Champions League

Benfica: Goncalo Ramos ist "Zauberer" oder "Revolverheld"

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Gegen sein Naturell: Wie Goncalo Ramos aus sämtlichen Schatten tritt

Bei Benfica längst angekommen: Goncalo Ramos.

Bei Benfica längst angekommen: Goncalo Ramos. imago images (3)

Es war ein Fest, zumindest für Benfica und seine Fans, die natürlich auch Fans von Goncalo Ramos sind. Mittlerweile. Denn das war nicht immer so. Also: Beim 5:1 im Achtelfinal-Rückspiel gegen Club Brügge bereitete der 21-Jährige das 1:0 von Rafa vor, die beiden folgenden Treffer erzielte er dann selbst, erst mit rechts, dann mit links.

Die Mannschaft von Trainer Roger Schmidt flog im Frühjahr geradezu ins Viertelfinale, in dem es an diesem Dienstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) gegen Inter Mailand geht. Chancen 50:50, Benfica winkt der erste Halbfinaleinzug in der Champions League überhaupt. In den Zeiten des Landesmeistercups hatte man es zuletzt 1990 ins Finale geschafft, damals gegen die AC Mailand verloren.

Zurück in die Gegenwart: Dreimal hat Goncalo Matias Ramos, so sein vollständiger Name, in dieser Saison in der Königsklasse bislang getroffen, in der vergangenen Spielzeit hatte der Angreifer sein Premierentor erzielt und sich beim 3:3-Viertelfinal-Aus beim FC Liverpool mit Anfield dafür eine magische Adresse ausgesucht.

Er muss an sich arbeiten, als gäbe es kein Morgen.

Nelson Verissimo

Kurz zuvor hatte der damalige Trainer Nelson Verissimo erklärt: "Er muss an sich arbeiten, als gäbe es kein Morgen. Goncalo macht seinen Job gut." Aber, so der Coach, es gebe auch die anderen im Kader, Ramos müsse sich eben durchsetzen. Etwa gegen den Uruguayer Darwin, der in Anfield zum Endstand traf - und im Sommer 2022 für rund 80 Millionen Euro zu den Reds wechselte.

Dennoch war damals nicht klar, ob Ramos bleibt. Spekulationen um einen Wechsel - ebenfalls nach England - gab es, etwa zu Aufsteiger Nottingham Forest. Und auch die Benfica-Fans hatten lange Zweifel. Nicht wenigen galt Ramos als körperlich nicht stark genug für das Sturmzentrum der Adler. Zumal er ja, wenn Darwin spielte, eher als hängende Spitze agiert hatte.

Ramos blieb dann. Und ist längst Stammspieler, der aus Darwins Schatten herausgetreten ist. Die Basis seines persönlichen Erfolgs? Der Coach. Nicht nur, aber auch. Schmidt sei "einer der besten Trainer, mit denen ich je gearbeitet habe. Ich bin unter ihm gewachsen, als Spieler und als Mensch", sagt der Offensivspieler.

Ramos über Schmidt: "Der Versuch, ein freundschaftliches Verhältnis zu allen Spielern zu haben"

Und zum Erfolg der Mannschaft, die die Königsklassen-Gruppe H mit vier Siegen und zwei Remis punktgleich vor Paris Saint-Germain gewonnen hatte (Juventus Turin und Maccabi Haifa waren mit drei Punkten chancenlos gewesen), hatte Ramos schon in den WM-Tagen von Katar gesagt: "Es ist die Art, wie Schmidt mit uns umgeht, wie er neben der Beziehung als Trainer versucht, ein freundschaftliches Verhältnis zu allen Spielern zu haben." Niemand müsse sich "verantwortlich" fühlen, Spiele zu entscheiden. Es sei Schmidt von Anfang an um die Mannschaft gegangen.

Und es ging auf. Für das Team und auch für den "Pistoleiro", den Revolverhelden genannten Jungstar. Scharfschütze deshalb, weil er nach Treffern mit den Händen Revolver simuliert. Muss man nicht gut finden, Ramos tut es aber - weil ihm, so hat er mal gesagt, Western-Filme so gefallen.

Mit 17 Treffern und sechs Assists in 23 Ligaspielen führt er aktuell die Torschützenliste in Portugal an, gleichauf mit seinem Teamkollegen Joao Mario, der dafür jedoch 26 Einsätze und auch sieben Elfmeter benötigte - immerhin aber in der Champions League im Achtelfinal-Rückspiel gegen Brügge im fünften Spiel in Folge für die Rot-Weißen traf, was seit Klublegende Eusebio in den 60er Jahren keinem mehr in Europa gelungen war.

Zurück zu Ramos: Sein 18. Ligator verpasste er am vergangenen Freitag bei der 1:2-Heimniederlage gegen Verfolger Porto nur knapp: Sein Kopfball prallte von der Unterkannte der Latte an den Rücken von Gäste-Keeper Diogo Costa und von dort in den Kasten. Eigentor Porto, das am Ende doch noch gewann und bei nun sieben Punkten Rückstand und noch sieben ausstehenden Spielen seine Titelchance wahrte.

Ein "ruhiger und ziemlich verschlossener Junge", sagt der Vater

Geboren in Olhao an der Algarve, war der Angreifer bereits mit zehn Jahren in das Benfica-Nachwuchszentrum der Ferienregion eingeladen worden, Präsenz in Lissabon in der berühmten Jugendakademie Seixal inklusive. Ein paar Jahre später erfolgte dann der endgültige Umzug in die Hauptstadt. Es sei schwierig gewesen, so Vater Ramos. Sein Sohn sei "immer ein ruhiger und ziemlich verschlossener Junge" gewesen. Er zeige "nie, wenn er traurig ist, und er wird auch nicht euphorisch, wenn er glücklich ist", erzählte er der Wochenzeitung "Sabado" und dem Online-Magazin MAGG. Vermutlich sind diese Eigenschaften auch der Grund, weshalb der Angreifer trotz allem immer noch irgendwie unter dem Radar fliegt, selbst dem vieler in Portugal.

Vater Manuel Ramos war Profi beim Kleinklub Farense gewesen, der heutige Nationalspieler Goncalo wurde einst vom Großvater umsorgt, zur Schule und zum Training gebracht, so Papa Ramos. Und Goncalo habe oft im Garten der Großeltern gespielt, der Ball sei dann immer zu den Nachbarn geflogen. Solche Sachen halt. Und Urlaub auf einer Ferieninsel, wo der Filius bis Sonnenuntergang gespielt habe und wohl noch länger.

"Zauberer" nannten und nennen sie ihn ob seiner technischen Fertigkeiten, einst soll er Sporting-Fan gewesen sein. Aber in dieser Saison scheint er Benfica zur Meisterschaft zu schießen.

Und im nationalen Auftrag war er ja auch schon unterwegs. 2018 hatte er, ein Teenager, die WM noch im Kreise der Familie verfolgt, zuletzt in Katar war er mittendrin gewesen. Und wie. Im ersten Spiel, beim 3:2 gegen Ghana, war er kurz vor Schluss für Kapitän Cristiano Ronaldo eingewechselt worden. Der hatte einen geschenkten Elfmeter zu seinem Rekordtor (erster Spieler, der damit bei fünf WM-Endrunden traf) verwandelt, ansonsten aber schwach gespielt. Der Wechsel Altstar gegen Talent in der Schlussphase war daher nicht ungewöhnlich, genauso war es beim folgenden 2:0 über Uruguay, schon da aber war der Eingewechselte bei der Entstehung des Endstandes beteiligt.

Im Achtelfinale gegen die Schweiz dann der Paukenschlag, der damalige Nationaltrainer Fernando Santos ließ Superstar Ronaldo auf der Bank, erstmals überhaupt bei einer WM. Es war daher ein historischer Abend für den Weltfußball.

Ramos schreibt Geschichte - und übertrumpft sogar CR7

Ramos durfte ran und wusste beim 6:1, wie man Geschichte schreibt: per Dreierpack und einem Assist. Schon bei seinem Länderspieldebüt unmittelbar vor der WM hatte er im Test gegen Nigeria getroffen. Und: Ramos ist seit Katar mit 21 Jahren und 169 Tagen Portugals zweitjüngster WM-Torschütze aller Zeiten, just nach Ronaldo, der bei der Endrunde 2006 in Deutschland 21 Jahre und 132 Tage alt gewesen war, als er beim 2:0 gegen den Iran getroffen hatte. Als jüngster Dreifachtorschütze Portugals bei einer WM löste er indes keinen Geringeren als Legende Eusebio ab, der 1966 24 Jahre alt gewesen war.

Cristiano Ronaldo, Goncalo Ramos

Große Fußstapfen: Goncalo Ramos löst Ikone Cristiano Ronaldo allmählich in der portugiesischen Nationalmannschaft ab. IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Von daher überraschte es an der Algarve durchaus, dass Santos-Nachfolger Roberto Martinez, der neue Nationaltrainer, in den ersten Länderspielen nach der WM-Endrunde bei den Siegen gegen Liechtenstein und Luxemburg wieder CR7 in die Anfangself stellte. Ramos? War nur Einwechselspieler. Wieder mal. Mit "Respekt" vor dem Allzeittorjäger begründete der neue Coach die Aufstellung.

Mit der U-19-Nationalmannschaft war der Immer-noch-irgendwie-Newcomer Ramos bereits 2019 Vize-Europameister gewesen und mit vier Toren auch Torschützenkönig des Turniers geworden, 2021 dann U-21-Vize-Europameister, damals im Finale Deutschland unterlegen.

Apropos Deutschland: Der Spielstil von Bayern Münchens Thomas Müller hat es ihm angetan, das hat der Portugiese selbst betont. Wie den Weltmeister von 2014 zeichnen Ramos ein Instinkt für Abpraller und mitunter unorthodoxe, mindestens unvorhersehbare Läufe und Aktionen aus.

Gegen Inter kann er dies an diesem Dienstag im Estadio da Luz zeigen. "Zauberer" oder "Revolverheld": Trainer Schmidt hätte sicher weder gegen das eine noch das andere etwas einzuwenden.

Jörg Wolfrum

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