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Geyers Erkenntnis im Duell mit Hoeneß: "Ich hätte Uli umhauen sollen"

Interview 50 Jahre nach dem ersten deutsch-deutschen Duell im Europapokal

Geyers Erkenntnis im Duell mit Hoeneß: "Ich hätte Uli umhauen sollen"

Kampf um den Ball: Uli Hoeneß gegen Eduard Geyer (hier am 24. Oktober 1973).

Kampf um den Ball: Uli Hoeneß gegen Eduard Geyer (hier am 24. Oktober 1973). imago sportfotodienst

Eduard Geyer sitzt in einem Restaurant in Dresden, während Uli Hoeneß wegen eines vorherigen Termins ein paar Minuten später im Konferenzzimmer an der Säbener Straße erscheint. "Schön, dass ich dich mal sehe. Sonst ja nur im Fernsehen bei den Spielen, wenn du eingeblendet wirst - in letzter Zeit wieder mit freundlicherem Gesicht", beginnt Geyer. Hoeneß antwortet schmunzelnd: "Es hängt vom Spielstand ab." Dann folgt eine spannende Zeitreise, an der sie Spaß haben. Ein herzliches Wiedersehen per Videokonferenz.

Herr Geyer, Herr Hoeneß, waren Sie sich als Spieler der Bedeutung dieses ersten deutsch-deutschen Duells im Europapokal bewusst?

Uli Hoeneß: Der Sport stand für uns im Vordergrund, entziehen konnten wir uns dem Ganzen trotzdem nicht. Es war für uns etwas ganz Besonderes, in Dresden zu spielen. In den Medien war es ein riesiges Thema - in meinen Augen war es eher besonders spannend, weil das Ergebnis aus dem Hinspiel für uns kritisch war.

Eduard Geyer: Ein 1:0 hätte uns im Rückspiel gereicht.

Hoeneß: Genau, unser 4:3-Sieg daheim war ein katastrophales Ergebnis mit der Auswärtstorregel. Wegen diesem Spiel wurde übrigens meine Hochzeit verschoben, das muss ich erzählen.

Geyer: Deine Frau hätte sich vielleicht schon vor der Hochzeit scheiden lassen sollen. (lacht)

Hoeneß: Nach dem Spiel in München hat mich Manager Robert Schwan am Donnerstag ins Büro bestellt. Am Sonntag wollten wir im Hotel Bachmair am Tegernsee mit 200 Gästen heiraten. Schwan sagte: Übrigens, deine Hochzeit muss verschoben werden. Wir können nicht die Mannschaft zu deiner Feier schicken, wenn wir nach Dresden müssen. Das geht nicht! Ich habe gedacht, der macht einen Scherz. Die Hochzeit wurde abgesagt, sämtliche Gäste ausgeladen.

Das erste Deutsch-Deutsche Duell im Europacup

Geyer: Super Geschichte, wirklich.

Hoeneß: Du kannst dir vorstellen, dass meine Frau alles anderes als happy war, als ich abends heimkam und gesagt habe, die Hochzeit wird um zwei Wochen verschoben.

Geyer: "Für uns war es ein Europapokalspiel"

Wie hoch wurde das Spiel in Dresden gehängt, Herr Geyer?

Geyer: Wir waren junge Leute, wollten Fußball spielen. Für uns war es ein Europapokalspiel. Wir waren immer froh, wenn uns das Los nicht ein anderes Land im Ostblock bescherte, sondern wir nach Rom oder München durften. Natürlich hatte das Spiel eine besondere Note, war ein Politikum. Diskussionen wie um die WM in Katar, um einen Vergleich zur Gegen- wart zu wählen, gab es aber nicht.

Hoeneß: Für die Medien war unsere Übernachtung in Hof vor dem Rückspiel ein Skandal. Wir haben es nicht gewusst, stiegen in München in den Bus und dachten, wir fahren nach Dresden. Nach der Kaffeepause in Feucht (an der A9 bei Nürnberg, Anmerkung der Redaktion) hieß es, der Bus mit der Mannschaft fährt nach Hof, der mit den Journalisten nach Dresden. Die Reporter waren natürlich nicht glücklich.

Geyer: Sauer waren eher die Fans, die vor dem Hotel in Dresden auf die Bayern gewartet haben.

Im kicker stand, Angst vor Spionage und das Essen seien die Gründe gewesen.

Hoeneß: Irgendjemand, ich weiß nicht mehr wer, hatte aufgebracht, dass bei einer Übernachtung die Gefahr wäre, wir werden abgehört und das Essen sei nicht in Ordnung. Schwan hat das meiner Meinung nach in Eigenregie entschieden und vorbereitet, sonst wäre das Hotel in Hof nicht gebucht gewesen.

Die offizielle Begründung lautete seinerzeit, die Mannschaft müsse sich an den Höhenunterschied gewöhnen.

Hoeneß (schmunzelt): Das war natürlich Blödsinn.

Verbindungen unter den Spielern waren "nicht erwünscht"

Ihr Delegationsleiter war ein Oberstleutnant, Herr Geyer. Wie war das Reisen für Sie? Gab es besondere Maßnahmen wegen der Fluchtgefahr?

Geyer: Es wurde immer einer aus Berlin abgestellt, der mit uns gereist ist und uns, ja, kontrolliert hat. Uns Spielern ging das eigentlich am Arsch vorbei, es war eben so üblich, hat uns nicht gestört. Allerdings sollten wir keine Verbindungen zu den anderen Spielern aufbauen, Gespräche und so. Das war von unserer Seite aus nicht erwünscht, von eurer aber auch nicht, Uli. Das fand ich irrsinnig. Ein Jahr vorher war der Vierer ohne Steuermann aus Dresden Olympiasieger im Rudern geworden und durfte den Westdeutschen nicht die Hand geben. Im Fußball mag es etwas lockerer gewesen sein. Gemeinsame Essen gab es im Europapokal nicht.

Hoeneß: Banketts waren damals nicht üblich. Interessanterweise habe ich das nur einmal im UEFA-Cup erlebt: In Coventry gab es 1970 am Tag vor dem Spiel eines für beide Mannschaften. Bei diesem Bankett hat die halbe Mannschaft der Engländer dermaßen feuchtfröhlich gefeiert, dass wir gedacht haben, da kann am nächsten Tag gar nichts passieren. Nach zehn Minuten stand es 1:0 für die, sie haben uns an die Wand gespielt. Wir verloren 1:2, kamen gerade so weiter (nach einem 6:1 im Hinspiel, d. Red.).

Wie ging es auf dem Platz zwischen Dynamo und den Bayern zu? Nickliger also sonst üblich?

Hoeneß: Nein, obwohl es für beide Mannschaften um viel ging. Ein Jahr später trafen wir auf Magdeburg, das war aggressiver. Da haben wir uns nach dem Spiel noch fast in der Kabine gefetzt. In Dresden gab es Begeisterung auf den Rängen und zwischen den Spielern keine Probleme.

Geyer: Das stimmt so. Ich fand, es war Männerfußball, hart, aber fair. Vielleicht zu brav (lacht). Schön, dass wir nach so vielen Jahren noch darüber reden, die Leute sich erinnern und interessieren. Manchmal kommen Leute auf mich zu und sagen: Herr Geyer, Bayern München, wissen Sie noch? Ich antworte versöhnlich und im Spaß: Halt die Schnauze! Weil ich weiß, was dann kommt: dass der Uli mir davongerannt ist.

Nach dem 4:3 im Hinspiel titelte der kicker: "Bayern wahrscheinlich draußen!"

Hoeneß: Wenn du damals daheim mit nur einem Tor Unterschied gewonnen und auch noch ein Gegentor oder mehrere bekommen hast, bist du mit vollen Hosen auf Reisen gegangen.

Uli Hoeneß, Eduard Geyer

Trafen im ersten deutsch-deutschen Duell im Europacup aufeinander: Bayerns Uli Hoeneß (li.) und Dresdens Eduard Geyer (re.). imago images/Horstmüller

Offensichtlich hat Dresden die Beobachter mit einer guten Leistung erstaunt. 1860-Torwart-Ikone Petar Radenkovic sprach als Augenzeuge von einer Überraschung, Dynamo habe ausgezeichnete Fußballschule gezeigt.

Geyer: Viele Dinge hat uns unser Trainer Walter Fritzsch damals schon beigebracht, wenn auch mit anderen Worten als heute. Wir haben vorne gepresst, im Mittelfeld, manchmal zogen wir uns auch zurück. Wir spielten einigermaßen modern. Klar, der heutige Fußball ist aggressiver, aber viele Dinge sind nicht besser geworden. Wir haben viel im technisch-taktischen Bereich gearbeitet und lange Grundlagen-Einheiten absolviert, was ich heutigen Spielern auch empfehlen würde. Und das, obwohl wir in Dresden oft auf Hartplätzen trainiert haben. Das war ein Witz.

Hoeneß: Ihr habt nicht auf Rasenplätzen trainiert, Ede?

Geyer: Nur, wenn das Wetter schön war. Dann konnten wir ins Stadion. Oder wir sind ins Gelände gefahren und haben bei irgendeiner Gemeinschaft auf Rasen trainiert. Für eine Spitzenmannschaft war viel Utopie dabei. Aber wir hatten gute Fußballer: Dixie Dörner, Reinhard Häfner und andere.

Wie war Ihre Stimmungslage nach dem 3:4 im Hinspiel?

Geyer: Für uns war es ein gutes Ergebnis, auch wenn wir um die Qualität der Bayern wussten: Beckenbauer, Müller, Hoeneß. Aber die Chance war mehr als da.

Unmittelbar vor dem Hinspiel gab es eine andere denkwürdige Partie, Herr Hoeneß, das 4:7 in Kaiserslautern nach 4:1-Führung. Wie verunsichert war der FC Bayern?

Hoeneß: War das auch damals? Ist ja ein Wunder, dass wir weitergekommen sind (lacht). Wir waren nervös, aber besonders vor dem Rückspiel hat sich unser Trainer Udo Lattek viele Gedanken gemacht. Gerd Müller hat im Mittelfeld zurückgezogen gespielt. Wir wussten, dass Dynamo attackieren würde, dadurch entstanden Räume. Das war meine Chance und führte zu unserem schnellen 2:0. Trotzdem gerieten wir in der zweiten Halbzeit unheimlich unter Druck, lagen 2:3 hinten. Unnachahmlich, wie Gerd eben war, hat er uns mit dem 3:3 weitergebracht.

Wie sind Ihre Erinnerungen an Ihre beiden frühen Kontertore?

Hoeneß: Ich wundere mich heute noch, wie ruhig ich vor dem Tor war, ich war gerade mal 21 Jahre alt.

Es gibt Leute, die behaupten, es sei Ihr bestes Spiel gewesen.

Hoeneß: Ich habe ein noch besseres gemacht im Endspiel gegen Atletico Madrid in Brüssel. Katsche Schwarzenbeck rettete uns in letzter Sekunde mit seinem Schuss aus 40 Metern ins Wiederholungsspiel. Zwei Tage später haben wir 4:0 gewonnen: Gerd Müller zwei Tore, ich zwei. Das war mein bestes Spiel.

Hoeneß: "Wir haben nur lange Bälle gespielt"

Herr Geyer, in der Vorbereitung auf das Interview unkten Sie, nicht gut wegzukommen. Wie sind Ihre Erinnerungen?

Geyer: In München haben wir nicht so offensiv gespielt wie in Dresden. Weißt du, Uli, was unser Problem war? Wir haben später über dich und das Spiel gesprochen in der Mannschaft und uns immer gefragt, warum wir von der ersten Minute an so offensiv gespielt haben. Uns hätte ein 1:0 gereicht. Ich will mich nicht rausreden, sollte Uli decken und bin verantwortlich. Aber wir waren offen. Von der Trainerbank kam kein Signal, hinten dicht zu machen. Wir spielten mit Dixie Dörner als Libero, Ausputzer, aber der war auch nie da. Wir haben uns geärgert, weil in beiden Spielen mehr drin war, mussten es aber akzeptieren.

Hoeneß: Euer Hauptproblem war, dass die Zuschauer euch nach vorne getrieben haben. Die haben gedacht, jetzt macht ihr uns nieder. Latteks Kniff mit Müller im Mittelfeld - darauf muss man erst mal kommen - habt ihr zu spät erkannt. Wir haben nur lange Bälle gespielt, ich war außer bei den beiden Toren noch ein-, zweimal allein auf weiter Flur.

Trainer Fritzsch sagte nach dem Rückspiel: "Mir ist es ein Rätsel, wieso Geyer - sonst die Zuverlässigkeit in Person - gegen Hoeneß so leichtfertig spielen konnte. Er ist ein Opfer seines Vorwärtsdrangs geworden."

Geyer: Ich und nach vorne? Ich hab doch vorne gar nichts zu suchen gehabt. Walter hat das Spiel falsch gesehen. Ich hätte ihm sagen sollen: Trainer, warum haben Sie nach dem 0:1 nicht das Signal geben: Dixie, du bleibst hinten. Und ihr Verteidiger, ihr bleibt auch hinten. Das Spiel ist wirklich in der Art gelaufen: Alle rennen nach vorne, das Vaterland soll leben.

Hoeneß: Aber, Ede. Ich war schon schnell.

Geyer: Uli, du warst sehr schnell. Aber um darauf zurückzukommen: Vor dem 0:2 bist du kurz hinter der Mittellinie gestartet, und ich habe mir später gedacht: Warum hast du den Hoeneß nicht einfach umgehauen. Damals gab es keine Rote Karte für Notbremsen. Die Distanz zum Tor war aber noch so weit, dass ich gedacht habe: Irgendwie krieg ich ihn noch. Heute denke ich: Ich hätte Uli umhauen sollen.

Hoeneß (schmunzelt): Aber das war nur auf den ersten fünf Metern möglich. Danach war ich weg.

Herr Geyer, Dynamo war ganz nah dran am Weiterkommen. Wie wurde der Ausgang im Osten wahrgenommen?

Geyer: Erst mal war es eine Riesenenttäuschung. Aber wir haben im Nachhinein eine Prämie bekommen, weil wir in beiden Spielen gleichwertig waren. Für unsere Fans war es eine unheimliche Enttäuschung. Mein Auto ging am Tag nach dem Spiel kaputt. Ich bin in meine Werkstatt gefahren, plötzlich standen 20 Autoschlosser um mich herum. Die wollten alle über das Aus gegen die Bayern diskutieren. Das war nicht sonderlich angenehm. Es wurde anerkannt, dass wir gut gespielt hatten, aber das Aus tat weh. Auf der anderen Seite genossen die Bayern in und um Dresden Sympathien.

Trabi oder Wartburg?

Geyer: Ich habe immer Wartburg gefahren (schmunzelt).

Dresden gegen Bayern war ein enges Duell, Magdeburg gewann 1974 den Europapokal der Pokalsieger. Und bei der WM 1974 besiegte die DDR die Bundesrepublik. Befanden sich der DDR-Fußball und der westdeutsche damals auf Augenhöhe?

Hoeneß: Wir im Westen fühlten uns besser. Aber wir waren es nicht. Bei allen Spielen, die ich gegen DDR-Mannschaften gemacht habe, gab es nie ein klares Ergebnis.

Geyer: Die BRD hatte schon einen anderen Stellenwert. Die DDR hat sich bei ihrem WM-Debüt gut verkauft. Wir hätten mit etwas Glück sogar auch die 2. Finalrunde überstehen können. Wobei unser Herz im Finale dann für die BRD geschlagen hat.

Lattek hat nach dem Rückspiel moniert: "Der Schiedsrichter hat mindestens zwei Minuten länger spielen lassen." Wie mutet das für Sie angesichts der heutigen Nachspielzeiten an?

Hoeneß: Ich habe kürzlich ein Spiel gesehen, Tottenham Hotspur, da wurde 14 Minuten nachgespielt. Udo, Gott hab ihn selig, würde sich im Grab umdrehen.

Geyer: Uli, wir haben nicht so viel rumgelegen wie die Spieler heute (lacht). Es gab keine fünf Auswechselungen, und wir haben Schmerzen besser ertragen.

Hoeneß: Und es gab keinen VAR.

Dynamo hätte im Rückspiel wohl einen Elfmeter bekommen müssen. Wäre es mit VAR anders ausgegangen?

Geyer: Ich glaube, wir hätten sogar zwei Elfmeter bekommen müssen.

Hoeneß: Eieiei (lacht).

Ich war am Anfang etwa sehr für den VAR. Jetzt sage ich: Er macht den Fußball schlechter.

Eduard Geyer

Wie ist Ihre Meinung zum Wandel im Fußball?

Hoeneß: Die mediale Aufmerksamkeit und die dadurch fehlende Privatsphäre durch die Handys und die sozialen Medien sind eklatant. Wir hatten ruhigere Verhältnisse. Zu unserer Zeit wurde rund um die Klubs über Fußball diskutiert, über nichts anderes.

Geyer: Wenn ich als Gast bei Talkrunden bin, stelle ich fest: Die Leute in Kneipen können nicht mehr diskutieren. Sie wissen nicht mehr, worüber sie sprechen sollen. Ich war am Anfang etwa sehr für den VAR. Jetzt sage ich: Er macht den Fußball schlechter.

Hoeneß: Ede, was mich am meisten stört: Es hieß, der VAR solle grobe Fehlentscheidungen verhindern. Wenn aber einer mit der Fußspitze einen Zentimeter im Abseits ist, wo ist da die grobe Fehlentscheidung? Früher sind dann eben Tore gefallen, oft sogar noch schönere als heute. Wenn der Schiedsrichter nach einem Tor zum Mittelkreis gezeigt hat, haben sich die Fans gefreut. Heute müssen sie erst mal fünf Minuten warten, bis sie sich freuen können. In meinen Augen ist wenig Sinn darin, ein Tor zurückzupfeifen, wenn ein Spieler nur einen Hauch im Abseits stand und sich damit wirklich keinen entscheidenden Vorteil verschaffen konnte. Viele Zuschauer im Stadion bekommen die Nuancen, die überprüft werden, ja oft auch gar nicht mit und sind dann überrascht, wenn die Situation gecheckt wird. Ich glaube, das ist nicht gut für den Fußball.

Geyer: Was ich nicht verstehe, ist: Wenn ein Spieler klar im Abseits steht, wird erst mal die Fahne nicht gehoben. Da machen die Spieler noch zwei Zweikämpfe und holen sich vielleicht einen Kreuzbandriss. Das ist bekloppt.

Sie sind für die Abschaffung des VAR?

Hoeneß: Nein. Aber wenn der im Kölner Keller auf seinem Bildschirm erkennt, dass die Situation ganz knapp ist, dann soll er sie meiner Meinung nach einfach laufen lassen. Grobe Fehler der Schiedsrichter verhindern, das unterschreibe ich. Aber nicht das, was leider gerade zu oft passiert.

Der Fußball ist viel athletischer geworden, die Spieler sind besser trainiert. Aber ist der Fußball besser als früher?

Hoeneß: Er ist auf jeden Fall athletischer, keine Frage. Was mir teilweise abgeht: Ich sehe keinen Fallrückzieher, keinen Seitspannstoß, keinen Dropkick mehr.

Weitschusstore sind auch seltener geworden.

Hoeneß: Stimmt. Oft wird versucht, noch im gegnerischen Strafraum Doppelpässe zu spielen. Da denke ich mir ab und zu, man könnte auch mal aus der Distanz aufs Tor schießen. Wenn einer den Ball aus 20 Metern in den Winkel haut, ist das doch genauso schön, wie wenn er den Ball per Doppelpass ins Tor trägt. Oder ein anderes Beispiel: Wann sieht man heute noch ein Tor, bei dem vorher der Torwart umspielt wurde? Fast gar nicht.

Was hat sich noch verändert?

Geyer: Die Fußballer sind vielleicht professioneller geworden.

Hoeneß: Gab es bei euch am Tag vor dem Spiel um 22.30 Uhr auch kalten Schweinebraten (schmunzelt)? Wenn ich die Ernährung der Spieler heute sehe - das war bei uns schon ganz anders.

Geyer: Die Spieler haben heute einen Psychologen, einen Ernährungswissenschaftler und, und, und … Am besten wäre noch die Mutti. Und nicht zu vergessen: Der Friseur darf nicht fehlen. Ich hätte einem Spieler die Haare selbst geschnitten, bevor er seinen Friseur ins Trainingslager hätte einfliegen lassen (lacht).

Hoeneß: Wenn wir früher ein Heimspiel hatten, haben wir vormittags an der Säbener Straße trainiert und sind dann zum Mittagessen ins Hotel gefahren. Da gab es schon mal Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Danach gab es Mittagsruhe. Wenn du nicht um 16 Uhr pünktlich wieder im Speisesaal zum Kaffeetrinken warst, hatte "Bulle" Roth schon den ganzen Erdbeerkuchen weggegessen. Tomatencreme-Suppe, ein Filetsteak, Pommes und Sauce Bernaise satt waren das Abendessen. Anschließend wurden sich kurz die Füße vertreten, danach wurde Karten gespielt. Und oft hat man am späten Abend dazu dann noch einen kalten Schweinebraten bestellt. Zudem hat jeder Bier getrunken. Die Ärzte würden heute zusammenbrechen.

Geyer: Bis auf den Schweinebraten sah die Ernährung bei uns so ähnlich aus.

Eduard Geyer

Schlug den FC Bayern München als Trainer von Energie Cottbus: Eduard Geyer.

Herr Geyer, im Duell Dynamo gegen Bayern sahen Sie gegen Uli Hoeneß schlecht aus. Dafür haben Sie als Trainer von Energie Cottbus Hoeneß und die Bayern geärgert mit einem 1:0-Sieg am 14. Oktober 2000. War das ein wenig Genugtuung?

Geyer: Als die Bayern nach dem Aufstieg von Energie im Herbst 2000 erstmals in Cottbus waren, haben sie verdient verloren. Die meisten etablierten Bundesligisten wussten nicht wirklich, wo Cottbus liegt. Für viele war das fast schon in Polen, weil die Straßenschilder und der Stadtname neben Deutsch in Sorbisch angeschrieben stehen (lacht). Wir haben gut gespielt, und die Bayern-Spieler hatten auch ein wenig die Hosen voll.

Hoeneß: Aus eurer Sicht stimmt das.

Außer Union Berlin und RB Leipzig, das kein wirklicher Ost-Verein ist, spielt kein Ostklub in der Bundesliga. Wie sehen Sie den Zustand des Fußballs im Osten?

Geyer: Leipzig wird in der nächsten Zeit immer zwischen Platz 2 und 4 landen. Sie machen das richtig gut, das muss man anerkennen. Und Union macht uns allen viel Freude und verdient großen Respekt. Aber wenn ich an die Traditionsklubs der DDR denke, Dynamo Dresden, den 1. FC Magdeburg, Carl Zeiss Jena oder auch Lok Leipzig, dann sind wir ganz weit weg vom großen Fußball. Dynamo Dresden träumt vom 100. Europapokal-Spiel (98 hat der Klub, Anm. d. Red.), aber wir sind Lichtjahre davon entfernt.

Hoeneß: Ich habe das Gefühl, dass es momentan wieder ein bisschen aufwärts geht. Magdeburg hat sich in der 2. Liga stabilisiert, und bei Hansa Rostock als Zweitligist wird auch wieder besserer Fußball gespielt. Dynamo Dresden mit dem riesigen Fan-Rückhalt könnte in die Bundesliga aufsteigen, wenn sie es mal schafften, sich in der 2. Liga zu etablieren.

Geyer: Sind wir erst mal zufrieden mit dem, was wir haben. Dynamo hat eine große Chance, in die 2. Liga aufzusteigen. Magdeburg und Rostock stabilisieren sich. Peu à peu kann es vorwärts gehen.

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Herr Hoeneß, kommen wir nochmals auf die Saison 1973/74 zurück: Bis zum Gewinn des Henkelpotts gab es lauter Dramen: Weiterkommen im Elfmeterschießen gegen Atvidabergs FF in der 1. Runde, dann die Spiele gegen Dynamo, Katsche Schwarzenbecks Tor in der 120. Minute im Finale gegen Atletico Madrid plus das Wiederholungsspiel. War die Mannschaft besonders nervenstark? Oder hatte sie den Bayern-Dusel?

Hoeneß: Man gewinnt keine ganze Reihe von Spielen nur mit Glück. Wir haben den Europapokal gewonnen, sechs Bayern-Spieler sind später noch mit der Nationalmannschaft Weltmeister geworden. So schlecht können wir also nicht gewesen sein.

Welchen Stellenwert hat der Cupgewinn von 1974 für Sie?

Hoeneß: In meiner Spielerkarriere war das das größte Erlebnis.

Größer als der WM-Sieg 1974?

Hoeneß: Ja. Weil der Europapokal der Landesmeister für mich das Höchste war, die Bayern das vorher noch nie geschafft hatten. Als ich nach dem Wiederholungsspiel des Finales gegen Atletico Madrid in der Kabine den Pokal in der Hand hatte, dachte ich mir: Wenn du jetzt die Zeit anhalten könntest … Als Spieler war das mein schönster Tag, zumal wir im ersten Spiel viel Glück und im zweiten Spiel überragend gespielt hatten. Die Feier anschließend war unglaublich, einige von uns haben im Hotel-Pool übernachtet. Wir sind vom Endspiel-Ort Brüssel mit dem Bus zum letzten Bundesligaspiel nach Mönchengladbach gefahren, haben 0:5 verloren - und uns alle trotzdem gefreut.

Interview: Frank Linkesch/Andreas Hunzinger

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