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Die "Rote Furie" sieht wieder Orange

Titelverteidiger Spanien im WM-Check

Die "Rote Furie" sieht wieder Orange

6,175 Kilogramm schwer, 36,8 Zentimeter hoch: Im Jahr 2010 holte Spanien den WM-Pokal in die Heimat.

6,175 Kilogramm schwer, 36,8 Zentimeter hoch: Im Jahr 2010 holte Spanien den WM-Pokal in die Heimat. imago

Die Stärken

Die EM-Siege 2008 und 2012, der WM-Triumph 2010 - Spanien fliegt mit einem wahnsinnigen Selbstvertrauen Richtung Brasilien. Die "breite Brust" und der Respekt der Konkurrenz ist mit Sicherheit ein Trumpf-Ass der Spanier. Und an der Seitenlinie steht ein angesehener Experte: Vicente del Bosque übernahm die Mannschaft nach dem EM-Triumph 2008 von Luis Aragones und setzte dessen erfolgreiche Arbeit fort. Der ehemalige Spieler und Trainer von Real Madrid gilt als gewieft und erfahren, mit dem 62-jährigen ehemaligen Nationalspieler gewann Spanien die vergangenen beiden großen Titel.

Weltmeisterschaft - Vorrunde, 1. Spieltag
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Spanien - Vereinsdaten
Spanien

Gründungsdatum

01.01.1913

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Das größte Plus: Kaum eine Mannschaft ist spielstärker einzuschätzen als die Rote Furie. Mit den Barcelona-Akteuren Xavi, Busquets, Iniesta und Fabregas befinden sich überragende Techniker in den Reihen des Titelverteidigers, die das "Tiki-Taka" der Katalanen auch in der Seleccion bis zur Perfektion praktizieren. Die Abwehr um Startorhüter Iker Casillas hat in K.o.-Spielen das letzte Gegentor aus dem Spiel heraus im Viertelfinale der WM 2006 gefangen! Und das Gefüge steht immer noch: Die Mannschaft von 2008 ist weitgehend zusammengeblieben, ist somit perfekt eingespielt und hat einen unfassbar ausgeglichenen Kader mit auch auf Vereinsebene erfahrenen internationalen Spielern. Die Iberer können es sich ohne Substanzverlust leisten, Ausnahmekönner wie Santi Cazorla, Juan Mata oder Jesus Navas von der Bank kommen zu lassen. Beinahe jeder Spieler ist gleichwertig ersetzbar, sieht man vielleicht von Spielmacher Xavi ab.

Die Schwächen

Der Teamgeist. Die Stammelf der Nationalmannschaft besteht überwiegend aus Akteuren der verhassten Klubs Real Madrid und FC Barcelona. Zwar gibt es Ausnahmen (Die U-20-Weltmeister von 1999 Xavi und Casillas sind gut befreundet), doch überwiegend gilt das Team als Zweckgemeinschaft. Sergio Ramos sagte kürzlich über Piqué (immerhin sein Partner in der Innenverteidigung), dass er mit ihm "kein Bier trinken würde" , aber gemeinsam in der Selección zu spielen, sei "kein Problem". Begeisterung hört sich zweifelsfrei anders an. Piqué selbst räumt ein: "Die Stimmung in der Nationalmannschaft ist gut, aber wir sind eben nicht alle Freunde." In den vergangenen Turnieren wussten die Spanier allerdings äußerst erfolgreich zu kaschieren, dass sie keine gesellige Bierrunde zusammenkriegen.

Als großer Schwachpunkt - und das war vor allem beim EM-Turnier 2012 der Fall - gilt die Position des Mittelstürmers. Bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz glänzte noch Fernando Torres, und das nicht nur beim Finale, in dem er das Siegtor der Spanier gegen Deutschland erzielte. Doch mit seinem Formtief und der Verletzungsanfälligkeit von David Villa tat sich auch in der Nationalelf ein Loch auf. Egal ob Llorente, Negredo, Soldado oder das Experiment mit Fabregas als "falscher Neun" bei der EM 2012 - so recht wusste keine Alternative zu Torres zu überzeugen.

Abhilfe soll nun Diego Costa von Atletico Madrid schaffen. Der gebürtige Brasilianer, der auch einen spanischen Pass besitzt, hat zwar schon für sein Heimatland gespielt, allerdings nur in Testpartien. Er steht bei Spanien im Wort, bei der WM für seine Wahlheimat aufzulaufen. Das Problem: Costa müsste erst in die Mannschaft integriert werden. Verletzungsbedingt verpasste er die jüngsten November-Freundschaftsspiele in Äquatorial-Guinea (2:1) und in Südafrika (0:1). Wird's also doch wieder Torres? Überraschend wäre es nicht. Del Bosque gilt in Sachen Aufstellung als Traditionalist, die Alteingesessenen genießen sein Vertrauen. Für die Spieler in der zweiten Reihe ist das teilweise frustrierend.

Die Qualifikation

WM-Qualifikation

Spanien buchte das Ticket an den Zuckerhut als Erster der Gruppe I - doch ganz reibungslos ging die Qualifikation nicht über die Bühne. Im Hinspiel gegen den Hauptkonkurrenten Frankreich reichte es in Madrid nur zu einem 1:1, Giroud traf in der 94. Minute noch zum Ausgleich. Nur ein Ausrutscher? Mitnichten, wie sich beim nächsten Quali-Spiel herausstellen sollte. Fünf Monate später musste sich Spanien in Gijon wieder mit einem 1:1 begnügen. Diesmal aber nicht gegen eine Fußballgröße wie Frankreich, sondern gegen den krassen Außenseiter Finnland.

So stand der Weltmeister Ende März vor einer Art Endspiel um den Gruppensieg - und einmal mehr war das Team - sieht man von der Finalniederlage im Confed-Cup gegen Brasilien (0:3) im Juli 2013 ab - in einem entscheidenden Spiel hellwach. In Paris setzten sich die Iberer dank eines Tores von Pedro mit 1:0 durch und übernahmen wieder die Tabellenführung. Noch einen Ausrutscher leisteten sich Xavi & Co. nicht mehr. Die restlichen drei Spiele gewannen die Iberer, wenn auch nicht gerade mit Glanz und Gloria.

Die Stimmen

"Karacho, was für ein Start!", titelte die "AS" nach der WM-Auslosung. In der Tat: Spanien beginnt die WM in Brasilien, wie sie die alte beendet hat. Die Niederlande sinnt auf Revanche für das verlorene WM-Endspiel von 2010, als Iniestas Tor in der Verlängerung Robben und Kollegen das Genick brach. Dazu bekam man in der Gruppe B Geheimfavorit Chile zugelost, lediglich Australien stellt eine Pflichtaufgabe dar. Von Losglück kann also wahrlich keine Rede sein - zumal schon im Achtelfinale ein Duell mit Gastgeber Brasilien winken könnte. Del Bosque wird trotzdem nicht bange. In gewohnter Bärenruhe kommentierte er: "Wir müssen einfach nur versuchen, die Gruppe zu gewinnen, mehr ist nicht zu tun. Ich würde nicht von einer Todesgruppe sprechen." Auch seine Schützlinge wirkten entspannt. "Das ist zum WM-Start eine begeisternde Gruppe. Vamos!", twitterte Iniesta. Sein Klubkollege Piqué schrieb: "Niemand hat uns gesagt, dass es einfach werden würde."

Das Selbstvertrauen der Nation fasste aber keiner besser zusammen als Fernando Alonso: Der zweimalige Formel-1-Weltmeister kommentierte kurz und trocken: "Pech haben die Niederländer gehabt."

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