Bundesliga

Schwiegersöhne und Egoisten: Kommentar zur Krise bei Hertha

Kommentar

Schwiegersöhne und Egoisten: Was bei Hertha alles schiefläuft

Frostig: Fredi Bobic und Tayfun Korkut beim Training am Dienstag.

Frostig: Fredi Bobic und Tayfun Korkut beim Training am Dienstag. IMAGO/Nordphoto

Hendrik Herzog, der Zeugwart, war am Dienstagmorgen der Erste auf dem Trainingsplatz. Er hinterlegte um kurz vor halb Zehn im Mittelkreis Leibchen und Bälle. Als kurz danach Co-Trainer Ilija Aracic und Offensiv-Trainer Vedad Ibisevic das Übungsareal betraten, gab Herzog Entwarnung: "Der Platz ist nicht gefroren." Wenigstens das. Denn ansonsten geht es bei Hertha BSC in diesen Tagen ungemein frostig zu. Der Blitz-Abgang von Sportdirektor Arne Friedrich am Montagabend, der im vom Klub versendeten Statement Sätze von erstaunlicher Klarheit kundtat, legte die Risse in der sportlichen Führung schonungslos offen. "Aus verschiedenen Gründen", bekannte Friedrich, sei in den vergangenen Monaten bei ihm "das Gefühl entstanden, dass mein Einfluss bei wichtigen sportlichen Entscheidungen nicht mehr ausreichend gegeben ist, um meinen Aufgaben als Sportdirektor gerecht zu werden". Rumms!

So richtig konnten Fredi Bobic, der im Juni als neuer starker Mann im sportlichen Bereich installiert wurde, und Friedrich, der nach dem Aus von Michael Preetz im Januar 2021 in die erste Reihe gerückt war und Gefallen an der Aufgabe gefunden hatte, von Anfang an nicht miteinander. Jetzt wollten sie auch nicht mehr miteinander - auch, weil es in der Bewertung der Entwicklung und mancher Personalien unterschiedliche Ansichten gab. Im Sommer wäre für den freiheitsliebenden Friedrich, der seine Wohnung in den USA auch während seiner Hertha-Zeit nie aufgab, ohnehin Schluss gewesen. Jetzt geht er früher, weil er sich nicht mehr ausreichend gehört fühlte. Das ist konsequent - und trotzdem ein fatales Zeichen nach außen.

Fredi Bobic

"Das hat uns erschrocken": Bobics Ansage an Korkut und die Mannschaft

alle Videos in der Übersicht

Kreativ in der Krise

Als Lars Windhorst Mitte Februar sein 374-Millionen-Euro-Investment öffentlich als Fehler bezeichnete und "Machterhalt und Klüngelei" im Klub beklagte, konterte Bobic: "Der Zeitpunkt war fatal. Wir brauchen dieses Schaufenster jetzt nicht." Sie brauchen Windhorst dafür tatsächlich nicht, sie kriegen - das hat diese Woche erneut gezeigt - das mit der hausgemachten Unruhe schon selbst hin. So schematisch Hertha Fußball spielt, so kreativ wirkt in Teilen der Umgang des Klubs mit der Krise: Ende November installierte Bobic in Tayfun Korkut einen Trainer, der zuvor drei Jahre ohne Beschäftigung war. Und jetzt, da die allermeisten mit der Beurlaubung dieses erkennbar rat-, glück- und erfolglosen Trainers gerechnet haben, wirft der Sportdirektor hin - am Tag nach einem Krisengespräch, in dem der Geschäftsführer ohne den Trainer das Stimmungsbild in der Mannschaft auslotete. Das Ergebnis: Korkut bleibt, aber er soll - bitteschön - künftig den Fußball seines Vorgängers propagieren. Tiefer stehen, kompakter werden, einfacher spielen und einer hochgradig verunsicherten Mannschaft Selbstvertrauen und eine Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Stimmung einimpfen: Die aktuelle Aufgabe klingt wie maßgeschneidert für jemanden wie Pal Dardai, aber den hat Bobic im November kaltgestellt.

Bobic hat die Qualität des Personals überschätzt und die Dynamik der Krise lange unterschätzt

Dass Bobic im Sommer 2021 mit Dardai in sein erstes Berliner Jahr aufbrach, obwohl er von Anfang an inhaltliche Zweifel hatte, war eine der hausgemachten Hypotheken dieser verkorksten Hertha-Saison. Bobic hat einen teuren, aufgeblähten, unrunden Kader geerbt und einen etwas weniger teuren, weniger aufgeblähten, aber genauso unrunden Kader gebaut. Er hat die Qualität des von ihm geholten Personals überschätzt und die Dynamik der Krise lange unterschätzt. Aber er hat - auch das gehört zur komplexen Wahrheit des blau-weißen Niedergangs - unter anderen Vorzeichen in Berlin angeheuert. Dass derart viel vom Investoren-Geld schon ausgegeben war und er in seiner ersten Transferperiode in Berlin einen Überschuss erzielen musste, hat Bobic überrascht.

Manche im Klub dachten womöglich, der Neue werde einmal kalt durchwischen, um auch aus den hintersten Ecken den Staub zu entfernen - in Wahrheit reißt Bobic mit seinen zumeist aus Frankfurt nachgeholten Gefolgsleuten seit Sommer das ganze Haus ein. Er will diesen 1892 gegründeten Klub neu bauen und neu denken. Der Ansatz ist nicht falsch, aber ohne ein taugliches Fundament - Stabilität im Kernressort Sport - nicht zu realisieren, schon gar nicht in dem Tempo, das Bobic anschlägt. Er hält jetzt - erstmal - am Trainer fest, aus mit Trotz grundierter Überzeugung, womöglich auch aus Mangel an Alternativen. Andere Klubs greifen in ähnlichen Situationen auf den hauseigenen U-23-Trainer zurück, aber der heißt bei Hertha Ante Covic - und war 2019 der erste Trainer der Windhorst-Ära und mit der Bundesliga schlichtweg überfordert.

Die Mannschaft - ein Sammelsurium aus Muster-Schwiegersöhnen und Egoisten

Korkut unterbietet Covics Punkteschnitt längst deutlich, er ist ein Trainer auf Zeit und weiß das selbst. Wenn's am Samstagabend in Gladbach schiefgeht, ist am Sonntag für ihn vermutlich schon alles vorbei. Aber bis dahin ist er genauso im Kampf-Modus wie sein Vorgesetzter Bobic. Im Training am Dienstag brach es aus Korkut heraus. "Scheiß auf mich! Ich möchte, dass ihr gewinnt", rief er den Profis zu. "Das ist eure Zukunft, das ist nicht meine Zukunft." Bobic verlangt von den Spielern, dass sie sich "gegenseitig auch mal verbal wehtun und den Konflikt miteinander suchen". Dass diese Mannschaft - ein Sammelsurium aus Muster-Schwiegersöhnen und Egoisten - in sich zu wenig Leben und Reibung hat, ist einer der Gründe für den Absturz. Bobic und Korkut haben die Lage lange schöngeredet. Jetzt legen sie den Finger in die Wunde. Die Frage ist nur, ob sie auch ein Pflaster dabei haben.