Bundesliga

BVB: Ricken ist eine naheliegende Lösung - auf den zweiten Blick

Kommentierende Analyse

Ricken ist eine naheliegende Lösung - auf den zweiten Blick

Verantwortet künftig die sportlichen  Geschicke bei Borussia Dortmund: Lars Ricken.

Verantwortet künftig die sportlichen  Geschicke bei Borussia Dortmund: Lars Ricken. imago images

Seit Klubboss Hans-Joachim Watzke im Winter-Trainingslager von Borussia Dortmund seinen schrittweisen Rückzug aus dem operativen Geschäft verkündet hat, wurde beim BVB darüber diskutiert und spekuliert, wie sich die Schwarz-Gelben für die Zeit danach rüsten würden. Sportdirektor Sebastian Kehl galt als natürlicher Kandidat für die neue Stelle des Geschäftsführers Sport, auch externe Kandidaten wie Markus Krösche (Eintracht Frankfurt) wurden im Umfeld gehandelt, dazu wurde zuletzt über eine stärkere Einbindung des bisherigen externen Beraters Matthias Sammer diskutiert.

Ein Name allerdings fiel nicht. Vielleicht, weil er etwas zu naheliegend war: der von Lars Ricken. Der Jahrhundert-Torschütze von Borussia Dortmund, der sich mit seinem Treffer im Champions-League-Finale 1997 einen festen Platz im Herzen der BVB-Fans gesichert hat, führt seit Jahren die Nachwuchsabteilung des Klubs, die beständig Toptalente hervorbringt und nationale Titel in Serie sammelt.

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Dass der 47-Jährige, der zunächst ab 2008 als Nachwuchskoordinator und seit 2021 als Direktor des Nachwuchsleistungszentrums fungierte, zum 1. Mai dieses Jahres nun in die Geschäftsführung des BVB aufsteigt, erscheint angesichts dieses Werdegangs fast logisch. Allerdings erst auf den zweiten Blick. Denn dass die Ernennung trotzdem für die Öffentlichkeit überraschend kommt, liegt vor allem auch daran, dass Ricken kein Lautsprecher ist, sondern seine Arbeit bislang meist abseits des Medienrummels verrichtete.

Dies wird künftig anders sein: Ricken rückt in die erste Reihe des Klubs auf, wird qua Amt künftig deutlich präsenter sein - und Entscheidungen treffen müssen, die nicht mehr nur die Jugendabteilung des BVB tangieren, sondern die Bundesliga-Profis. Dass Rickens bisherige Aufgaben künftig nicht vernachlässigt werden, hat der Klub bereits diskret durch die bevorstehende Verpflichtung von Thomas Broich (bislang Hertha BSC) geregelt.

Ricken und Mislintat: Verstärkter Fokus auf Talente

Dass zeitgleich mit der Personalie Ricken - der seit gemeinsamen Spielerzeiten einen guten Draht zu Sammer pflegt und weiter pflegen dürfte - auch die Rückkehr von Sven Mislintat vom Klub kommuniziert wurde, spricht dafür, dass sich der Fokus des BVB künftig wieder stärker der Entwicklung von Toptalenten richten wird. Mislintat, ein Mann mit Stallgeruch und internationaler Erfahrung gleichermaßen, hat sich bei seiner ersten Zeit in Dortmund den Ruf als "Diamantenauge" erworben. Diesen Ruf wird er verteidigen wollen. Dass er gut bekannt mit Terzic ist, wird ihm seinen Einstieg am 1. Mai zusätzlich erleichtern.

Ricken, unter dessen Führung in Dortmund Talente Jahr für Jahr an die Schwelle zum Profi-Fußball herangeführt wurden, steht an der Spitze des sportlichen Organigramms ebenfalls für einen Fokus auf junge, vielversprechende Spieler, die sich in Dortmund zu Topspielern entwickeln sollen. So wie es der BVB in der Vergangenheit bereits jahrelang erfolgreich praktiziert hat. Und wodurch die Dortmunder in den Zehner-Jahren temporär zu "Europes Hottest Club" aufstiegen.

Der Verlierer der Umstrukturierung ist ebenfalls schnell ausgemacht: Kehl hatte sich selbst ins Spiel gebracht für den neuen Posten des Geschäftsführers Sport - wurde aber nicht berücksichtigt. Nach seiner Zeit als Profi hatte er sich extern fortgebildet, ehe er zunächst als Leiter der Lizenzspielerabteilung unter dem damaligen Sportdirektor Michael Zorc zum BVB zurückkehrte. Nach Zorcs Rückzug rückte Kehl vor zwei Jahren auf den Sportdirektoren-Posten auf. Eine abermalige Beförderung wäre einerseits schnell gekommen, andererseits aber - verglichen mit der Wirtschaftswelt - auch nicht ungewöhnlich gewesen.

Kehl schärfte zuletzt sein Profil - zu spät?

Zuletzt hatte Kehl sein Profil durch die guten Wintertransfers von Ian Maatsen und Jadon Sancho (beide ausgeliehen) geschärft. Die positive Entwicklung von Sommer-Einkauf Marcel Sabitzer gab ihm zudem in der Einschätzung recht, dass Neuzugänge manchmal schlicht etwas Zeit benötigen, ehe sie in ihrem neuen Klub ankommen. Doch das Projekt "Borussia Deutschland", das er durch viele Transfers von deutschen Nationalspielern vorantrieb, ist zumindest für den Moment gescheitert. Bei den März-Länderspielen war von elf möglichen BVB-Profis nur Niclas Füllkrug beim DFB-Team dabei.

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Die internen Zweifler, die ihm eine zu langsame Entscheidungsfindung vorhielten, verstummten daher nie - sondern wurden in dieser vor allem in der Hinrunde durchwachsenen Bundesliga-Saison eher lauter. Dass der von ihm verpflichtete Assistent Slaven Stanic nach kurzer Zeit bereits wieder gehen musste, da dieser sich negativ über Trainer Edin Terzic geäußert hatte, warfen ihm die Kritiker ebenfalls vor.

Zumal die Beziehung zwischen Kehl und Terzic bereits zuvor als schwierig galt. Kehl, der von seinem Naturell her kein Politiker ist, steuerte erst spät entschlossen gegen, um sein Bild in der Öffentlichkeit in seinem Sinne zu korrigieren. Möglicherweise zu spät, wie die ausgebliebene Beförderung nahelegt.

Wenig Spannung in der Trainerfrage: Terzic' Stellung ist gefestigt

Im Sommer will sich Ricken mit Kehl zusammensetzen, um über eine Verlängerung des bis 2025 laufenden Vertrags zu sprechen. So ist es vom BVB kommuniziert. Kehl wird sich die Frage stellen müssen, wie er mit den Personalentscheidungen umgeht und welche Schlüsse er daraus zieht. Neben dem erforderlichen Kader-Umbau wird die Zukunft Kehls eine der spannenden Fragen des Dortmunder Sommers werden.

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Sieht er sich noch im Klub, hierarchisch eingeordnet zwischen Ricken und Mislintat? Kann er seine Ideen in dieser Konstellation verwirklichen? Hilft es ihm und seiner persönlichen Weiterentwicklung vielleicht sogar, zusätzliche Fachkräfte an seiner Seite zu wissen? Darüber dürfte Kehl, dessen Maßnahmen rund um die Mannschaft - etwa bei der Prävention von Muskelverletzungen - vielfach fruchteten, in nächster Zeit intensiv nachdenken. Derzeit scheint er, so ist es am Montag zu hören, bereit zu sein, sich auch in der neuen Konstellation weiterhin in den Dienst des Klubs zu stellen.

Weit weniger Spannung liegt dagegen in der Trainerfrage: Terzic stand vor allem im Winter - wie Kehl - massiv in der Kritik. Doch dem 41-Jährigen gelang es, das Team zu stabilisieren und international sogar bis ins Halbfinale der Champions League zu führen. Damit festigte er seine Stellung massiv. Dass in der Liga derzeit nur Rang fünf auf der Habenseite steht, ist zwar weiterhin nicht zufriedenstellend. Da dieser aber vermutlich dank des guten internationalen Abschneidens der Bundesliga dennoch zur erneuten Qualifikation zur Königsklasse reichen dürfte, ist das aus Dortmunder Sicht ausnahmsweise zu verschmerzen.

Schonungslose Analyse bleibt erforderlich

Wichtig wird dennoch sein, dass der Klub und seine Bosse im Sommer in eine schonungslose Analyse einsteigen und hinterfragen, wie insbesondere das erste Halbjahr zustande kommen konnte, in dem sportlich wenig zusammenlief - von den internationalen Auftritten einmal abgesehen. Dass dabei die Einbeziehung eines externen und dadurch unvoreingenommenen Eindrucks hätte hilfreich sein können, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Verantwortlichen werden durch Ehrlichkeit und Offenheit den Beweis antreten müssen, dass es auch ohne geht.

Matthias Dersch

Bilder zur Partie BV 09 Borussia Dortmund gegen Bayer 04 Leverkusen