Handball

Wandschneider: "Der Handball frisst seine Kinder"

Überbelastung im Sport

Wandschneider: "Der Handball frisst seine Kinder"

Er sagt, dass es eine klare Überbelastung gibt: Kai Wandschneider, Trainer des Handball-Bundesligisten HSG Wetzlar.

Er sagt, dass es eine klare Überbelastung gibt: Kai Wandschneider, Trainer des Handball-Bundesligisten HSG Wetzlar. imago

Der 57-Jährige, 2013 zum Trainer des Jahres gewählt, sieht durch die Ökonomisierung des Sports eine Aufblähung der internationalen Wettbewerbe. Die Folge: "Die Anzahl der Spiele verschleißt Spieler, Trainer und Manager." Mit kicker online hat Wandschneider über die Unterschiede der "Kontaktsportart" Handball und der "Ausdauersportart" Fußball, die grundverschiedenen Ausstattungen im personellen und strukturellen Bereich und seine Vertragsverlängerung bei den Hessen gesprochen.

kicker: Herr Wandschneider, ein Bundesliga-Fußballer kann auf maximal 79 Pflichtspiele pro Saison kommen. Wie viele können es bei einem Handballer werden?

HSG Wetzlar - Vereinsdaten
HSG Wetzlar
mehr Infos

Kai Wandschneider: Wer bei einem der großen Klubs, also Kiel, Rhein-Neckar Löwen oder Flensburg-Handewitt und in der Nationalmannschaft spielt, kann auf über 80 kommen. Im Handball kannst du ja binnen 13 Monaten drei Großevents haben, wie die EM 2016 im Januar, Olympia im August und die WM im Februar 2017. Umsonst hat sich ein Christian Dissinger nicht mit 24 Jahren auf unbestimmte Zeit von der Nationalmannschaft abgemeldet. Grundsätzlich ist es egal, über welche Sportart wir sprechen: Die Rückmeldung von Spielern und Trainer ist ernst zu nehmen. Wir haben eine klare Überbelastung.

kicker: Wie sieht es in anderen Sportarten aus?

Wandschneider: Das kann ich nicht zu hundert Prozent beurteilen, ich sehe aber, dass es im Basketball und Eishockey vier Monate pflichtspielfreie Zeit gibt, die dann oft für individuelles Training genutzt wird. Im Handball stehen nach der Liga noch Qualifikationsspiele an, die Nationalspieler haben maximal drei Wochen Pause. Verbände und Ligen verfolgen ihre Interessen. Die sind vor allem auch finanziell geprägt.

Der Mensch ist keine Maschine. Körperliche Erschöpfung hat Auswirkungen auf die Psyche und da sind wir beim Thema Burn-Out.

kicker: Ist die Belastung in der "Kontaktsportart" Handball höher als im Fußball?

Wandschneider: Der Handball ist härter und intensiver, weil jeder Zweikampf Vollkontakt mit Anlauf bedeutet. Fußball ist mehr ausdauergeprägt. Wir haben kein Mittelfeld, nur Angriff und Abwehr. Wenn man so will: Die Matrix des Handballs ist der Konter des gekonterten Konters. Grundsätzlich beantworten kann diese Frage nur ein Sportwissenschaftler, der die spezifischen Belastungsprofile untersucht und miteinander vergleicht.

kicker: Sie sagen: Wir haben eine klare Überbelastung. Woran machen Sie das fest?

Wandschneider: Es geht nicht nur um die physische Belastung, der Mensch ist keine Maschine. Körperliche Erschöpfung hat Auswirkungen auf die Psyche und da sind wir beim Thema Burn-Out. Spieler, aber auch Trainer müssen Strategien und Techniken entwickeln, um innerhalb kürzester Zeit zu regenerieren.

kicker: Gibt es Teampsychologen im Handball?

Wandschneider: Nein, zumindest ist das nicht der Standard. Das wenige Geld im Handball wird fast ausschließlich in den Kader gesteckt. Mannschaften in Nachwuchsleistungszentren der Fußball-Bundesliga sind personell besser ausgestattet als die Männerteams der Handball-Bundesliga. In der NBA haben die Jungs auch über 80 Spiele pro Jahr, dazu noch Langstreckenflüge - aber da ist dann auch ein Kraftraum im Flieger. Im Handball reist du mit dem Bus, auch die Strecken nach Kiel oder Flensburg.

Wir brauchen kluge Köpfe, die zum richtigen Maß zurückfinden.

kicker: Was kann man tun?

Wandschneider: Der Ist-Zustand lautet rasender Stillstand. Die Durch-Ökonomisierung führt zu einer Entwertung der internationalen Wettbewerbe. Die werden immer mehr aufgeblasen, doch die Anzahl der Spiele verschleißt Spieler, Trainer und Manager. Man kann sagen: Der Handball frisst seine Kinder. Wir brauchen kluge Köpfe, die zum richtigen Maß zurückfinden. Und daran sollte man die Spieler beteiligen mit ihren Anregungen. Daraus muss eine internationale, vielleicht sogar sportartenübergreifende Bewegung werden. Nehmen wir ein Beispiel: Die HSG Wetzlar hatte als kleiner Klub der Bundesliga mit Steffen Fäth, Jannik Kohlbacher und Andreas Wolff den meisten Spielzeitenanteil beim EM-Gewinn der Nationalmannschaft. Die Abstellungszahlungen im Handball sind aber so gering, dass du davon keinen Spieler zur Entlastung nachkaufen kannst. Schauen Sie sich Borussia Dortmund nach der Fußball-WM 2014 an: Die waren zur Winterpause 17., obwohl sie mit Jürgen Klopp einen Weltklassetrainer hatten.

kicker: Sie selbst haben gerade bis 2019 in Wetzlar verlängert. Was hat Sie überzeugt, obgleich die HSG finanziell nicht zu den Top-Kräften zählt?

Wandschneider: Weil wir seit fünf Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Über diese Phase gesehen sind wir im Schnitt Neunter der Bundesliga, obwohl wir vom Etat her ins untere Drittel gehören. Dazu haben wir ein tolles Betriebsklima, der Verein einen kooperativen, wertschätzenden Führungsstil. Das gibt Kraft und Energie, auch für schwierige Phasen.

kicker-Trend Die Frage zur Sendung: 60 und mehr Spiele im Jahr - sind Profifußballer überlastet?

Alles zu kicker.tv auf einen Blick

Alle Sendungen verfügbar bei kicker.tv

Interview: Benni Hofmann