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So leimte ein Deutschland-Fan die FIFA

Bom dia, Brasil - Die kicker-Kolumne vom Zuckerhut

So leimte ein Deutschland-Fan die FIFA

Von links: Andreas Dormann, Daniel Moosmann, Ludger Dormann.

Von links: Andreas Dormann, Daniel Moosmann, Ludger Dormann. kicker

Für den kicker in Brasilien: Hans-Günter Klemm

Die Reisegruppe, die sich kennt und miteinander auf den Brasilien-Trip gegangen ist, flog nach Rio. Zielpunkt: Maracana, das Viertelfinale gegen Frankreich. Sie kamen aus Porto Alegre, Ausgangspunkt Achtelfinale gegen Algerien. Erste Zwischenlandung in Florianopolis. Zweite in Sao. Es dauert, selbst mit dem Flieger, die riesigen Distanzen im WM-Land zu überwinden. Doch es spare nun mal Kosten, sagt Ludger Dormann, einer aus der bunten Truppe. Sein Bruder Andreas gehört noch dazu und Daniel Moosmann, ein besonderes Unikum. Dieser ist "halb Deutscher, halb Schweizer", wie er sagt. Er lebt in Oslo. Dort ist er hängengeblieben au einem Bauerhof.

Daniel ist Bayern-Fan und vielleicht der heißeste Anhänger der Jogi-Truppe. Er ist derjenige, der die Fahne dabei hat. Seit 1990 hat er alle Weltmeisterschaften verfolgt, auf diese Art und Weise. Vor vier Jahren in Südafrika reiste er viereinhalb Wochen der deutschen Elf hinterher, was er und seine Kumpel nun wieder zu tun gedenken. In Afrika haben sie sich kennengelernt, die Dormann-Brüder und der Daniel. Nun sind sie gemeinsam unterwegs. Mit so genannten Optionstickets, die ihnen erlauben, alle deutschen Spiele zu sehen. Bei einem Ausscheiden Deutschland gäbe es das Geld zurück.

Den HSV auf der Schlappe, Deutschland im Sinn

"Nicht schön", sagt Andreas Dormann, 35 Jahre alt, ein "freischaffender Musiker", wie er sagt. "Aber dann machen wir halt Urlaub hier." Bruder Ludger, 41 Jahre alt und ein Finanzmakler aus Hamburg, nickt zustimmend. Seine Fußball-Liebe trägt er zur Schau. Auf seinen leichten Sommerschuhen prangt die Raute, in Schwarz und Blau, den Farben des Hamburger SV. Andreas hat einen anderen Geschmack, was auch daran liegen mag, dass er in Berlin sesshaft ist. Er favorisiert die alte Dame Hertha in der Heimat. Doch hier, 9000 Kilometer von der Heimat entfernt, unterstützen sie frenetisch die deutsche Elf, über deren Vorstellung bei dieser WM bislang sie eine fast einheitliche Meinung haben.

"Es ging großartig los", urteilt Andreas. Doch nun sehe er alles mit Skepsis. "Mustafi und Höwedes sind keine Außenverteidiger." Ludger empfiehlt dem Bundestrainer Löw dringend, auf Volkes Stimme zu hören: "Özil muss raus. Schweinsteiger und Khedira müssen auf die Doppel-Sechs, sonst wird es nichts." Und Daniel schließt sich an: "Özil hatte seine Chancen, er hat sie nicht genutzt. Löw muss ihn rausnehmen." Die Jungs müssen flexibel sein. Sie hatten ihren Reiseplan im Kopf, doch im Endeffekt steuern die Nationalspieler den Kurs. Ab der Knockout-Runde stehen nun die Stadien fest, wenn gewonnen wird und es weitergeht.

Playback bei Placido Domingo

Die Gruppe ist mobil und nutzt dabei alle Möglichkeiten: mal Flug, mal Bus, mal Auto. "Wir haben ein wenig die Distanzen unterschätzt", gibt Ludger zu. In Afrika sei vieles einfacher gewesen, weil die Arenen schneller zu erreichen waren. Sollte Deutschland ins Finale kommen, so wären sie wieder mehr als 30 Tage unterwegs. Kostenpunkt des Unternehmens? 5000 Euro pro Person, je die Hälfte für Flüge und Tickets, die andere Hälfte für Schlafen, Essen und Trinken. Sie sind schon alte Hasen, kennen sich aus und tricksen schon mal. So hat Andreas 2006 das Finale im Olympiastadion live miterlebt. Im Innenraum, weil er, der musikalisch Begabte, sich gemeldet hatte für den Background-Chor, der Placido Domingo bei der Pausen-Show unterstützte. "Vollplayback", so Andras. "Ich habe ein wenig den Mund bewegt und hatte den besten Platz auf den Stufen des Marathontors."

Bom dia, Brasil

Noch bizarrer ist die Geschichte, die Daniel beim Eröffnungsspiel in Sao Paulo erlebt hat. Ohne Eintrittskarte ist er bis in den Vip-Bereich vorgedrungen, was ein schlechtes Licht auf die Sicherheitsvorkehrungen in Brasilien wirft. "Es ging ganz einfach", schildert er, wie er die FIFA geleimt hat. Mit einer Karte eines anderen Vorrunden-Spiels passierte er die erste Kontrolle, weil niemand genau auf die Spielpaarung achtete. Dann die zweite Sperre: Daniel, in Begleitung eines kessen Schotten, warf seinen Rucksack auf das Kontrollband und eilte durch die Schleuse. Niemand hielt ihn auf. Zum Beweis zeigt er Fotos, wie er sich an Speis und Trank labt.

Bibbern in Porto Allegre

Gelandet in Rio. Galea, der internationale Flughafen. Einer eilt zum Kartenschalter. Alles klappt, die Tickets für Deutschland-Frankreich lagen bereit am Airport. Nun geht es in die Stadt. "Die lange Hose können wir wieder einpacken", jubelt Daniel angesichts des sonnigen Wetters. 26 Grad, der normale Winter in Rio. Wobei man wissen muss, dass die Drei aus der Kälte kamen. Nur zwölf Grad Celsius in Porto Alegre beim auch nicht gerade erwärmenden Match gegen Algerien. Ludger bestätigt: "Wir haben ganz schön geschnattert."

Im Auto Richtung Copacabana. Rechts der berühmte Fußball-Tempel Maracana, im Vordergrund der Zuckerhut, nur Cristo auf dem Corcovado zeigt sich nicht den neu angekommenen Besuchern aus Alemanhia. Dunst umhüllt die imposante Statue. Nun trennen sich die Wege. Die Dormann-Brüder haben über Kontakte eine Privatunterkunft in einer Favela gebucht. Vidigal heißt das Armenviertel, das aktuell in ist in Rio. "Es ist befriedet", sagt Andreas, "es besteht keine Gefahr." Bei einer Schauspielerin sind sie untergebracht in diesem Bezirk, der am Ende des Strandabschnitts von Leblon sich an einen Hang schmiegt und malerisch wirkt. Hier, so sagen die Cariocas, hat sich unlängst die Prominenz eingemietet – wegen der tollen Lage und der Aussicht wie aus dem Bilderbuch.

Man trifft sich, man kennt sich

David Beckham und der Rapper Kayne West sollen sich hier Immobilien erworben haben. Daniel bleibt an der Copacabana. Er hat sich mit Freunden verabredet. Diesmal gönnt er sich ein kleines Hotel in einer Seitenstraße des berühmten Strandabschnitts. Die drei verabschieden sich. Eventuell werden sie abends gemeinsam essen gehen. Wenn nicht, dann sehen sie sich spätestens im Stadion. Im Block der deutschen Fans, wo die meisten sich inzwischen kennen.

So ist auch Frank Sokolowski für die Dreiergruppe kein Unbekannter. Der 52-jährige aus Leipzig reist auch der deutschen Elf hinterher in Südamerika. Zufällig saß er im gleichen Flieger. Am Gepäckband zeigt er sein Mitbringsel. Frank hat ein spezielles Hobby: Er näht Flaggen. Dass die Deutschen nach Rio kommen würden, hatte er erwartet. Also hat er zuhause die Fahne des Bundelandes Rio de Janeiro gestickt und präsentiert sie stolz. Die Polizisten und Flughafenmitarbeiter staunen. Und sie rufen anerkennend aus: "Germania bem!" Es bleibt unbeantwortet, wen sie meinen. Die deutsche Mannschaft oder die deutschen Fans.

Bom dia, Brasil! Die kicker-Redakteure Mounir Zitouni, Jörg Wolfrum, Hans-Günter Klemm und Oliver Bitter (v.l.)

Bom dia, Brasil! Die kicker-Redakteure Mounir Zitouni, Jörg Wolfrum, Hans-Günter Klemm und Oliver Bitter (v.l.).