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So, jetzt dann aber wirklich - Tottenham im Check

Premier-League-Vorschau, Teil 6

So, jetzt dann aber wirklich - Tottenham im Check

Wartet noch auf Silberware: Mauricio Pochettino.

Wartet noch auf Silberware: Mauricio Pochettino. Getty Images

Von Null auf Hundert in drei Jahren, immerhin: Mit 19 war Tanguy Ndombelé übergewichtig und zu undiszipliniert für Amiens und die Ligue 2, mit 22 ist er über 60 Millionen Euro schwer und Tottenhams teuerster Neuzugang aller Zeiten. Und vor allem: der erste seit anderthalb Jahren.

Lange musste Mauricio Pochettino warten, bis sein ausgelaugter Kader mal wieder eine Auffrischung erhielt, selbst wenn das Ergebnis zuvor auch so mehr als beeindruckend war. Doch Tottenham, durch magische Nächte in Manchester und Amsterdam bis ins Champions-League-Finale vorgestoßen, lief in der vergangenen Premier-League-Saison auf der letzten Rille. Pochettino hatte aus jedem seiner Spieler das Maximum herausgeholt, den vierten Platz am Ende von Arsenal und Manchester United im Grunde geschenkt bekommen.

Es war dringend Zeit, dass das (im Vergleich zur Konkurrenz schmale) Budget nach dem teurem Stadionbau auch mal wieder in Spieler gesteckt wurde. "Ich bin glücklich mit meinem Kader", sagte Pochettino zwar neulich, noch vor dem Deadline Day, fügte aber auch hinzu: "Wir sind immer bereit, den Kader zu verbessern, und werden sehen, was passiert." Nicht zum ersten Mal hatte der Trainer Geschäftsführer Daniel Levy öffentlich unter Druck gesetzt: "Spieler verkaufen, Spieler kaufen, Verträge unterschreiben, Verträge nicht unterschreiben - das liegt nicht in meinen Händen. Ich bin nur der Boss auf dem Platz und dafür zuständig, dass meine Spieler im Kader besser werden." Oder kurz gesagt: Ich will neue Spieler!

Levy hört ausnahmsweise auf Pochettino und kauft groß ein

Dann soll es eben so sein, sagte Levy sich ausnahmsweise - und legte am Donnerstag, dem englischen Deadline Day, nochmal 27 Millionen Euro für Fulham-Youngster Ryan Sessegnon (19, Linksverteidiger) und 16 Millionen Euro für die Leihe von Giovani Lo Celso (23, zentrales Mittelfeld) auf den Tisch. Der Argentinier kann nach der Saison für kolportierte 60 Millionen Euro fest von Real Betis verpflichtet werden.

Beide Verpflichtungen waren bitter nötig, zumal es mit Paulo Dybala (25) nicht geklappt hat, angeblich wegen Problemen mit dessen Bildrechten. Die Probleme im jetzigen Aufgebot dagegen lauern an vielen Ecken: Zum vierten Mal in den vergangenen zwei Jahren fällt Dele Alli (23) mit einer Oberschenkelverletzung aus, er wird den Saisonauftakt genauso verpassen wie Juan Foyth (21). Der Innenverteidiger muss mit einer Knöchelverletzung sogar länger zuschauen.

Rose wäre gerne gewechselt, er war sogar schon in Watford

Linksverteidiger Danny Rose (29) wäre gerne gewechselt und war schon zum FC Watford gereist, ein Angebot vom letztjährigen Elften lehnte Tottenham aber ab. Außenverteidiger Kieran Trippier (28, Atletico Madrid) und Angreifer Vincent Janssen (25, CF Monterrey) hat Levy stattdessen verkauft, den Vertrag von Routinier Fernando Llorente (34), in der Vorsaison einer der Hauptbeteiligten am CL-Finaleinzug, nicht verlängert - er ist weiter ablösefrei auf dem Markt.

Alleine in vorderster Front bleibt deshalb nur Harry Kane (26), dessen Knöchelprobleme sich mittlerweile von Saison zu Saison ziehen. Heung-Min Son (27) hatte in Kanes Abwesenheit fast jedes Spiel im Alleingang entschieden, ist aber eigentlich auf dem linken Flügel eingeplant - und zudem in den ersten drei Ligaspielen rotgesperrt. Bislang hatte Pochettino oft ein paar Kniffe bereit, beispielsweise mit Lucas Moura (26, wie im Halbfinale in Amsterdam) oder Erik Lamela (27) als verkappte Alternativen, aber wenn inzwischen selbst Kapitän Kane die Ansprüche hochschraubt ("Wir waren Zweiter, Dritter, Vierter, nur Platz 1 fehlt uns noch"), muss mehr kommen.

Lo Celso ist da - was bedeutet das für Eriksen?

Immerhin im defensiven Mittelfeld sorgt der Einkauf vom spielstarken Ndombelé dafür, dass Harry Winks (23) und Moussa Sissoko (29) etwas entlastet werden. Für den wechselwilligen Christian Eriksen (27) hat sich bisher kein Abnehmer gefunden, durch die Verpflichtung von Lo Celso hat Levy Druck aus der Angelegenheit genommen. Eriksen träumt von Real Madrid, nur Real Madrid offenbar nicht von Eriksen. Nach jetzigem Stand geht der Edeltechniker in sein letztes Vertragsjahr in Nordlondon. Lo Celso könnte dessen Part im offensiven Mittelfeld einnehmen.

Ndombelé

Neu im Mittelfeld: Ndombelé. Getty Images

In der Vierer-Abwehrkette wird Sessegnon früher oder später den Part von Rose auf der linken Seite übernehmen, Davinson Sanchez (23) möglicherweise rechts aushelfen und Jan Vertonghen (32) mit Toby Aldeweireld (30), der ebenfalls noch gehen könnte, das Zentrum bilden.

Pochettino sah seine Mannschaft nach dem Gewinn des Audi-Cups in München schon gut vorbereitet auf die gegen Aston Villa und bei Manchester City beginnende Saison; "zwar nicht ideal, aber sehr gut". Was er nach dem Deadline Day wohl denkt?

Zum ersten Mal seit drei Jahren starten die Spurs auch noch mit einem richtigen Heimspiel, nachdem sich die Eröffnung des neuen milliardenschweren Stadions über Monate hingezogen hatte. Das ist ein großer Unterschied zu der am Ende schwindenden Kulisse in der Ausweicharena Wembley.

Ein zweiter, dritter oder vierter Platz ist nicht mehr genug

Natürlich sind die Erwartungen an Tottenham nach der vierten Top-4-Platzierung in Folge nicht gesunken, erst recht nicht nach drei teuren Neuzugängen. Es geht nur inzwischen nicht mehr darum, unter die ersten Vier zu kommen und in die Champions League einzuziehen. Zu erwarten, dass die Spurs wieder das Endspiel der Königsklasse erreichen, wäre vermessen. Aber auf nationaler Ebene, so wie Kane es selbst sagt, müssen die Meisterschaft oder der Gewinn einer der beiden Pokalwettbewerbe (natürlich eher der FA-Cup) das Ziel sein, auch wenn es hinter Manchester City und Liverpool unheimlich schwer wird.

Der noch immer titellose Pochettino wird langsam sehen wollen, ob es möglich ist, mit den Spurs den letzten Schritt zu gehen. Levy hat seinen Part jetzt erfüllt, nun ist Pochettino am Zug.

Tottenham Hotspur 2019/20: Wer kam, wer ging

Platzierung in der letzten Saison: 4.

Neuzugänge: Tanguy Ndombelé (22, Mittelfeld, Olympique Lyon), Jack Clarke (18, Angriff, Leeds United, direkt weiterverliehen), Ryan Sessegnon (19, Abwehr, Fulham), Giovani Lo Celso (23, Mittelfeld, Real Betis)

Abgänge: Kieran Trippier (28, Abwehr, Atletico Madrid), Vincent Janssen (25, Angriff, CF Monterrey), Fernando Llorente (34, Angriff, unbekannt), Michel Vorm (35, Torwart, unbekannt)

mkr

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