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Der russische Nationalcoach Stanislav Cherchesov auf der Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel der WM 2018 gegen Saudi-Arabien: "Die Spieler dürfen Schuhe putzen" - Ignashevich wird beginnen

Russland: Iganshevich hat wohl Einsatzgarantie

Cherchesov: "Die Spieler dürfen Schuhe putzen"

Der russische Nationaltrainer Stanislav Cherchesov auf der Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel.

Der russische Nationaltrainer Stanislav Cherchesov auf der Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel. picture alliance

Aus Moskau berichtet Jörg Wolfrum

Ein Tag, fünf Stunden und 45 Minuten waren es noch bis zum Anpfiff, dann wurde es zunächst geheim - und dann skurril. Für das Abschlusstraining des WM-Gastgebers war zunächst der Innenraum des Luschniki-Stadions geräumt worden, niemand sollte Einblicke erhalten. Zumindest nicht sportliche vor dem Eröffnungsspiel Russlands am Donnerstag gegen Saudi-Arabien (17 Uhr, LIVE! auf kicker.de).

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Es wirkte aber auch ein wenig, als ob da nur die große Bühne geräumt werden sollte, um alle Konzentration auf eine Art Stand-up-Comedy zu lenken, dass sich eine Stunde später im Bauch des Stadions abspielte: der ehemalige Dresden-Profi Cherchesov als polternder Komödiant, eine Mischung aus russischem Bär und gutherzigem Mütterchen Russland, ein Zeremonienmeister der ersten Güte. "Was ist das für ein Lärm, bin das ich?", scherzte der 54-Jährige, als es plötzlich krachte im Lautsprecher. "Ich hoffe, ich erhalte keinen Elektroschock. Die Mikrofone halten offenbar den Druck nicht aus. Ich schon." Cherchesov wie er leibt und lebt, so kennt man ihn, den Meister der schrulligen Unterhaltung. Gerade wollte der Nationaltrainer wieder ansetzen, kam noch zu einem: "Ich bekomme Nachrichten aus der ganzen Welt...", dann machte es erneut krax - und das Mikrofon war weg - Cherchesov hatte es geschafft, wenn man so will.

Es war ein langer Weg. Aber wenn wir Russen mal auf der Straße sind mit unserem Auto, dann geben wir Gas. Wir reden nicht, wir handeln.

Stanislav Cherchesov

Kurze Pause in der Aufführung, dann war die Technik wieder in Gang und der Stand-Up-Komödiant machte weiter: Viele hätten ihm "kein Glück, aber Erfolg gewünscht". Das sei wichtig. Denn "im Russischen ist das Wort Erfolg männlich, Glück hingegen weiblich. Vielleicht deshalb." Das Land sei vielleicht ja voller Machos. Die aber hätten gut gearbeitet in der Vorbereitung – zumindest was das Turnier angeht, so Cherchesov. Kritik an organisatorischen Mängeln wollte er daher nicht hören, einen verbalen Gegentreffer ließ der Ex-Keeper nicht zu. Vielmehr wies er einen Fragesteller aus Dänemark zurecht: "Es war ein langer Weg. Aber wenn wir Russen mal auf der Straße sind mit unserem Auto, dann geben wir Gas. Wir reden nicht, wir handeln." Wie er mit Blick auf das Auftaktmatch gegen Saudi-Arabien handeln wolle, gab sich der bis dato so offenherzige ehemalige Meisterspieler des FC Tirol Innsbruck und Meistertrainer von Legia Warschau indes bedeckt.

Nach Kokorin-Ausfall - Iganshevich hat Startplatz wohl sicher

Sergey Ignashevich

Wird gegen Saudi-Arabien beginnen: Sergey Ignashevich. imago

Natürlich täten WM-Ausfälle wie der von Zenit-Stürmer Alexandr Kokorin, der mit einem Kreuzbandriss ausfällt, weh. Aber Cherchesov war nicht gekommen, um vor dem Start Negatives zu verbreiten: Man habe doch den 38-jährigen Leader Sergey Ignashevich. Der ist zwar Abwehrspieler, hat von der Position her also nichts mit Kokorin gemein. Aber, so Cherchesov: "Er ist unser Anführer auf und neben dem Platz." Dass er in der Anfangsformation steht, gilt als ausgemacht. Dass die Gruppe A mit Saudi-Arabien, Ägypten und Uruguay die leichteste sei, so die Hoffnung vieler Fans? Auch da verlies den sonst so angriffslustigen Coach die Power: "Unsere Spieler würden das nie sagen. Das erste Spiel ist wichtig."

Cherchesov selbst war am Mittwoch anderes wichtig, zumindest vor Publikum. Profi ist er ja durch und durch, auch in der Vermarktung, sei es was die eigene Person angeht, die Nationalelf oder eben ganz Russland: "Wir wollen zeigen, dass wir das Recht haben, so ein großes Turnier zu organisieren. Alle Stadien sind fertig, ich habe alle besucht. Und wir wollen zeigen, dass die Russen gastfreundlich sind." Die viele Kritik von Fans und Medien nach zuletzt sieben Spielen ohne Sieg? "Meine Job-Beschreibung ist nun mal so. Trainer müssen Kritik aushalten. Ich lese das nicht. Kritik gibt es nun mal in der Welt. Vielleicht haben manche zu wenig kritisiert, andere zu viel. Wir trainieren." Sagte es und sendete mit seinen Augen Blitze in die Runde. Nur, um dann doch gleich wieder zu schmunzeln, schließlich ist er dieser Tage ja so etwas wie der Botschafter seines Landes: "Auch Lob ist eine Form von Kritik, eine positive."

Cherchesovs Ablenkprogramm: "Mit Billard, Poker oder Schuhe putzen."

Die Spieler dürften sich nach der Teamsitzung am Mittwochabend daher ablenken: "Mit Billard, Poker oder Schuhe putzen." Er als Chef habe in für die letzten Stunden eine Agenda aufgestellt, aber die lasse durchaus Freiräume, ergo: Die Jungs "dürfen auch sprechen. Erst halte ich einen Monolog, wissen Sie, was das ist?" Man bekommt in diesen Minuten eine Ahnung davon im Bauch des Luschniki... "Aber dann darf es durchaus zum Monolog kommen." Zuckerbrot und Peitsche a la Cherchesov.

Gefragt wurde der Coach dann noch, ob er denn überhaupt nicht nervös sei, so als Nationaltrainer des Gastgebers, eines Riesenreiches zudem? "Wer fragt mich das, wie ist ihr Name? James Bond?", ulkte der Ex-Profi. "Nein, nervös bin ich nicht, aber das hier ist eine WM, keine Routine." Die WM - auch für einen wie Cherchesov etwas Außergewöhnliches, auch wenn er es sich nicht anmerken lässt. Schließlich hat er nur 2002 als dritter Keeper ohne Einsatz am Turnier in Japan und Südkorea teilgenommen.

Das Kalauern aber, das hat er intus. Was er davon halte, dass ein russischer Comedian die Fans aufgerufen habe mit einem Schnauzbart wie er, der Nationaltrainer, zum Eröffnungsspiel zu kommen? "Nichts davon gehört. Ich lebe wohl in einer anderen Welt. Aber wer einen Moustache hat, ist herzlich eingeladen." Sagte es und ging. Nicht ohne kurz vor seinem Publikum stehen zu bleiben und die Arme zum Gruß auszubreiten. Ganz wie es sich gehört für einen Kabarettisten nach der Aufführung.

Jörg Wolfrum

Jörg Wolfrum

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