Handball

WM-Zeugnis der deutschen Handball-Nationalmannschaft: Die Schattenseiten nicht vergessen

Bundestrainer Prokop leistet sich auch seine Fehler

Deutsches WM-Zeugnis: Die Schattenseiten nicht vergessen

Diskussionsbedarf: Auch Bundestrainer Christian Prokop (l.) und Torhüter Andreas Wolff machten bei der WM Fehler.

Diskussionsbedarf: Auch Bundestrainer Christian Prokop (l.) und Torhüter Andreas Wolff machten bei der WM Fehler. imago (2)

Die deutschen Handballer rund um Bundestrainer Christian Prokop haben schon in der Vorrunde die dringend nötige Euphorie im Land entfacht . Der deutsche Coach, der sich nach der enttäuschenden EM 2018 (9. Platz) harscher Kritik ausgesetzt gesehen hatte, überraschte mit seiner offenen Art und bezog seine Spieler auch in den Auszeiten immer wieder in seine Überlegungen ein . DHB-Vizepräsident Bob Hanning, der große Fürsprecher und Unterstützer des Bundestrainers, betonte stets, dass er nun den "wahren" Prokop erlebe. In der Mannschaft sorgten beispielsweise Kreisläufer Jannik Kohlbacher ( als großer Hoffnungsträger für die Zukunft ) und Fabian Böhm (als größere Unbekannte vor Turnierstart) für echte Höhepunkte. Kapitän Uwe Gensheimer schöpfte diesmal sein Potenzial aus, ging mit einer starken Quote und als Anführer während der Heim-WM voran. Herausstach die von Andreas Wolff und Silvio Heinevetter unterstützte Abwehr, die vom überragenden Patrick Wiencek stets gepusht wurde und zumeist absolute Weltklasse verkörperte.

All das Licht täuschte allerdings ein wenig über die Schattenseiten hinweg. In der TV-Berichterstattung und aus dem Umfeld gab es kaum kritische Stimmen. Dabei warfen einige Situationen - speziell im verlorenen WM-Halbfinale gegen Norwegen (25:31) - Fragen auf. Nach dem starken Start ließ der Europameister von 2016 relativ schnell die Köpfe hängen, die Körpersprache war teils bedenklich. Als Prokop im ersten Abschnitt dann zu Recht Wolff auswechselte, verstand dieser die Welt nicht mehr und teilte das dem Bundestrainer unmissverständlich mit. Heinevetter übernahm und überzeugte. Doch Prokop stellte nach dem Seitenwechsel direkt wieder Wolff überraschend ins Tor, der gut aufgelegte Heinevetter war vorerst wieder Reservist - und wurde später doch nochmal gebraucht.

Warum spielte WM-Debütant Suton so lange?

Als taktisches Mittel wollte Prokop kurz vor Schluss eine "Wurffalle" stellen, entschied sich dabei für den zuvor überzeugenden Bjarte Myrhol (Prokop: "Lasst ihn werfen"), der zum Abschluss gezwungen werden sollte. Obwohl die Begegnung freilich praktisch entschieden war, war es eine merkwürdige Entscheidung: Sechs Tore standen am Ende für einen der abgezocktesten und erfahrensten Norweger zu Buche, er wurde kurz darauf zum "Spieler des Spiels" gewählt - und am Sonntag auch ins All-Star-Team der WM . Umstritten war auch, warum WM-Debütant Tim Suton in seinem erst zweiten Einsatz derart lange gegen Norwegen auf dem Parkett stand. Er wirkte - völlig verständlich - in einigen Situationen ziemlich überfordert. Paul Drux hätte da womöglich mehr bewegen können.

Er sorgte unbedrängt für die endgültige Entscheidung gegen Deutschland: Norwegens Kreisläufer Bjarte Myrhol.

Er sorgte unbedrängt für die endgültige Entscheidung gegen Deutschland: Norwegens Kreisläufer Bjarte Myrhol. imago

Bei der großen Euphorie ging auch etwas unter, dass die deutsche Mannschaft einen eifrigen Helfer aus Südamerika hatte: Außenseiter Brasilien war es zu verdanken, dass die DHB-Auswahl überhaupt 3:1 Punkte in die Hauptrunde mitnehmen durfte (statt 2:2 bei einem Weiterkommen der Russen) - und dann auch schnell ihr Endspiel ums Halbfinale gegen Kroatien bekam .

In diesem waren dann auch die Schiedsrichter - zumindest in der allesentscheidenden Phase - ein wenig auf deutscher Seite . Das kurz vor Schluss gegebene Stürmerfoul war eigentlich keines, was die dänischen Referees wenig später auch einräumten . Im Spiel um Platz drei gegen Frankreich stellte sich die deutsche Mannschaft dann nicht wirklich clever an, die Chancenverwertung verhinderte eine höhere Führung zur Pause. Dazu kam der unüberlegte Pass von Magdeburgs Matthias Musche Sekunden vor Schluss, der nicht nur DHB-Keeper Andreas Wolff auf die Palme brachte . In der Crunchtime war es nicht der erste deutsche Aussetzer bei diesem Turnier (Stichwort: Böhm gegen Frankreich ).

Reichmann hätte helfen können

Ein kleines Randthema bleibt die Nicht-Nominierung von Tobias Reichmann , der angesichts der sehr durchwachsenen Leistungen von Patrick Groetzki auf Rechtsaußen sportlich definitiv eine Verstärkung gewesen wäre, sich aber wohl mit seinen Sticheleien bei Prokop selbst ins Aus manövriert hatte. Das Spiel um Platz drei zeigte auch: Der Hype rund um die Heim-WM war nach der Enttäuschung gegen Norwegen relativ schnell verflogen. Nur 6,76 Millionen Zuschauer schalteten am Sonntag den Fernseher für das Spiel um den dritten Platz ein. Das 25:26 gegen Frankreich blieb damit sogar unter dem Durchschnittswert der Vorrundenspiele von fast 7,2 Millionen. Der Stolz über die gezeigten Leistungen überwog zu Recht, denn das Halbfinale hatten der deutschen Mannschaft die Wenigsten zugetraut - doch über die Schwächen sollte in jedem Fall gesprochen werden.

Maximilian Schmidt

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