Bundesliga

"Wir schreien nicht: Herr Hopp, wir brauchen Millionen!"

Hoffenheim: Stanislawski im kicker-Interview

"Wir schreien nicht: Herr Hopp, wir brauchen Millionen!"

"Auch in dieser Scheißphase sage ich: Hey lach mal!": Hoffenheim-Coach Holger Stanislawski.

"Auch in dieser Scheißphase sage ich: Hey lach mal!": Hoffenheim-Coach Holger Stanislawski. picture alliance

kicker: Herr Stanislawski, welche Frage sollte man einem Trainer, der nur einmal in neun Spielen gewonnen hat, nicht stellen?

Holger Stanislawski (42): Hat Ihre Mannschaft die Qualität nicht?

kicker: Weil...

Stanislawski: ...sie das Gegenteil doch am Anfang bewiesen hat. Was jetzt läuft, ist eine Phase.

kicker: Eine Phase über zwei Monate. Das kann ja nicht Ihr Anspruch sein.

Stanislawski: Stimmt, aber ich würde deutlich unruhiger sein, wenn ich wüsste, dass wir abgeschlachtet werden.

kicker: Und was sagt es über Ihre Mannschaft aus, dass sie immer verliert, wenn sie in Rückstand gerät?

Stanislawski: Das heißt nicht, dass die Jungs einen schlechten Charakter haben. Sie verlieren das Selbstvertrauen und die Organisation, wählen das falsche Mittel, spielen als Mannschaft nicht mehr aggressiv gegen den Ball.

Einmal ist es die Schallaffäre, ein andermal spielt Robben nicht.

Stanislawski über die mediale Würdigung des Siegs gegen Dortmund und des 0:0 gegen die Bayern

kicker: War es das falsche Signal, als Sie nach dem 1:0 über Dortmund sagten, Ergebnisse seien am Anfang nicht so wichtig?

Stanislawski: Wir freuen uns durchaus, in der Kabine, die ganze Woche. Aber wir müssen eben das große Ganze im Blick haben.

kicker: Haben Sie nach den Siegen gegen Mainz und Wolfsburg nicht zu sehr kritisiert und dem Team so Selbstvertrauen genommen?

Stanislawski: Nein, das wird uns nur genommen, wenn die Siege gegen Topteams oder ein 0:0 gegen Bayern nicht gewürdigt werden. Einmal ist es die Schallaffäre, ein andermal spielt Robben nicht.

kicker: Wenn Sie sagen, die Qualität ist da, müssen Sie ja verrückt werden, wenn das Team sie nicht zeigt.

Stanislawski: Ja, unser Problem ist, dass die einzige Konstante die Schwankungen sind. Bei jedem Einzelnen und als Mannschaft. Da zahlen wir auch Lehrgeld. Aber wir wollen gegensteuern. Jetzt noch mindestens drei Punkte in der Bundesliga, dazu im Pokal gegen Augsburg weiterkommen, dann beschenken wir uns doch noch 2011.

kicker: Müssen Sie jetzt nach dem Gesetz des antizyklischen Handelns nur noch streicheln und vor Nürnberg für gute Stimmung sorgen, obwohl Ihnen das zuwider ist?

Stanislawski: Nein, ich bin da gerade raus, folge keinem Trend. Wir müssen die Jungs einfach immer wieder antreiben, das ist mühsam.

Das sind keine arroganten Arschlöcher, das sind gute Jungs.

Stanislawski über das Image seiner Mannschaft

kicker: Das muss doch von der Mannschaft selbst mal kommen. Lässt sie sich nur berieseln?

Stanislawski: Nein. Sie müssen wieder dahinkommen, die Sachen konsequent beizubehalten, die wir ihnen mitgeben. Da sind sie wie kleine Kinder. Sie vergessen mal ein Nein, eine Anweisung.

kicker: Ärgert es Sie dann, dass Sie der Mannschaft nicht dauerhaft Leben einhauchen konnten?

Stanislawski: Genau. Dauerhaft nicht.

kicker: Und dann wirken Sie persönlich beleidigt.

Stanislawski: Ich finde es schade. Weil ich weiß, was da schlummert.

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kicker: Die Mannschaft macht nach Niederlagen nicht den Eindruck, als würde es sie so wurmen wie Sie.

Stanislawski: Es mag so wirken. Aber das sind keine arroganten Arschlöcher, das sind gute Jungs. Die wurden jahrelang unter einer Glasglocke gehalten. Auch da brechen wir gerade Türen auf.

kicker: Ist das schwierig?

Stanislawski: Es braucht Zeit. Und auch in dieser Scheißphase jetzt sage ich zu den jungen Spielern: "Hey, lach mal! Du bist 18, 19 Jahre." Dann sagt er: "Aber wir haben doch verloren." Dann sag ich: "Ja, und? Was passiert denn Schlimmes? Es ist kein Weltkrieg, keine Hungersnot. Du musst auch Freude haben, an dem was du tust."

Ryan Babel (1899 Hoffenheim)

Sorgenkind in Hoffenheim: Ryan Babel. picture alliance

kicker: Ist das Verhältnis zwischen Babel und Starke nach dessen Kritik am Stürmer noch zu kitten?

Stanislawski: Das sind starke Charaktere. Die können damit umgehen.

kicker: Geht es nach dem Abstieg mit St. Pauli und dieser Negativserie mit 1899 auch um Ihren persönlichen Ruf als Trainer?

Stanislawski: Nein. Ich weiß, was ich kann, was ich leiste. Erst wenn ich merke, dass ich nicht genug investiere, dann mache ich mir Gedanken.

kicker: Wo sehen Sie Fortschritte bei der TSG, seit Sie hier sind?

Stanislawski: Voriges Jahr ist Hoffenheim Elfter geworden, jetzt stehen wir auf Platz zehn. Hurra, ein Platz besser! Aber das ist für'n Arsch, damit geben wir uns sicher nicht zufrieden. Viel wichtiger ist, dass der Verein in eine komplett neue Richtung dreht.

kicker: In eine mittelmäßigere?

Stanislawski: Es soll finanziell nach unten, aber sportlich nach oben gehen, dazu sollen noch Jugendspieler eingebaut werden. Darauf arbeiten wir hin, und das braucht eben seine Zeit. Nur, weil wir jetzt ein paar Spiele nicht gewonnen haben, schreien wir nicht: Herr Hopp, wir brauchen Millionen!

kicker: Was ist aktuell das Hauptproblem?

Stanislawski: Wir brauchen eine neue Mentalität auf dem Platz. Es fehlt keineswegs am Willen. Die Jungs müssen die Gier vermitteln durch Fußballspielen, aber gleichzeitig auch durch Körpersprache, durch verbales Mitmachen.

Ryan muss sich ändern, er muss viel mehr Einfluss nehmen.

Stanislawski über Ryan Babel

kicker: Wirken die vielen Wechsel da wirklich fördernd?

Stanislawski: Das ist kein Breiten-, sondern Profisport, die aktuell Besten spielen. Aber es stimmt schon, wir sind derzeit in der schwierigen Position, dass zu viele Spieler auf einem sehr ähnlichen Niveau sind.

kicker: Von Ryan Babel schwärmten Sie im Sommer besonders. Haben Sie ihn überschätzt?

Stanislawski: Nein, ich bin weiterhin von seinen Qualitäten überzeugt. Aber Ryan muss sich ändern, er muss viel mehr Einfluss nehmen. Es reicht mir nicht, dass er ein guter Fußballer ist, und auch das leider viel zu selten. Er fängt jetzt allerdings an sich zu öffnen.

kicker: Auch sonst wirkt das Team viel zu brav.

Stanislawski: Wir bräuchten dringend auf dem Platz zwei, drei Spieler, die die anderen in entscheidenden Situationen auch mal führen, die beruhigen oder pushen. Aber ich sehe sie bislang nicht.

kicker: Wird es im Winter neue Spieler geben?

Stanislawski: Klares Nein. Aber wir werden den Kader überarbeiten.

kicker: Das heißt, es gibt Abgänge?

Stanislawski: Das kann passieren.

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kicker: Läuft für Chinedu Obasi und Roberto Firmino die letzte Chance?

Stanislawski: Ich weiß, dass sie ihre Lektion verstanden haben und sich wieder anbieten. Ich bin nicht nachtragend, sondern konsequent. Aber irgendwann ist die Tür zu.

kicker: Täuscht der Eindruck, oder ist Ihr Verhältnis zu Manager Ernst Tanner ein wenig abgekühlt?

Stanislawski: Der täuscht. Natürlich diskutieren wir hinter verschlossenen Türen, aber es gibt nur eine Richtung, in die gehen wir beide.

kicker: Wie sehr nervt es Sie, wenn Sie wie in Leverkusen sehen müssen, dass nur ein Häuflein Fans im Gästeblock steht?

Stanislawski: Das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Auch daheim die Pfiffe gegen Freiburg waren richtig krass. Derzeit habe ich noch zu viel Arbeit mit der Mannschaft, aber bald will ich mich auch mal dieser Baustelle widmen.

Interveiw: Thomas Böker, Martin Gruener