Nationalelf

Spaziergang winkt - Kein Grund für Löw-Freibrief

Kommentar von kicker-Chefreporter Oliver Hartmann

Spaziergang winkt - Kein Grund für Löw-Freibrief

Akrobatisch: Joachim Löw und sein Team dürften in der WM-Qualifikation keine Probleme bekommen.

Akrobatisch: Joachim Löw und sein Team dürften in der WM-Qualifikation keine Probleme bekommen. picture alliance

Dass das bekanntermaßen kritische Publikum im Hamburger Volksparkstadion bei Länderspielen die La-Ola-Welle in Gang bringen und das "Oh wie ist das schön" anstimmt, hat Seltenheitswert. Und sagt deshalb einiges aus über den Unterhaltungswert der souveränen 3:0-Darbietung des Weltmeisters gegen sichtlich überforderte Tschechen .

Nach diesem zweiten Gruppenspiel lässt sich bereits ablesen, dass das deutsche Team ungefährdet durch diese WM-Qualifikation spazieren wird, obwohl sich nur der Gruppensieger direkt qualifiziert. Es gibt in dieser Gruppe C mit Mannschaften, die allesamt jenseits der Top-25 der Weltrangliste platziert sind, schlichtweg keinen Gegner, der der DFB-Auswahl auf Dauer die Stirn bieten könnte, wie dies bei der EM-Qualifikation mit Polen der Fall war.

WM-Qualifikation Europa - 2. Spieltag
mehr Infos
WM-Qualifikation Europa - Tabelle - Gruppe C
Pl. Verein Punkte
1
Deutschland Deutschland
6
2
Aserbaidschan Aserbaidschan
6
3
Nordirland Nordirland
4
Trainersteckbrief Löw
Löw

Löw Joachim

Hummels/Boateng bärenstark, Özil spielfreudig, Müller treffsicher

Auch deshalb hatte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, der schon oft ein feines Gespür für die aktuelle sportliche Situationen bewies, schon im Vorfeld darauf hingewiesen, dass es in diesen Qualifikations-Pflichtaufgaben nicht nur um die drei Punkte gehe, sondern darum, mit Blick auf die WM 2018 eine sportliche Dominanz aufzubauen.

Das ist dem erfreulich konsequent auftretenden Weltmeister wie schon vor einem Monat beim 3:0 in Norwegen eindrucksvoll gelungen. Die deutsche Elf um die bärenstarken Innenverteidiger Mats Hummels und Jerome Boateng, den spielfreudigen Mesut Özil, den wie schon in Oslo treffsicheren Thomas Müller und den im Aufwind befindlichen Mario Götze hatten Spiel und Gegner jederzeit im Griff. Die im Umbruch befindliche tschechische Mannschaft, von Joachim Löw zum vermeintlich stärksten Kontrahenten ernannt, kam indes über die Rolle des Sparringspartners nicht hinaus.

Löws Experiment geht auf - Verjüngung wird kommen

Mit seinem Entschluss, die Spieler erst am Mittwoch nach Hamburg anreisen zu lassen und so eine Trainingseinheit gegen einen weiteren Regenerationstag einzutauschen, war Löw ja ein vielbeachtetes Experiment eingegangen. Die Partie im Volksparkstadion bestätigte den Bundestrainer indes in seiner Einschätzung, dass sein Personal den unverhofften Urlaubstag mit einem frischen Auftritt danken würde. In der mit neun Weltmeistern und elf EM-Teilnehmern ausgestatteten Startformation haben sich über die Jahre hinweg die Automatismen so verfestigt, dass sie quasi ad hoc wieder abgerufen werden können.

DFB-Team feiert gegen Tschechien

Die Automatismen sitzen: Das DFB-Team hatte gegen Tschechien nach einem dominanten Auftritt allen Grund zum Jubeln. Getty Images

Dass die von Löw nach der EM angekündigte Verjüngung der Mannschaft am Samstag nicht in die Tat umgesetzt wurde, ist allzu verständlich. Diese wegweisende Partie war noch nicht dazu angetan, sportliche und personelle Experimente einzugehen. Die Nichtnominierung von Leroy Sané, Niklas Süle und Jonathan Tah sowie die Tatsache, dass Reservist Julian Brandt erst spät und Max Meyer gar nicht mitspielen durften, ist deshalb auch kein Beleg, dass es dem Bundestrainer, wie es ihm medial unter der Woche unterstellt wurde, an innovativer Kraft mangele.

Löw wird in den kommenden Monaten, beispielsweise im November gegen San Marino und Italien, bessere Gelegenheiten haben, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Und er wird sich bei der WM 2018 in Russland daran messen lassen müssen, wie ihm dieser Umbruch gelingt.

Plötzliche Gesprächsbereitschaft wirkt befremdend

Insofern wirkte es doch befremdend, dass der Bundestrainer am Freitag plötzlich seine Bereitschaft signalisierte, mit DFB-Präsident Reinhard Grindel über eine Vertragsverlängerung sprechen zu wollen . Bislang hatte er diesbezüglich den Ball, dem ihm der Verbandschef mehrfach zugespielt hatte, unbeachtet ins Seitenaus rollen lassen. Grindel hat den jetzt erfolgten Rückpass umgehend aufgenommen und am Samstag Gespräche angekündigt .

Dabei sollte er vielmehr hinterfragen, ob eine Vertragsverlängerung über 2018 hinaus tatsächlich zum jetzigen Zeitpunkt notwendig und das richtige Zeichen ist. Löws Bilanz in den gut zwölf Jahren ist nicht nur wegen des WM-Titels überragend, fünf Halbfinal-Teilnahmen in Folge bei Welt- und Europameisterschaften kann kein anderer Nationaltrainer aufweisen. Und nicht umsonst loben Leistungsträger wie Sami Khedira, dass der Bundestrainer in all den Jahren mit der Zeit gegangen sei .

Für einen Freibrief gibt es keinen Grund

Doch gerade nach den vergangenen beiden Jahren, als Löw zu lange an alten Weggefährten wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger festhielt und auch deshalb zur Stagnation der Nationalmannschaft beitrug, besteht kein Grund, ihm schon jetzt einen Freibrief über 2018 hinaus auszustellen.

Oliver Hartmann

kicker-Chefreporter Oliver Hartmann