2. Bundesliga

Langsam groß: Holstein Kiels Weg in die Bundesliga

Am Anfang stand ein Abstieg

Langsam groß: Holstein Kiels Weg in die Bundesliga

Der 4:0-Sieg in Nürnberg war ein wichtiger Schritt und wurde entsprechend zelebriert.

Der 4:0-Sieg in Nürnberg war ein wichtiger Schritt und wurde entsprechend zelebriert. IMAGO/Lobeca

Am Anfang stand ein Abstieg. Das Fundament des Trainingszentrums im Kieler Stadtteil Projensdorf war in der Saison 2009/10 längst errichtet, die wegweisende strukturelle Entscheidung, mit Wolfgang Schwenke einen Kaufmännischen und mit Andreas Bornemann einen Sportlichen Geschäftsführer zu installieren, ebenso getroffen. Diese für das stetige Wachstum Holsteins bedeutsame Spielzeit endete dennoch mit dem Sturz aus der 3. Liga zurück in die Regionalliga Nord. Und obwohl der Aufenthalt in der Viertklassigkeit drei Jahre andauerte, war etwas entstanden, das langsam groß werden konnte.

Holstein sucht seinen Platz neben dem THW

33. Spieltag

Bornemann, heute Sportchef beim Konkurrenten FC St. Pauli, erinnert sich noch an blaue T-Shirts, die als Teil einer Marketingkampagne in Kiel verteilt wurden. "Im Puls der Stadt" stand darauf. Holstein rang um Relevanz. "Handball und der THW", sagt der 52-Jährige, "waren ganz klar dominant in Kiel." Fin Bartels, der als gebürtiger Kieler seine Profikarriere bei den Störchen begonnen und im vergangenen Sommer auch beendete, blickt noch weiter zurück. "Um Bundesliga-Fußball zu sehen, bin ich früher nach Hamburg in den Volkspark gefahren. Das war als Kind in Kiel halt so. Hier gab es den THW."

Bartels hatte seine Heimatstadt 2007 verlassen, kehrte 2020 nach den Stationen Rostock, St. Pauli und Bremen zurück und konstatiert: "Als ich weggegangen bin, standen die Grundmauern in Projensdorf schon, und es gab auch schon einen Trainingsplatz, aber wir haben uns noch im Stadion umgezogen und sind die paar Kilometer mit Kleinbussen zum Training gefahren. Eigentlich ist Holstein jetzt fast ein anderer Verein." Und inzwischen reif für die Bundesliga.

2012/13

Der erste Schritt 2012/13: Für den Aufstieg in die 3. Liga gibt es von den Fans für Trainer Thorsten Gutzeit eine Sektdusche. imago sportfotodienst

Der letzte Schritt ist geschafft. Unzählige, auch mühsame, sind vorausgegangen. Mit Schwenke ist ein Mann der Geburtsstunde des "neuen Holsteins" immer noch im Amt. Pikanterweise ist er ein Kind des THW, war dort ein Handball- Star, machte seine ersten Schritte als Geschäftsführer. Der 56-Jährige sagt: "Wir sind über die Jahre stetig in allen Bereichen gewachsen, haben viele Themen professionalisiert und weiterentwickelt." Die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür haben die Kieler Einzelhandelsriesen Gerd Lütje und Dr. Hermann Langness als Doppelspitze im Aufsichtsrat geschaffen. "Ohne sie", weiß Schwenke, "wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen."

Viele gute Entscheidungen

Lütje und Langness waren neben Schwenke und Präsident Steffen Schneekloth die Konstanten in einem Verein, der sich eigentlich permanent im Umbruch befand und nicht selten mit Personalwechseln den nächsten Schritt einleitete. Bornemann war als Boss im Sport der Impulsgeber, den großen Wurf in der Handball-Hochburg nicht mit namhaften und bestens dotierten Ex-Profis zu vollziehen, sondern entwicklungsfähige Spieler auszuwählen, die auch Transferwerte schufen. Der 2016 verpflichtete Ralf Becker hatte den Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, führte die KSV nicht nur im ersten Jahr zum Zweitliga-Aufstieg und im zweiten in die Relegation zur Bundesliga, er schob auch Entwicklungen an, auf die vor allem der im Sommer scheidende Uwe Stöver aufbaute. "In den vergangenen Jahren", sagt dieser, "wurden hier in den verschiedenen Gremien viele gute Entscheidungen getroffen."

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Was banal klingt, führt Stöver aus. "Es gab vor und während meiner Zeit bei den handelnden Personen immer den Abwägungsprozess zwischen sportlichen und infrastrukturellen Entscheidungen." Das bedeutete 2018 noch, dass Boss Becker und Erfolgstrainer Markus Anfang ebenso gegen entsprechende Ablösezahlungen ziehen gelassen wurden wie 2019 unter anderem Kapitän David Kinsombi.

Auch durch Transfererlöse ist Holstein gewachsen. Und zumindest so groß geworden, dass im Sommer 2020 nicht mehr wirtschaftliche Überlegungen dominierten, als Top-Star Jae-Sung Lee und Torjäger Janni Serra ins letzte Vertragsjahr gingen, obwohl für beide Angebote vorlagen, die Millioneneinnahmen beschert hätten. "Bei diesen beiden Entscheidungen", erinnert sich Stöver, "ging es ganz klar um unsere eigenen sportlichen Ambitionen."

Der dritte Anlauf

Der Ertrag: Holstein stürmte im DFB-Pokal bis ins Halbfinale, warf auf dem Weg dorthin selbst den FC Bayern raus und scheiterte erst in der Relegation gegen Köln (1:0, 1:5) dramatisch am Bundesliga-Aufstieg. Der wäre auch über den direkten Weg möglich gewesen, zwei Spiele vor Saisonende lag Kiel vier Punkte vor Verfolger Fürth, brauchte nur noch einen Sieg, musste letztlich aber auch dem Kräfteverschleiß durch zwei Corona-Quarantänen Tribut zollen.

In diesem Frühjahr nahm Holstein den dritten Anlauf Richtung Bundesliga. Angesichts des Kaderumbruchs im vergangenen Sommer und der Konkurrenz mit Hochkarätern wie dem Hamburger SV, Schalke 04, Hertha BSC, Hannover 96 oder Fortuna Düsseldorf mutete das überraschend an. Der Klub indes scheint bereit. Und ist viel weiter, als er es bei einem Durchmarsch 2018 oder einem Aufstieg 2021 gewesen wäre.

Kiels Trainingsgelände in Projensdorf.

Holstein Kiels Standort in Projensdorf. imago images/Holsteinoffice

Das Trainingsgelände gilt als Symbol für das Wachstum von Holstein

Auf der Kommandobrücke steht seit einigen Wochen Carsten Wehlmann. Der Nachfolger von Stöver ist vorzeitig als Geschäftsführer Sport eingestiegen und nicht nur der neue Verantwortliche, sondern auch ein alter Zeitzeuge. In der Saison 2009/10, als der langsame Aufstieg mit einem Abstieg begann, war der heute 51-Jährige der erste fest angestellte Chefscout der Vereinsgeschichte, ehe er 2018 als Sportlicher Leiter nach Darmstadt wechselte. Er findet: "Das Trainingsgelände in Projensdorf ist ein Symbol für das Wachstum von Holstein. Es ist Stück für Stück größer geworden, parallel zum sportlichen Aufstieg haben die Verantwortlichen immer sehr genau darauf geachtet, dass der Verein auch infrastrukturell mitwächst." Das Ergebnis: Kiel ist langsam groß. Nun auch im Fußball.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Montagsausgabe des kicker am 8. April.

Sebastian Wolff