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Ein Mädchen für alles namens "Dante"

Bom dia, Brasil - Die kicker-Kolumne vom Zuckerhut

Ein Mädchen für alles namens "Dante"

Die kicker-Redakteure Hans-Günter Klemm und Jörg Wolfrum mit Regina "Dante" Luna.

Die kicker-Redakteure Hans-Günter Klemm und Jörg Wolfrum mit Regina "Dante" Luna. kicker

Aus Brasilien berichtet Hans-Günter Klemm

Als ich aus Sao Paulo in Rio ankam und auf mein Gepäck wartete, warf ich einen schnellen Blick durch die Schiebetür. Ich sah viele Menschen, viele Hautfarben, viele markante Gesichter, viele Frisuren. Ich sah auf einem kleinen Fleck ganz Brasilien en miniature, die Vielfalt der Kulturen, der unterschiedlichen Ethnien. Nur ich sah keinen "Dante", weder in der männlichen noch in der weiblichen Version, die für mich infrage kommen und die mich abholen und in unser Appartement in Ipanema bringen sollte. Ich verharrte am Rollband, das irgendwann die Koffer ausspuckt. Warten, es ist die Tugend, die man schnell in Brasilien lernt. Wieder mal kam mein Teil als eines der letzten Stücke. Zehn Minuten vergangen, seit meinem ersten Versuch der Annäherung an "Dante", die noch nicht da gewesen war.

Zusätzliches Erkennungsmerkmal: Ein kicker-Sonderheft

Ich schritt durch die Tür. Ein Blick und die rasche Bestätigung. Ich musste nicht lange suchen. Das Haar trug sie offen, damit sie auch aussieht wie "Dante" und um die unzähligen und unbeschreiblichen Rastlocken zur Geltung zu bringen. Als Erkennungszeichen war ausgemacht, dass sie ein Sonderheft des kicker in der Hand halten sollte. Es wäre nicht nötig gewesen. Ich erkannte sie sofort. "Dante" heißt mit bürgerlichem Namen Regina Luna. Der kicker hat sie engagiert für die Dauer der WM. Als Fahrerin, als Organisatorin, als Helferin, wenn mal Not am Mann sein sollte. Sie verkörpert alle Rollen und noch mehr: Regina ist die gute Fee, die uns gute Dienste leistet bei der Arbeit und beim Kampf gegen die täglichen kleinen Widerwertigkeiten des Alltags.

Offensiver Fahrstil: Wer bremst, verliert

Ein Anruf oder eine Mail genügen, schon ist sie da in unserem Basisquartier im berühmten Ipanema. Dabei ist sie, ganz untypisch für die brasilianische Lebensart, meist sogar pünktlich. Und wenn sie sich mal verspätet, ruft sie wenigstens an. Einmal ist ihr das bisher in besonders krassem Maß passiert. Der Verkehr war natürlich schuld. Das Chaos auf den belebten Straßen Rios kennt sie zur Genüge. Die Staus vor den Tunneln, die unter dem Corcovado herführen und die Außenbezirke mit den Stadtteilen an der Küste verbinden, der dichte Verkehr auf den Prachtstraßen in Copacabana und Ipanema, in Leblon und Barra. In ihrem VW-Voyage fühlt sich Regina auf den überfüllten Verkehrswegen wie zuhause. Sie fährt so, wie hier gefahren werden muss. So offensiv, wie die meisten Mannschaften in den WM-Arenen auftreten. Alte Weisheit aus der Formel 1: Wer bremst, hat schon verloren.

Regina bremst nur im Notfall, sie verliert selten. Sie wechselt die Spur wie alle hier. Sie schließt Lücken, wenn der Hintermann drängelt. Sie hupt, wenn einer der Rivalen sich eines Vergehens aus ihrer Sicht schuldig macht. Bisher ist alles gut gegangen. Nur einmal, als sie uns nach Maracana brachte, gab es einen kleinen Rempler von hinten. Es war eine Situation wie im echten Rennen. Alonso will überholen, doch Vettel macht dicht. Regina alias Dante gab den Vettel. Der Wagen dahinter mit einer Frau am Steuer touchierte uns. Regina ließ sich nichts anmerken, die andere Dame auch nicht. Ich blickte kurz aus dem hinteren Fenster und sah, wie die Fahrerin nur den Kopf schüttelte. Ein kleiner Unfall, doch kein Grund anzuhalten: Gas! Weiter ging es durch die Straßen Rios.

Wie Dante: Die geborene Fröhlichkeit

Am Maracana angekommen, stieg ich sofort aus und überprüfte den Schaden. Glück im Unglück für Regina Luna, unsere Königin des Mondes, wie es grob übersetzt heißt: Keine Beule, keine Delle, nur leichte Spuren auf dem Lack, die sich schon mit den Fingern und einem Taschentuch größtenteils beseitigen ließen. Mein Daumen ging nach oben. Regina strahlte.

Es ist übrigens ihr Markenzeichen, in dieser Hinsicht Dante nicht ganz unähnlich. Sie ist die geborene Fröhlichkeit, lacht und strahlt wahre Lebensfreude aus. Dabei muss sie sich arg abstrampeln. Regina ist spanischer Abstammung. Ihr Großvater kam von dorther. In Brasilien wurde sie geboren, lebte lange im lateinamerikanischen Ausland, erst in La Paz in Bolivien, dann in Chile. Nach elf Jahren kehrte sie zurück nach Rio. Von ihrem Mann lebt sie getrennt. Zwei ihrer vier Kinder sind noch bei ihr Zuhause: Die 19-jährige Camilla, die Psychologie studiert, und Juan, mit 24 Jahren der jüngste Sohn, der im Petrol-Business arbeitet. Die beiden anderen Sprösslinge sind außer Haus: Pedro (25), der bei seinem Vater lebt und in dessen Unternehmen beschäftigt, einem Labor, das Umweltanalysen erstellt. Und Juliana, mit 29 Jahren die Älteste, aber sozusagen "Dante junior", hat in New York Tanz studiert und übt nun einen Job bei der Stadtverwaltung in Rio aus.

Raus aus dem Zentrum - nach Niteroi

Regina lebt in Niteroi, etwa 40 Autominuten vom Zentrum entfernt. Eine Stadt, bekannt durch ein Museum für zeitgenössische Kunst, dessen Bau der berühmte Architekt Oscar Niemeyer entworfen hat. Hier, so steht es in jedem Reiseführer, lässt es sich gut leben. Niteroi soll die Stadt in Brasilien sein, die sich durch die beste Lebensqualität auszeichnet. Um zu ihrem Heim zu gelangen, muss Regina über eine 13 Kilometer lange Brücke fahren, die den Atlantik überquert und über die Guanahara-Bucht führt.

Kann "Dante" auch gut kochen?

Auch in ihrem Job ist Regina ein Mädchen für alles. Sie hat schon ihr Geld verdient als Dolmetscherin und als Sekretärin bei einem TV-Kanal. Vor einiger Zeit hat sie sich selbständig gemacht. Nun leitet sie einen Catering-Service. Das Geschäft müsse schon gut laufen, erzählt Regina bei einer der langen Autofahrten, damit sie finanziell klarkomme. Sie hat sich ein Haus gekauft, erst zur Hälfte abgezahlt. Die Bank will jeden Monat Geld sehen.

Die Qualität der Speisen werden wir, mein Kollege Jörg und ich, überprüfen. Regina hat uns eingeladen, zu einem Abendessen in ihrem Heim. Für Fußball interessiert sie sich, wie wir wissen. Wenn die Selecao spielt und wir sie nicht benötigen, freut sie sich. Die Spiele will sie unbedingt sehen. "Dante" passt also schon. Es stellt sich nur noch eine Frage: Kann "Dante" auch gut kochen?

Bom dia, Brasil! Die kicker-Redakteure Mounir Zitouni, Jörg Wolfrum, Hans-Günter Klemm und Oliver Bitter (v.l.)

Bom dia, Brasil! Die kicker-Redakteure Mounir Zitouni, Jörg Wolfrum, Hans-Günter Klemm und Oliver Bitter (v.l.).