Handball

Hannings kicker-Kolumne: Nur wer für das DHB-Team brennt...

Die Handball-Kolumne von Füchse-Boss Bob Hanning

Nur wer für die Nationalmannschaft brennt, kann Feuer entfachen

Fazit unter eine besondere EM: Bob Hanning (Mitte) in seiner siebten kicker-Kolumne.

Fazit unter eine besondere EM: Bob Hanning (Mitte) in seiner siebten kicker-Kolumne. imago images (3)

Bevor wir nach dem Russland-Spiel heute Abend nach Hause fahren, macht es Sinn, ein Fazit aus deutscher Sicht zu ziehen. Haben wir verloren, weil wir die meisten Corona-Fälle bei der EM hatten? Haben wir verloren, weil wir Platz 5 von der EM 2020 nicht haben halten können? Haben wir verloren, weil es ein Muster ohne Wert war? Ich sage nein - und bleibe optimistisch.

Wir haben gewonnen, weil wir in Deutschland einen unglaublich breiten Kader haben, was fast schon ein Alleinstellungsmerkmal ist. Nur mal zur Einordnung: Vor dem eigentlich entscheidenden Hauptrundenspiel gegen Norwegen fanden sich nur noch sieben der 19 Spieler im deutschen 16er-Kader, mit denen Alfred Gislason die EM-Vorbereitung in Großwallstadt begonnen hatte. Und trotzdem waren wir in vielen Spielen sehr lange ganz eng dran. Die vielen nachnominierten Spieler konnten den Kader verstärken, aber nichts schlägt gemeinsames Training, das erstmals vor dem Schweden-Spiel möglich war.

Das DHB-Team weiß zu leiden

Es hat dennoch funktioniert, weil die Mannschaft Herzblut und Leidenschaft gezeigt hat. Den Wortbestandteil Leiden hat das DHB-Team dabei besonders ernst genommen. Das hat man auf der Platte gesehen, aber auch in dem Umstand, dass etliche von den Nachrückern direkt aus dem Urlaub kamen.

Gewonnen haben wir auch wesentliche Erkenntnisse. Sinnbildlich für solche steht Senkrechtstarter Julian Köster, der natürlich den einen oder anderen erfahrenen Spieler neben sich gebraucht hätte, um Entlastung zu kriegen. Aber auch Spieler wie Lukas Mertens, Luca Witzke und Lukas Zerbe haben gezeigt, dass mit ihnen in der Zukunft zu rechnen ist. Dazu glaube ich, dass uns das Torhüter-Duo Till Klimpke und Andreas Wolff in Zukunft erstklassig vertreten kann. Sollte einer von ihnen fehlen, haben wir gesehen, dass es zwischen den Pfosten Routine und Talent gibt, die selbst das auffangen können. Freuen wir uns auf das, was kommt.

Gislason hat uns immer ein gutes Gefühl gegeben

Großen Spaß habe ich auch an der Arbeit von Alfred Gislason gefunden. Ich weiß, dass er Improvisation hasst wie kein Zweiter. Er hat uns Außenstehenden aber zu jedem Zeitpunkt ein gutes Gefühl gegeben. Die Mannschaft hat mich fast immer überzeugt, das Niveau aber aus den bekannten Gründen nicht durchweg halten können. Wenn das über 60 Minuten gegen Weltklasse-Mannschaften wie Norwegen oder Schweden funktioniert hätte, wäre das auch eine riesige Überraschung gewesen.

Hoffentlich können wir uns heute Abend nochmal an einem schönen Spiel der deutschen Mannschaft erfreuen, auch wenn es fast mehr Profis im Krankentransport nach Hause als auf der Platte sind.

Es darf kein Warten auf die Heim-EM oder Heim-WM geben

Zum Abschluss zu der Frage, die mich am häufigsten von Handball-Fans während des Turniers erreicht hat: Auf welche Spieler sollten wir denn angesichts der vielen Verzichte in Zukunft bauen? Ich habe hier eine ganz simple Antwort. Denn: Nur wer selbst brennt, kann Feuer entfachen. Das gilt auch in Bezug auf die Nationalmannschaft.

Wir müssen bei der hohen Belastung Verständnis haben, dass ein Nationalspieler auch mal ein Turnier aussetzt. Es muss aber ein klares Bekenntnis zum DHB-Team geben und nicht ein Warten auf die Heim-EM 2024 oder Heim-WM 2027. Wenn mir im Berufsleben jemand "entweder oder" sagt, habe ich mich immer fürs "oder" entschieden - und bin damit nie schlecht gefahren. Ich wurde zum Beispiel damals von Spielern vor die Wahl gestellt: "Entweder Christian Prokop wird entlassen oder wir spielen nicht die Heim-WM." Prokop jedenfalls saß im Januar 2019 auf der Bank.

Bob Hanning (53) hat die Füchse Berlin von der 2. Liga bis in die Champions League geführt, den DHB in acht Jahren als Vizepräsident auf links gedreht und jüngst einen Spiegel-Bestseller (Hanning. Macht. Handball.) geschrieben. In seiner neuen Kolumne analysiert er für den kicker die Geschehnisse rund um Nationalmannschaft und Bundesliga.

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