Formel 1

Wer braucht Vettel? Was braucht Vettel?

Die Konsequenzen aus der Trennung von Ferrari

Wer braucht Vettel? Was braucht Vettel?

Wechselt Sebastian Vettel zu einem anderen Formel-1-Team? Oder denkt er gar über sein Karriereende nach?

Wechselt Sebastian Vettel zu einem anderen Formel-1-Team? Oder denkt er gar über sein Karriereende nach? imago images

Da Verpflichtungen und Entpflichtungen bei Ferrari stets Auswirkungen auf die gesamte Formel 1 zur Folge haben, fielen Entscheidungen bei den anderen Teams in den letzten Jahrzehnten zumeist erst nach denen der Scuderia. Spannend verspricht nun zu werden, wer die Nachfolge Vettels bei Ferrari antreten wird. Mindestens ebenso spannend aber wird das Finden der Antwort auf die Fragen, wer jetzt einen Fahrer wie Vettel braucht und - mehr noch möglicherweise - was Vettel selbst braucht, um morgens in den Spiegel blicken zu können. An diesem Punkt allerspätestens geht es um Aspekte, die weit über finanzielle Details möglicher Vertragsangebote hinausgehen.

Kein Geheimnis ist es, dass es über den Winter mehrfach Kontakte zwischen Fiat-Chrysler-Chef John Elkann und Lewis Hamilton gab. Selbst wenn dies nur die Absicht hatte, seitens Ferrari den Konkurrenten Mercedes nervös zu machen und seitens Hamilton wiederum Mercedes zu schnellerem Handeln zu veranlassen, hat sich mit Vettels Abschied von Ferrari die Lage nun vollkommen geändert. Aus Hamiltons Sicht könnte es verführerisch sein, den Traum eines jeden Formel-1-Fahrers, wenigstens einmal im Leben für Ferrari gefahren zu sein, Wahrheit werden zu lassen. Erst recht unter den Vorzeichen, dass Mercedes sein Engagement in der Formel 1 zurückfahren oder gar beenden könnte. Die Chance, dass es dazu kommt, bleibt dennoch eher gering.

Vettel zu Mercedes, das könnte zur Option werden, wenn 1.) Mercedes klar bekennt, in der Formel 1 bleiben zu wollen, und 2.) Hamilton tatsächlich das silberne Cockpit verlässt. Eine Kombination allerdings aus Hamilton und Vettel wäre für den Deutschen noch kapriziöser als jene mit Leclerc, die er gerade hinter sich gelassen hat. Die mathematische Gleichung "Mercedes = Wolff = Hamilton" wäre nahezu nicht widerlegbar, zu sehr ist das Team seit 2013 schon auf den sechsmaligen Champion fokussiert.

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Trotzdem gibt es prominente Stimmen, die Vettels Wechsel zu Mercedes begrüßen würden oder wenigstens nicht von vorneherein ausschließen. Nicht einmal Teamchef Toto Wolff will "diese Entwicklung außer Acht lassen", wie er sagte. Der ehemalige Mercedes-Sportchef und Wolff-Vorgänger Norbert Haug merkte bei Sky an: "Ein Top-Team muss sich mit Vettel beschäftigen." Für den einstigen Formel-1-Fahrer und gelegentlichen kicker-Kolumnisten Marc Surer wäre Vettel "für Mercedes ein Glücksgriff. Einen viermaligen deutschen Weltmeister, der verfügbar ist, in ihr Auto zu setzen, das ist toll".

Für den früheren Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone, mit Vettel weit enger verbunden als mit jedem anderen aktuellen Fahrer, scheiden sowohl Mercedes als auch eine Rückkehr zu Red Bull aus. Der 89-Jährige rät ihm stattdessen, sich für einen Rennstall aus der zweiten Reihe zu entscheiden: "Ich würde zu einem Team gehen, das im Moment nicht zu den Super-Top-Teams gehört", sagte er bei Bild live, "er wäre eine große Bereicherung für ein Team, das jüngst seine Ziele verpasst hat, mehr als für Mercedes."

Infrage kämen für diese Lösung allenfalls Renault und McLaren. Während es von den deutlich ihren hohen Ambitionen hinterherhinkenden Franzosen heißt, sie hätten Vettel bereits ein Angebot unterbreitet, geht der einstmalige Top-Rennstall McLaren das Thema mit einem Fuß auf der Bremse an. Zwar kennen sich Vettel und der dort seit einem Jahr als Chef tätige Deutsche Andreas Seidl aus gemeinsamen Zeiten beim Formel-1-Projekt von BMW, einen Kommentar zu einer möglichen Verpflichtung Vettels wollte jedoch niemand abgeben.

Pikant am Thema McLaren wäre zudem, dass es der dort im Moment unter Vertrag stehende Carlos Sainz ist, dem aktuell die größten Chancen auf das freigewordene Ferrari-Cockpit eingeräumt werden. Er wäre die ideale Nummer-2-Besetzung hinter dem bis 2024 verpflichteten Leclerc - für jene Rolle also, in die Vettel aufgrund seiner Resultate im Laufe der Saison 2019 mehr und mehr hineingezwungen wurde und die ihn bei der Trennung von Ferrari mit Sicherheit beeinflusst hat. Allerdings verbliebe bei McLaren dann mit Lando Norris ein gerade mal 20-Jähriger als Teamkollege, ein Mann, dem ähnliches Talent wie Leclerc bescheinigt wird...

Kein deutscher Fahrer mehr in der Formel 1?

Da sich beim Abwägen der Vettelschen Pro- und Contra-Optionen ein Übergewicht für die Contra-Argumente zu ergeben scheint, muss tatsächlich das Karriereende nach 14 Jahren ernsthaft ins Auge gefasst werden. So sehen es auch die beiden ehemaligen Formel-1-Fahrer und jetzigen RTL-Fachkommentatoren Christian Danner und Timo Glock. Danner ist überzeugt, dass sich Vettel "sicherlich überlegt hat, ob es vielleicht nicht gescheiter ist, das Rennfahren sein zu lassen". Aus Sicht von Timo Glock ist "die Option mit Sicherheit in seinem Kopf, er wird darüber nachdenken".

Dass auch Vettel selbst diesen Gedanken in sich trägt, darf in sein Statement zum Scheitern der Ferrari-Verhandlungen fraglos hineininterpretiert werden. Im Lichte der Diskussionen während der vergangenen 24 Stunden wirken Vettels Worte extrem gut abgewägt und klug gewählt: "Was in den letzten Monaten geschehen ist, hat viele von uns dazu veranlasst, darüber nachzudenken, was unsere wirklichen Prioritäten im Leben sind", sagt er mit Blick auf Corona und die Auswirkungen der Pandemie über die Formel 1 hinaus. Deshalb müsse man "seine Vorstellungskraft nutzen und einen neuen Ansatz für eine Situation wählen, die sich verändert hat. Ich selbst werde mir die Zeit nehmen, die ich brauche, um darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist, wenn es um meine Zukunft geht".

In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass es in der Saison 2021 erstmals seit dann 40 Jahren keinen deutschen Formel-1-Fahrer mehr geben könnte.

Stefan Bomhard