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Sangju Sangmu: Die kuriose Geschichte des südkoreanischen Klubs

Die außergewöhnliche Geschichte von Sangju Sangmu

Warum ein südkoreanischer Erstligist nur auf Leihspieler setzt - und nun zwangsabsteigt

Die Szene ging um die Welt: Nicht nur Min-Woo Kim, Leihspieler für Sanju Sangmu, salutiert während der südkoreanischen Nationalhymne vor dem WM-Spiel gegen Mexiko 2018. Bei seiner Auswechslung in der 85. Minute wiederholt er die Geste.

Die Szene ging um die Welt: Nicht nur Min-Woo Kim, Leihspieler für Sanju Sangmu, salutiert während der südkoreanischen Nationalhymne vor dem WM-Spiel gegen Mexiko 2018. Bei seiner Auswechslung in der 85. Minute wiederholt er die Geste. Getty Images

Lieber Tod als Niederlage! Wer Sangju Sangmu nicht kennt, mag eingeschüchtert sein ob des martialischen Schlachtrufs. Es sind nicht viele Fans, die ihren Verein durch Südkorea begleiten. Aber sie hinterlassen Eindruck. 1000 bis 6000 Zuschauer kamen in normalen Zeiten zu den Heimspielen des Vereins, der überhaupt nicht normal ist.

Die Profis von Sangju Sangmu erscheinen jeden Tag um 6.50 Uhr zum Morgenappell, um die National- und die Teamhymne zu schmettern. Eine unaufgeräumte Wohnung? Ständig am Smartphone daddeln? Ist hier nicht drin. Schließlich befindet sich das Land offiziell noch immer im Krieg mit Nordkorea. Sangmu ist der Verein des südkoreanischen Militärs.

Sein Kader besteht zu einhundert Prozent aus Leihspielern. Zwischen 300 und 400 Euro Gehalt verdienen Profis, die normalerweise Abertausende oder Millionen gewöhnt sind, während ihrer Zeit bei Sangmu. 20 Monate lang, dann sind sie wieder weg. Bedeutet auch: Nichts ist so beständig wie der Wandel im Kader von Trainer Tae-Wan Kim. Etwas langfristig aufzubauen grenzt an die Unmöglichkeit.

Zweite Liga statt Champions League

In Sangju jammert man nicht. Die gerade zu Ende gegangene Saison schloss der Militärklub, bei dem Übungen an der Waffe aber nur sehr selten auf dem Programm stehen, auf dem vierten Platz ab - das beste Ergebnis der Vereinsgeschichte. Normalerweise dürfte man nun Champions League spielen.

Stattdessen steigt man in die zweite Liga ab. Und wusste es schon vor der Saison.

Sangju

Sangju: eine 100.000-Einwohnerstadt im Zentrum des Landes. imago images

Anfang Februar verkündete das Militär nämlich, die Zelte in Sangju abzubrechen. Nach zehn Jahren dort müsse und wolle man an einen anderen Ort weiterziehen. Die Reaktion des koreanischen Verbandes ließ so wenig Raum für Zweifel wie für Mitleid: Wer umzieht, muss absteigen. So steht es in den Regeln.

"Nun hätte man erwarten können, dass sich die Spieler hängen lassen", sagt Dong-Chan Jhoo dem kicker. Der Reporter der "Korea Times" verfolgt den Klub seit langem. "Das Gegenteil passierte: Sie gaben 120 Prozent auf dem Platz und spielten sich damit in die Herzen vieler Fans."

"Am Anfang sind sie oft etwas arrogant"

Die Eingewöhnungszeit in Sangju darf nicht lange dauern. "Wenn Spieler zu uns kommen, sind sie am Anfang oft etwas arrogant, grüßen kaum, sind von vielem hier genervt und laufen auf dem Platz auch weniger", berichtete Manager Ji-Woong Kang vor einem Jahr der "NZZ": "Aber es dauert nur ein paar Monate, dann sind sie wie ausgewechselt und echte Vorbilder."

Dieses Jahr klappte das offenbar famos: 13 neue Spieler kamen im Mai dazu, andere gingen, mitten in der Saison. Für andere Profivereine wohl undenkbar. An den Resultaten war das nicht zu spüren.

Kang sucht für Sangmu den Spielermarkt ständig nach Optionen ab, scannt Bewerbungen aus der ganzen Welt. Wer muss seinen Wehrdienst noch absolvieren? Wer ist sportlich gut genug?

Einer, dem nachgesagt wurde, er wäre gern zu Sangju gewechselt, ist Dongsu Kim. Der 25-Jährige verteidigte bis zum Sommer dieses Jahres für den VfB Lübeck, stieg mit ihm in die 3. Liga auf, hoffte aber vergeblich auf einen neuen Vertrag. Nun hat er beim FC Anyang in der K League 2 eine alte, neue Heimat gefunden. In Kims Plänen spielte Sangju aber trotz anderslautender Medienberichte noch keine Rolle. Der 25-Jährige respektiert die Konkurrenz und Qualität beim Militärklub. Längst nicht jeder bekommt dort einen Platz im Kader, in dem auch Nationalspieler zu finden sind.

"Manch ein Steuerzahler würde sich wohl die Augen reiben"

Zudem müssen Kandidaten zunächst mindestens sechs Monate in einer der beiden höchsten südkoreanischen Ligen gespielt haben. Wohl aus diesem Grund wechselte Young-Jae Seo, in den Vorsaisons für den MSV Duisburg und Holstein Kiel aktiv, im Sommer in die zweite koreanische Liga. Nach kicker-Informationen strebt er eine Leihe zu Sangmu an, sobald er die Bedingungen erfüllt und alle Hürden ausgeräumt sind.

Bis Ende 2019 gab es noch einen weiteren Militärverein: Asan Mugunghwa. Mit ihm lieferte sich Sangmu packende Armee-Derbys. Doch der Rivale verschwand, auch aus finanziellen Gründen.

"Manch ein Steuerzahler würde sich wohl die Augen reiben, wenn das Militär aufdecken würde, wie viel Geld es in Sangmu steckt", sagt "Korea Times"-Reporter Jhoo. Daraus macht die Politik wohlwissend ein gut gehütetes Geheimnis. "Wenn aber ein neuer Bürgermeister gewählt wird, der nichts für Fußball übrig hat, dreht er den Geldhahn für den ansässigen Klub einfach zu", meint Jhoo: "Und einen Profiklub ohne großen Sponsor zu betreiben, ist in Südkorea ganz schön schwierig."

Ausnahmen für die Stars gibt es viele

Der Konkurrenzkampf unter den Wehrdienstleistenden hat sich jedenfalls verschärft. Sangmu, selbst erst 2011 gegründet, bietet nunmehr die einzige Chance, die Wehrpflicht zu erfüllen und gleichzeitig auf hohem Niveau Fußball zu spielen. Der andere Ausweg verläuft nicht gerade auf Rosenblättern: die Profikarriere um mehr als eineinhalb Jahre zu unterbrechen.

Dass Asan Mugunghwa, dessen Vorgängerverein auch "Police FC" hieß, passé ist, wird nicht überall in Südkorea betrauert. Die Sonderbehandlung von Profifußballern stößt manchem sauer auf. "Die Nicht-Fußballer müssen ja auch zum Militär", heißt es etwa, "ohne Wenn und Aber".

Heung-Min Son

Bei seiner kurzen militärischen Grundausbildung im Frühjahr erntete Tottenhams Heung-Min Son für seine Fertigkeiten viel Lob vom Verteidigungsministerium. Getty Images

Ausnahmen für die Stars gibt es nämlich viele - auch abseits von Sangmu. Mindestens Bronze bei Olympia, Gold bei den Asian Games (wie Tottenhams Heung-Min Son und Leipzigs Hee-Chan Hwang) oder schwere Verletzungen wie Kreuzbandrisse befreien vom langen Dienst. Stattdessen wird nur ein Kurzaufenthalt von wenigen Wochen fällig.

Und dann war da noch der frühere Bochumer Chung-Yong Lee, der mit 14 Jahren seine Schullaufbahn abbrach, um ein Schlupfloch im Gesetz zu nutzen und dem Militärdienst zu entgehen. Ihm hatten seine Jugendtrainer so viel Talent bescheinigt, dass er das Risiko einging und ganz auf die Karte Fußball setzte. Später änderte das Parlament das Gesetz.

Hat der Verband ein Eigentor geschossen?

Aktuell platzt Sangmus Kader trotz des Abstiegs mit 35 Profis aus allen Nähten. Dem Vernehmen nach hat der Klub daher aktuell gar keine Kapazitäten für Neuzugänge. In der 2. Liga wird es für Sangmu und seine Klientel sportlich schwierig, sich auf gewohnt hohem Niveau zu messen. Gerade mit Blick auf die eigene Nationalmannschaft drängt sich der Eindruck auf, dass sich der südkoreanische Verband mit seiner Regel ein Eigentor geschossen hat: Umzug bedeutet Zwangsabstieg.

Carlos Tevez

Da blickte ein Teil der Fußballwelt mal auf Sangju Sangmu: Superstar Carlos Tevez (li.) debütierte im Januar 2017 für Shanghai Shenhua - in einem Freundschaftsspiel gegen die Südkoreaner. imago images

2012 kam es zum Eklat, als der Asiatische Fußballverband darauf drängte, dass alle im Verband organisierten Erstligisten Profiverträge mit ihren Spielern abschließen müssten. Sangju Sangmu fühlte sich in seinem Sonderstatus nicht ernstgenommen, boykottierte kurzerhand die restliche Saison und stieg ab. Nun führen sie Profiverträge, nur auf dem Papier allerdings. Was man nicht alles tut, um bei den anderen mitspielen zu dürfen.

Für die Champions League allerdings wäre Sangju, das hatten die Verbände im Laufe der Saison klargestellt, als Militärteam unabhängig vom Zwangsabstieg nicht startberechtigt gewesen. Das hätte der Geschichte ja nur noch die Krone aufgesetzt: ein Klub nur aus Leihspielern, der in eine andere Stadt wandert und zum Abstieg gezwungen wird, taucht als Zweitligist in der Champions League auf.

Vielleicht bleiben ja sogar die Fans dieselben

Nun also zieht Sangju Sangmu nach Gimcheon um, der einzigen Bewerberstadt um den Nachfolgeplatz, wie man aus dem koreanischen Verband vernimmt. Es besteht Hoffnung, dass diese besondere Geschichte dort ihre Fortsetzung findet. Dafür muss Gimcheon Sangmu, oder wie man sich nennen wird, allerdings so schnell es geht aufsteigen.

Die sonstigen Herausforderungen werden die gleichen bleiben. Leistungsträger werden mitten in der Saison gehen, Neue werden kommen. Das übliche Prozedere. Vielleicht bleiben ja sogar die Fans dieselben - und mit ihnen der Schlachtruf.

Weit haben es die Anhänger von Sangju nach Gimcheon schließlich nicht. Gut eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit dem Zug.

Paul Bartmuß

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