Bundesliga

Streitpunkt Auswärtstorregel: Geschichte, Probleme, Alternativen

Fragen und Antworten

Streitpunkt Auswärtstorregel: Geschichte, Probleme, Alternativen

Drama Relegation - Drama Auswärtstorregel: Bremen (l.) und Nürnberg (r.) profitierten, Heidenheim-Trainer Schmidt musste sich ärgern.

Drama Relegation - Drama Auswärtstorregel: Bremen (l.) und Nürnberg (r.) profitierten, Heidenheim-Trainer Schmidt musste sich ärgern. Getty Images/picture alliance

2019 stieg der VfB Stuttgart in der Relegation mit zwei Remis ab, 2020 blieb Werder Bremen in der Relegation mit zwei Remis drin - dabei waren die Ergebnisse identisch: 2:2 und 0:0. Weil aber der VfB zuhause 2:2 und auswärts 0:0, Werder zuhause 0:0 und auswärts 2:2 gespielt hatte, waren die Folgen völlig unterschiedlich. Die Auswärtstorregel hatte zugeschlagen.

Was besagt die Auswärtstorregel?

Wenn zwei Mannschaften in einem Duell mit Hin- und Rückspiel gleich viele Tore erzielt haben, setzt sich der Auswärtstorregel zufolge diejenige durch, die mehr Auswärtstore erzielt hat. Wer also zum Beispiel sein Heimspiel mit 3:1 gewinnt, auswärts aber 0:2 verliert, zieht den Kürzeren.

Warum wird gerade wieder über die Auswärtstorregel diskutiert?

In Deutschland gab es in dieser Saison drei K.-o.-Duelle um die Ligazugehörigkeit, und alle drei wurden via Auswärtstorregel entschieden: Werder Bremen schaffte in der Bundesliga-Relegation gegen den 1. FC Heidenheim nach einem 0:0 zuhause durch ein 2:2 auswärts den Klassenerhalt, der 1. FC Nürnberg in der Zweitliga-Relegation gegen den FC Ingolstadt nach einem 2:0 zuhause durch ein dramatisches 1:3 auswärts. Und auch die Aufstiegsspiele zur 3. Liga fanden so einen Sieger: Der SC Verl setzte sich gegen den 1. FC Lok Leipzig nach einem 2:2 auswärts per 1:1 zuhause durch. Alle Beteiligten wussten natürlich um die Regel, bitter bleibt sie für die drei Nicht-Aufsteiger dennoch; allen voran für die Leipziger, die in der gesamten Saison nur ein Spiel verloren haben.

Warum wurde die Auswärtstorregel eingeführt?

Die Regel war 1965 erstmals eingeführt und später auf alle Europapokal-Wettbewerbe ausgeweitet worden, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Weil Auswärtsspiele damals mit enormen Reisestrapazen verbunden und beispielsweise Bälle und Plätze noch nicht genormt waren, hatten Heimmannschaften einen klaren Vorteil. Außerdem sollten Auswärtsmannschaften mit der Neuerung zu offensiverem Fußball ermuntert werden. Auch in einigen Handball-Wettbewerben kommt die Auswärtstorregel zum Einsatz.

Galt die Auswärtstorregel schon immer in der Relegation?

Nein, erst seit der Wiedereinführung der Relegation 2009. Bei den Relegationsspielen bis 1991 hatte es bei Torgleichheit nach Hin- und Rückspiel ein drittes Duell gegeben. Borussia Dortmund etwa wäre 1986 abgestiegen, wäre die Auswärtstorregel zur Anwendung gekommen: Der BVB verlor bei Zweitligist Fortuna Köln mit 0:2, gewann zuhause mit 3:1 und setzte sich schließlich im Entscheidungsspiel in Düsseldorf durch - mit 8:0. Seit 2009 entschied die Auswärtstorregel dreimal über den letzten Bundesliga-Platz: Der Hamburger SV rettete sich 2014 gegen Fürth (0:0/1:1), der VfB Stuttgart stieg 2019 gegen Union Berlin ab (2:2/0:0), 2020 profitierte Bremen. In der Zweitliga-Relegation kam die Regelung in vier von zwölf Duellen zur Anwendung - der FC Ingolstadt scheiterte an ihr jetzt zweimal in Serie: 2019 als Zweitligist (2:1/2:3 gegen Wehen Wiesbaden) und 2020 als Drittligist.

Ist die Auswärtstorregel immer noch zeitgemäß?

Das sehen längst nicht mehr alle so. Über die Jahre ist der Anteil der Auswärtstore und -siege signifikant gestiegen, der Heimvorteil ist wesentlich kleiner als früher (in Geisterspielen erst recht). Und was einst Auswärtsteams zu mehr Offensivfußball animieren sollte, animiert jetzt nicht selten Heimteams zu mehr Defensivfußball: Die Auswärtstorregel macht ein Heimspiel ohne Gegentor schließlich besonders wertvoll. Dazu kommt die Ungerechtigkeit, dass bei Spielen, die in die Verlängerung gehen, die Auswärtsmannschaft 30 Minuten länger Zeit hat, ein Auswärtstor zu erzielen. Das hatte zuletzt Trainer Diego Simeone kritisiert, als er im Frühjahr mit Atletico Madrid Titelverteidiger Liverpool im Champions-League-Achtelfinale bezwungen hatte (1:0/3:2 n.V.).

Wird eine Abschaffung der Regel diskutiert?

Weil sich bereits 2018 internationale Toptrainer bei einer UEFA-Tagung in Nyon gegen die Auswärtstorregel ausgesprochen hatten, hatte die UEFA das Thema bei einer Sitzung des Exekutivkomitee im Mai 2019 auf die Agenda gesetzt - ohne Ergebnis. Bislang hält der Verband weiterhin an der Regelung fest.

Welche Alternativen gäbe es?

Spiele, bei denen es nach 180 Minuten unabhängig von der Anzahl der Auswärtstore unentschieden steht, könnten via Verlängerung und Elfmeterschießen entschieden werden. Dann allerdings hätte die Gastmannschaft im Rückspiel den Nachteil, 30 Minuten länger auswärts als zuhause spielen zu müssen. Fairer wäre womöglich, nach den 180 Minuten direkt ein Elfmeterschießen anzusetzen (wie etwa seit 2018/19 im Halbfinale des englischen Ligapokals), deutlich aufwändiger, wie früher ein Entscheidungsspiel auf neutralem Platz auszutragen. Manche Verbände haben sich für eine Mischform entschieden. In der asiatischen Champions League wird die Auswärtstorregel beispielsweise nur nach der regulären Spielzeit, nicht aber nach der Verlängerung angewandt.

Was war der vielleicht kurioseste Moment in der Geschichte der Auswärtstorregel?

Im Champions-League-Halbfinale 2002/03 trafen die Mailänder Klubs Inter und AC aufeinander. Milan setzte sich dank der Auswärtstorregel durch (0:0/1:1) - obwohl beide Duelle sogar im selben Stadion stattfanden, in San Siro. Wenig später war Milan Champions-League-Sieger.

Jörn Petersen

Noten, Paradenquote, zu null: Das Torhüter-Ranking der Bundesliga