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Die Nordlichter überstrahlen die Liga

1982/83 - "Ruuudi" holt sich die Kanone

Die Nordlichter überstrahlen die Liga

Bester Torschütze, bester Fußballer: kicker-Herausgeber Karl-Heinz Heimann ehrt Rudi Völler.

Bester Torschütze, bester Fußballer: kicker-Herausgeber Karl-Heinz Heimann ehrt Rudi Völler. imago

Wer will diesen HSV stoppen? Nach zwei Vizemeisterschaften in Folge, in denen Hamburg den Bayern den Vortritt lassen musste, steht der HSV im Sommer 1982 als Meister über allem. Mit Kopfball-Ungeheuer Horst Hrubesch gehen die Hanseaten auch in die neue Saison. Doch der Abschied des Hünen naht: Nach der Saison wird Mittelstürmer Hrubesch sein Glück in Belgien bei Standard Lüttich versuchen. Die Liga verspricht spannend zu werden. Der VfB Stuttgart und natürlich die Bayern werden als die größten Verfolger des Meisters gehandelt. Wie Kollege Happel setzt auch Otto Rehhagel mit seinen Bremern auf Offensive. Das Drehbuch 82/83 hält, was die Favoriten vorgeben.

Die Bananen-Flanken von Manni Kaltz sind gefürchtet, Hrubesch verwertet sie unnachahmlich. Happel liebt den Offensivfußball und versteckt sich nach dem Meistertitel 1982 auch in der neuen Saison nicht. Neben Hrubesch stürmt der Däne Lars Bastrup. Uli Stein im Tor, Ditmar Jakobs in der Defensive, Felix Magath im Mittelfeld: Der HSV ist gerüstet für die Mission Titelverteidigung. Doch die Rothosen kommen nur mühsam aus den Startlöchern: Trotz zweimaliger Führung reicht es gegen den 1. FC Nürnberg zum Saisonstart nur zu einem 2:2. Vier Tage später empfängt der Meister zum Nord-Duell Rehhagels Bremer. Wieder nur Unentschieden. Bereits nach fünf Minuten liegt Hamburg zurück. Für die Werderaner trifft ihr 22-jähriger Neuzugang Rudi Völler.

Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Hamburger SV Hamburger SV
52
2
Werder Bremen Werder Bremen
52
3
VfB Stuttgart VfB Stuttgart
48

Die Bremer kommen nicht nur besser in die neue Spielzeit, sondern reichlich kurios. Zum Auftakt am 21. August gegen die Bayern präsentieren diese ihren neuen Keeper. Drei Jahre nach der Ära Sepp Maier und den Übergangslösungen Walter Junghans und Manfred Müller soll der belgische Nationaltorwart Jean-Marie Pfaff an glanzvolle Zeiten anknüpfen. Knapp drei Millionen Mark lässt sich der FC Bayern den neuen Schlussmann kosten. Es läuft die 44. Minute. Der lange Bremer Uwe Reinders geht raus zum Einwurf, wenige Meter neben der Eckfahne. Bayern-Torwart Pfaff dirigiert seine Vorderleute, Bremens Norbert Meier kommt vom Sechzehner rausgelaufen, Reinders erinnert sich: "Es war immer angedacht, dass ich den Ball an den Fünfmeterraum werfe." Dort sollte Völler verlängern und "zwei, drei Mann von hinten rein laufen".

Reinders wirft ein - und Pfaffs Debüt misslingt

HSV vor Werder: Anhaltendes Hoch im Norden

Reinders nimmt Anlauf und wuchtet die Kugel ins Spielfeld. Horsmann, Meier, Siegmann, Völler, Augenthaler - über Freund und Feind segelt der Ball in die Hände von Pfaff, der zwei Meter vor dem Tor hochspringt. Doch der Bayern-Keeper lässt das Spielgerät durch die Hände ins Tor gleiten. Einen "Unfall" wird er es später nennen. "Ich wollte den Ball fangen, doch dann bekam ich einen leichten Schubser von Klaus Augenthaler." Hätte er den Ball nicht berührt, hätte es Abstoß gegeben. So wird dies als Eigentor des Torwarts gezählt. Es bleibt der einzige Treffer des Spiels, doch Reinders ärgert sich später, dass dies nicht mit zum Tor des Monats aufgenommen wird. Die Erklärung des schlagfertigen Bremers: "Die Bayern werden irgendwie interveniert haben. Die wollten nicht, dass ihr neuer Torwart gleich zum Trottel gemacht wird." FCB-Coach Pal Csernai ist weniger "amused" über das kuriose Eigentor seines Keepers: "So etwas ist ja einfach lächerlich!"

Vor dem Rückspiel gegen Bremen am 19. Spieltag steht der HSV mit drei Punkten Vorsprung vor den Bayern an der Tabellenspitze. Bremen lauert punktgleich mit Stuttgart und Köln vier Punkte dahinter. 40.000 wollen im Weserstadion sehen, ob Werder ein weiteres Mal der Top-Elf aus Hamburg Paroli bieten kann. Mit einem Doppelschlag kurz vor der Halbzeit durch Völler (43.) und Neubarth (45.) geht die Rehhagel-Elf in Führung. Nach Bastrups Anschlusstreffer (49.) kann Möhlmann (65.) den erneuten Zwei-Tore-Vorsprung herstellen, Jakobs Treffer (87.) kommt zu spät. Mit dem 3:2-Sieg kommt Werder bis auf zwei Punkte an den HSV heran. Nach der Niederlage gegen Bielefeld (0:2), den Remis gegen Bochum, Bayern und Gladbach (alle 1:1) sowie Kaiserslautern (2:2) hat der HSV seinen Vorsprung verspielt, Bremen wartet punktgleich am letzten Spieltag auf das Finale furioso.

Zehn Tage vor dem Endspiel um die Deutsche Meisterschaft schlägt die große Stunde der Happel-Schützlinge auf internationaler Bühne. In Athen spielt der HSV gegen den italienischen Meister Juventus Turin. Vor 73.500 Zuschauern jubelt Felix Magath in der neunten Minute nach seinem Führungstor. Es bleibt beim 1:0: Der Deutsche Meister darf sich künftig auch Europapokal-Sieger nennen. "Jetzt müsste ich meine Schuhe in die Ecke stellen", ist HSV-Mittelfeldspieler Bernd Wehmeyer selig. Doch noch stehen die letzten beiden Bundesliga-Partien gegen Dortmund und Schalke an. Trotz "einiger Feiern", wie Magath bekennt, "waren wir locker in die letzten Spiele gegangen". Nur drei Tage nach dem Riesencoup (Magath) fegt der HSV Dortmund 5:0 vom Platz. Trotz des 3:2-Siegs der Bremer gegen den VfL Bochum am letzten Spieltag lässt es der HSV nach dem Schlusspfiff gegen Schalke (2:1) krachen. Zur Meisterfeier in Hamburg kommt die Mannschaft zu spät: Auf dem Heimflug von Gelsenkirchen bittet die Mannschaft den Piloten eine "Ehrenrunde" über das Bremer Weserstadion zu drehen.

Der Torschützenkönig

Ruuuuuuuudi! Talent Rudi Völler debütiert als 17-Jähriger in der Zweiten Bundesliga bei den Offenbacher Kickers. Nach zwei Saisons bei den Münchner Löwen, in denen der Nachwuchs-Stürmer 46 Tore in 70 Spielen erzielt, wechselt er als Nachfolger Erwin Kosteddes 1982 an die Weser. Vor Karl Allgöwer (VfB Stuttgart, 21 Tore) und Atli Edvaldsson (Fortuna Düsseldorf, 21) sichert sich der 23-jährige Völler die Torjäger-Kanone in seinem ersten Jahr in Bremen mit 23 Treffern – fünf Tore mehr als Sturmtank und Vorjahres-Sieger Horst Hrubesch.

Was sonst noch geschah

Hoch gehandelt vor der Saison leidet der VfB Stuttgart unter der Dauerfehde zwischen Trainer Helmut Benthaus und seinem Star Didier Six. Die Schwaben verbessern sich dennoch von Rang neun ein Jahr zuvor auf Platz drei. In die Schlagzeilen gerät der Tod des Braunschweiger Spielers Lutz Eigendorf. Der DDR-Flüchtling stirbt im März 1983 bei einem Verkehrsunfall - unter "Mithilfe" der Stasi, wie sich später herausstellt. Aufsteiger Hertha BSC steigt sofort wieder ab. Mit-Aufsteiger Schalke 04 scheitert in der Relegation an Bayer Uerdingen (1:3, 1:1), der Karlsruher Sportclub reiht sich als Vorletzter ebenso zu den Absteigern ein.