte, war Richards - 2006

Tatsächlich haben ManCity und Chelsea in den letzten Jahren zwar einige Premier-League-Spieler hervorgebracht, aber nur indirekt: Sie empfahlen sich fast allesamt über Leihgeschäfte für andere Vereine, brachten ihren Ausbildungsklubs also bestenfalls eine Ablöse. Das letzte Talent aus dem eigenen Nachwuchs, das bei City selbst den Durchbruch schaffte, war Micah Richards - und das war 2006, noch vor der Scheich-Übernahme.

Der Eindruck: ManCity und Chelsea haben zu wenig Geduld, um eigene Nachwuchskicker zu Topspielern fördern, und zu viel Geld, um darauf angewiesen zu sein. Dabei soll die "City Football Academy" 250 Millionen Euro gekostet haben. Rangnick sieht noch weitere Probleme.

"Ich habe einen interessanten Artikel gelesen, wonach rund 83 Prozent aller Spieler der letztjährigen Champions-League-Viertelfinalisten schon mit 17 Jahren in der ersten Mannschaft gespielt haben. Das ist erstaunlich und zeigt, dass Spieler schon früh beginnen müssen, aufs Erwachsenen-Level zu kommen", so Rangnick, der die U 23 in Leipzig inzwischen abgeschafft hat.

Benfica und Salzburg im Youth-League-Finale? Für Rangnick kein Zufall

Dass Benfica Lissabon und RB Salzburg vorige Saison im Youth-League-Finale standen (1:2), sei kein Zufall gewesen: "Das waren die einzigen Mannschaften, deren Spieler in einer Erwachsenen-Liga spielen: Benfica B in Portugals, Salzburgs Reserve Liefering in Österreichs zweiter Liga." Bei Halbfinalist Barcelona oder Viertelfinalist Paris St. Germain hätten dagegen "buchstäblich" Jugendspieler gespielt. "Auch das ist ein Problem in England: Die Reserveteams spielen in einer zwanglosen Liga ohne Ab- und Aufstieg." Es brauche aber Wettkampf, auch schon in diesem Alter.

Ebenfalls problematisch findet es Rangnick, dass immer noch viele Premier-League-Klubs auf Sportdirektoren mit ganzheitlichem Blick auf die Klubstrategie verzichten und lieber auf einen Teammanager setzen, der beide Aufgaben übernimmt. "Wenn dieser dann entlassen wird, kommt ein anderer und sagt: 'Diese Spieler will ich nicht - wir sollten sie verkaufen.'"

In Leipzig läuft das anders. Anderes aber nur bedingt: In dieser Saison setzte der Vizemeister noch keinen Spieler ein, den er in seiner eigenen Jugend ausgebildet hat. Bei Chelsea waren es immerhin schon zwei.

jpe