Int. Fußball

So hat Hakan Calhanoglu sich und Milan wiederbelebt

Ehemaliger Bundesliga-Profi verzückt als Fixpunkt in der Serie A

Wie Phönix aus der Asche: So hat Calhanoglu sich und Milan wiederbelebt

Herausragende Leistungen und deswegen beste Laune: Hakan Calhanoglu surft dieser Tage auf der Milan-Euphoriewelle.

Herausragende Leistungen und deswegen beste Laune: Hakan Calhanoglu surft dieser Tage auf der Milan-Euphoriewelle. imago images

Eine feine Ballannahme, den Blick sofort gen gegnerisches Tor gerichtet, alle Nebenmänner sowie Gegenspieler im Blick - und ein perfekter Steilpass in den Fuß von Zielspieler Zlatan Ibrahimovic. Mit solch verblüffenden Szenen hat der begeisterte Serie-A-Zuschauer zuletzt Hakan Calhanoglu beim 2:1 in Sassuolo gesehen.

Doch das ist nur ein Beispiel: Viele weitere Male hat der türkische Nationalspieler zuletzt herausragend im offensiven Mittelfeld der AC Mailand agiert, ausgetauscht werden muss im Eingangssatz dann lediglich der Name der anvisierten Person. Denn mal servierte Calhanoglu für den Ex-Frankfurter Ante Rebic, mal für Rafael Leao, mal für Samu Castillejo oder für Alexis Saelemaekers. Gerade mit seinen vielen Schnittstellenpässen sezierte der aus Rossoneri-Sicht endlich vollends aufblühende Calhanoglu auch bestens aufgestellte Defensiven reihenweise. So geschehen beim 4:2 gegen Meister Juventus, als Milan ein schnelles 0:2 nach der Pause in wenigen Minuten mit einem Vier-Tore-Spektakel umdrehte und eine verdutzte Alte Dame hinterließ. Sowohl beim 2:2 als auch 3:2 hatte Calhanoglu sein feines rechtes Füßchen im Spiel. Und beim 1:1 gegen Atalanta Bergamo am Freitagabend zeigte er wieder einmal seine in Deutschland bestens bekannten Freistoßkünste.

Spielersteckbrief Calhanoglu
Calhanoglu

Calhanoglu Hakan

Spielersteckbrief Ibrahimovic
Ibrahimovic

Ibrahimovic Zlatan

Spielersteckbrief Rebic
Rebic

Rebic Ante

Trainersteckbrief Pioli
Pioli

Pioli Stefano

AC Mailand - Vereinsdaten
AC Mailand

Gründungsdatum

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SV Waldhof Mannheim

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Karlsruher SC

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29.09.1887

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Bayer 04 Leverkusen

Gründungsdatum

01.07.1904

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Milan gedeiht und blüht farbenfroh

Genau wegen solcher Leistungen steht der Techniker aktuell sinnbildlich für den Aufschwung der rot-schwarzen Mailänder Seite, die seit vielen Jahren den Glanz alter Tage (die letzte von insgesamt 18 Meisterschaften 2010/11 noch mit Akteuren wie Andrea Pirlo, Gennaro Gattuso, Ronaldinho; sieben Triumphe in der Königsklasse - letztmals 2007) mit vielen und vor allem großen Rostflecken verdeckt hat. "Fades Milan im grauen Mittelmaß des italienischen Fußballs", solche Schlagzeilen wiederholten sich oft. Sehr oft.

Hakan Calhanoglu und Stefano Pioli

Verstehen sich prächtig: Milan-Profi Hakan Calhanoglu (links) und AC-Trainer Stefano Pioli. imago images

Doch nun scheinen die Lombarden einen Weg aus dem dickflüssigen, nur schwer abzuschüttelnden Morast gefunden zu haben. Mit dem insgesamt jüngsten Kader der Serie A (25,19 Jahre im Schnitt) ist der stolze Traditionsklub 2019/20 ins Rennen gegangen, hat Probleme gehabt, Trainer und Gattuso-Nachfolger Marco Giampaolo schnell wieder entlassen sowie Stefano Pioli aufgrund seiner Inter-Vergangenheit nicht ohne kritische Stimmen installiert.

Und plötzlich hat es Klick gemacht: Die Mannschaft groovte sich ein und eilte besonders nach der Corona-Zwangspause von Sieg zu Sieg. Der verdiente Lohn dafür: ein Platz, der für die Teilnahme an der Europa League 2020/21 berechtigt.

Der Aufschwung

Was aber besonders in dieser aktuellen Phase auffällt: Gerade der inzwischen gefeierte Pioli, der mit seinen Resultaten Ende Juli auch das geplante Engagement von Ralf Rangnick platzen ließ und selbst einen neuen Vertrag erhielt, fand einen Zugang zu Calhanoglu. Schließlich war der Deutsch-Türke, der 2017 als großes Zukunftsversprechen gekommen war, bis dato nur ein guter Spieler mit ein paar wenigen Highlight-Auftritten. Die Milanisti hatten sich mehr von ihm versprochen, teilweise sogar schon die Hoffnung aufgegeben, ehe sie nun von Spiel zu Spiel eine Art Phönix aus der Milan-Asche beobachten durften.

Hakan Calhanoglu und Zlatan Ibrahimovic verstehen sich bei der AC Mailand prächtig.

Ein erfolgreiches Duo bei der AC Mailand: Mittelfeldmann Hakan Calhanoglu und und Stürmer-Star Zlatan Ibrahimovic. imago images

Allein nach dem Re-Start der Serie A steuerte Calhanoglu in zehn erfolgreichen Spielen (sieben Siege, drei Remis) stolze zwölf Scorerpunkte (fünf Tore, sieben Assists) und viele weitere tolle Aktionen bei. Er wirkt spritziger, gefährlicher, mutiger. Solch eine Phase hat der Mittelfeldantreiber in Italiens Oberhaus bis dato noch nicht erlebt. Er explodiert förmlich, er ist schlicht viel besser geworden. Das musste auch der gewohnt selbstbewusste Ibrahimovic ("Bin Klubpräsident, Trainer und Spieler, alles zusammen"), im Winter zu den Rossoneri zurückgekehrt ("Wenn ich von Anfang an dabei gewesen wäre, hätten wir um den Scudetto gespielt"), eingestehen.

Nach dem 2:1 in Sassuolo setzte sich "Ibra" neben seinen zweimaligen Vorbereiter an diesem Abend und lobte seinen Nebenmann ausgiebig. Der Schwede bezeichnete ihn unter anderem als besten türkischen Spieler. Ein schönes Bild mit den beiden entstand.

Alte Erinnerung: Vier Monate Sperre

Stellt sich nur noch die Frage, wie der frühere Mannheimer (2001-2009), Karlsruher (2009-2013), Hamburger (2013-2014) und Leverkusener (2014-2017) sowie 111-malige Bundesliga-Spieler (28 Tore sowie 22 Assists) diesen steilen Leistungsanstieg bewältigt hat?

Anhand der Positionierung auf dem Rasen ist das nämlich nicht direkt abzulesen, schließlich kickt der Standardexperte wie vor der Corona-Zwangspause entweder auf der linken Offensivseite oder im zentralen offensiven Mittelfeld. Das Geheimnis liegt wohl eher im hervorragenden Verhältnis zu Trainer Pioli, den Calhanoglu während der anhaltenden Rangnick-Gerüchte auch öffentlich stets verteidigt und dessen Weiterbeschäftigung klar eingefordert hatte. Gegenüber "Goal.com" führte der türkische Nationalspieler (47 Länderspiele) zuletzt über sich und seinen AC-Werdegang der letzten Jahre aus: "Lasst uns nicht vergessen, dass ich damals nach meinem Wechsel zuvor sechs Monate nicht gespielt hatte."

Hintergrund: Ab März 2016 befanden sich Calhanoglu und die FIFA in einer rechtlichen Auseinandersetzung, da der Profi im Alter von 17 Jahren einen Vertrag bei Trabzonspor unterschrieben hatte. Dieser Kontrakt sah einen Wechsel zur Saison 2012/13 vor, der aber nicht zustande kam. Am 2. Februar 2017 wurde er so für die Dauer von vier Monaten für alle Pflichtspiele gesperrt. Für den Zeitraum seiner Sperre habe Calhanoglu damals aus freien Stücken kein Gehalt oder keinerlei Prämien durch Bayer 04 Leverkusen bezogen, aber weiterhin bis zum Transfer am Trainingsbetrieb teilgenommen.

Unter Stefano Pioli spielen wir aggressiver und stets offensiv, was besser für mich ist.

Hakan Calhanoglu über seinen aktuellen Milan-Coach

"Es war deswegen sehr schwer für mich, zurückzukommen", gestand Calhanoglu: "Ich war physisch in einer schlechten Verfassung. Und dann bei einem großen Klub wie Milan zu starten ... Die Leute waren erwartungsvoll, weil sie mich von Leverkusen kannten. Deswegen habe ich im ersten Jahr nicht das zeigen können, was ich mir vorgenommen hatte. Im zweiten Jahr lief es dagegen von Tag zu Tag besser, als Gattuso als Trainer kam. Er hat mir Energie verliehen und mich oft gepusht. Körperlich war ich unter ihm in guter Form - und manchmal ließ er mich in meiner Rolle spielen. Aber taktisch war das nicht zu vergleichen mit Pioli, Gattuso ist da eher defensiver ausgerichtet. Unter Pioli dagegen spielen wir aggressiver und stets offensiv, was besser für mich ist. Deswegen stimmt es, wenn die Leute sagen, dass das mein bestes Jahr bislang ist."

Lobeslieder und die "Deutschland-Meinung"

Eindrücke, die neben Calhanoglu selbst, seinem Trainer, seinen Teamkollegen und Fans auch die italienischen Gazetten teilen. "Er war an allen vier Treffern beteiligt und hat zwei direkt vorbereitet. Er ist der Schlüsselspieler für Milan auf dem Weg in den Europapokal", huldigte zum Beispiel der "Corriere dello Sport" direkt nach dem Mailänder Re-Start beim 4:1 in Lecce. Und die "Gazzetta dello Sport" erkannte einen "echten Anführer" im AC-Dress: "Um alles über ihn zu sagen, reicht es, sich alle vier Tore von Milan anzuschauen. Von seinen Assists, über seine harten Schüsse bis hin zur Spieleröffnung und Gestaltung. Mit seiner Spielintelligenz hat er stets Freiräume gesucht."

Hakan Calhanoglu, hier noch im Trikot von Bayer 04 Leverkusen.

Hat in Deutschland für Mannheim, Karlsruhe, Hamburg und Leverkusen gespielt - und allein in 111 Bundesliga-Partien 28 Tore sowie 22 Assists beigesteuert: Hakan Calhanoglu. imago images

In Italien hat Calhanoglu somit nachweislich den Ruf als Transfer-Flop abgelegt, bleibt vielleicht nur bei so manchem HSV-Anhänger noch das ein oder andere Vorurteil aus alten Tagen - wenngleich der Spieler selbst mit 26 Jahren noch länger auf der Fußballbühne unterwegs sein dürfte. Schließlich ist sein unrühmlicher Wechsel vom Hamburger SV zu Bayer 04 Leverkusen in der Saison 2014/15, bei dem er sich auf fragwürdige Art und Weise krankschreiben ließ, um nicht mit dem HSV trainieren zu müssen, noch nicht unvergessen. Zuvor hatte der Deutsch-Türke, dessen Familie aus einem Dorf der türkischen Provinz Bayburt nach Deutschland migriert ist und der schließlich am 8. Februar 1994 in Mannheim geboren wurde, nach seiner HSV-Vertragsverlängerung noch großspurig verlauten lassen: "Ich habe immer gesagt, dass ich mich in Hamburg und beim HSV wohlfühle. Ich möchte noch lange für den Verein in der Bundesliga spielen und in den kommenden Jahren zu einem festen Bestandteil der Mannschaft werden. In unserer schweren Situation möchte ich auch ein Zeichen setzen."

Dieses Zeichen aus dem Februar 2014 war aber schnell wieder vergessen, kurz darauf wechselte er zur Werkself, was für Wut sorgte.

Wie geht es weiter?

Gut möglich aber, dass sich Calhanoglu in absehbarer Zeit auch wieder vermehrt den kritischen deutschen Fußballaugen zeigt - wenn man zumindest aktuellen Gerüchten Glauben schenken mag. Die "Gazzetta dello Sport" brachte bereits einige Male eine mögliche Rückkehr in die Bundesliga ins Spiel.

Sicher ist: Calhanoglus Zukunft ist noch nicht geklärt, sein Vertrag läuft 2021 aus. "Ich bin zu Milan mit vollem Herzen und dem Ziel gekommen, um mit dem Klub in der Champions League zu spielen - wo er hingehört. Nun aber steht bald eine Entscheidung an, die wohlüberlegt getroffen werden muss", sagte der türkische Nationalspieler zuletzt: "Ich selbst bin nach der Corona-Pause gut gestartet, will so weitermachen. Dann wird man sehen, wie es weitergeht. Auf jeden Fall liebe ich Milan und den Umstand, mit der 10 auflaufen zu dürfen."

Zum Thema: Hakan Calhanoglu bittet HSV-Fans im Mai 2014 um Verständnis

Markus Grillenberger