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Slapstick-Freistoß: Warum Häme unangebracht ist

Das Schattendasein indirekter Freistöße

Slapstick-Freistoß: Warum Häme unangebracht ist

Gewolltes Stolpern: Thomas Müller und Toni Kroos misslingt ein Freistoßtrick gegen Algerien.

Gewolltes Stolpern: Thomas Müller und Toni Kroos misslingt ein Freistoßtrick gegen Algerien. picture alliance

In Brasilien war es ein TV-Hit, BBC-Chefzyniker Gary Lineker sprach vom "schlechtesten Freistoß in der Geschichte der Weltmeisterschaften". Und auch so mancher deutscher Anhänger konnte nur lachen, als Thomas Müller in der 88. Minute des WM-Achtelfinals gegen Algerien (2:1 n.V.) beim Anlauf hinfiel und Toni Kroos den ruhenden Ball in die Abwehrmauer lupfte. Die erste Reaktion weltweit: Was war das denn bitte?

Nun, offenbar war es ein eigens einstudierter Freistoßtrick, der auf besonders peinliche Weise misslang. "Im Training hat es immer geklappt", beteuerte Kroos hinterher. "Wenn es aber nicht funktioniert, sieht das scheiße aus." Besonders für Müller, der augenscheinlich absichtlich "gestolpert" war, um den Gegner zu irritieren. "Ich fand es eine gute Variante, das war schon bewusst so."

50 WM-Tore nach Standards, nur zwei nach direkten Freistößen

Dass beide Nationalspieler ihre zunächst merkwürdig anmutende Freistoßidee verteidigten, mag mancher befremdlich finden, die Zahlen bei dieser WM geben ihnen jedoch recht. Sie sagen: Standardsituationen sind extrem wichtig, nach direkten Freistößen fallen jedoch kaum Tore.

50 der bisher 154 WM-Tore entsprangen Ecken, Freistößen, Einwürfen oder Elfmetern, das sind gut 32 Prozent. 2010 in Südafrika lag der Anteil bei 34, 2006 in Deutschland bei 39 Prozent. Will man also Weltmeister werden, gehört der richtige Umgang mit ruhenden Bällen dazu. Nach Freistößen landete der Ball zwar zwölfmal im Netz, nur zweimal jedoch verwandelte der Schütze direkt: Blerim Dzemaili beim Schweizer 2:5 gegen Frankreich und Lionel Messi beim 3:2 Argentiniens gegen Nigeria.

Die Teams mit den meisten Standard-Toren bei der WM 2014

Nation Tore gesamt Standards Anteil
Niederlande 12 5 42 Prozent
Frankreich 10 5 50 Prozent
Kolumbien 11 4 36 Prozent
Deutschland 9 4 44 Prozent

Direkte Freistöße sind für das gegnerische Team zunächst einmal dankbar: Sind Torhüter und Mauer gut positioniert, ist die Gefahr eines Gegentores überschaubar. Selbst ein Cristiano Ronaldo geht trotz fantastischer Schusstechnik regelmäßig leer aus, in Brasilien traf er einmal sogar die Ein-Mann-Mauer Philipp Lahm.

Indirekte Freistöße führen dagegen auch bei der WM ein Schattendasein. Dabei hat eine vorbereitete angreifende Mannschaft den riesigen Vorteil zu wissen, was passiert. Zwei Pässe, zwei Laufwege - mehr muss im Idealfall nicht eingeübt werden, und trotzdem ist der Gegner düpiert. Eine Sportart wie Hockey, die ständig neue Ecken-Varianten hervorbringt, macht es den Fußballern regelmäßig vor.

Sinnbildlich: Shaqiri ideenlos, Bradley mit Witz

In Brasilien waren zwei Szenen in den beiden Achtelfinals am Dienstag sinnbildlich. Auf der einen Seite Xherdan Shaqiri, der sich beim Schweizer Aus gegen Argentinien (0:1 n.V.) in der Nachspielzeit der Verlängerung aus 17 Metern zum Freistoß-Schlenzer entschied, was ZDF-Experte Oliver Kahn mangels Torentfernung zu Recht kritisierte. Auf der anderen Seite Michael Bradley, der beim Aus der USA gegen Belgien (1:2 n.V.) in der 114. Minute einen 25-Meter-Freistoß an der Mauer vorbei passte - und einen Querpass später hatte Clint Dempsey die große Chance zum Ausgleich.

Dempsey scheiterte allein vor Keeper Thibaut Courtois, das Ergebnis war letztlich das gleiche wie bei Shaqiri. Und doch hatten die USA mit simplen Mitteln die gesamte belgische Hintermannschaft überrascht. Argentiniens Mauer musste nur hochspringen.

Die DFB-Elf legte in der Ära Joachim Löw lange keinen großen Wert auf das Einstudieren neuer Eckball- oder Freistoßvarianten, der Bundestrainer wettete vor der WM wie vor jedem großen Turnier, dass seiner Mannschaft kein Standardtor gelingen wird. Nach eigener Aussage war es Assistent Hansi Flick, der Löw immer wieder an die Bedeutung der ruhenden Bälle erinnerte - und belohnt wurde. Vier der sieben deutschen Vorrunden-Tore fielen nach Standards: drei Ecken, ein Elfer. Um im entscheidenden Moment auch in die Freistoß-Trickkiste zu greifen, braucht es mehr Mut. Mut, den Müller und Kroos gegen Algerien hatten.