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Das Ende der Bayern-Vorherrschaft: Bremen huldigt seinem König

1987/88 - Klinsmann knipst in Serie

Das Ende der Bayern-Vorherrschaft: Bremen huldigt seinem König

Legte 1988 das Image des ewigen Zweiten ab: Werders Trainerikone Otto Rehhagel.

Legte 1988 das Image des ewigen Zweiten ab: Werders Trainerikone Otto Rehhagel. imago

In der Jubiläumssaison 1987/88 – die Bundesliga trug ihre 25. Spielzeit aus – machten die Hanseaten nicht auf den letzten Metern schlapp. Im Gegenteil: Drei Spieltage vor Abschluss der 34 Runden belohnte Karl-Heinz Riedle die grün-weiße Beharrlichkeit im Meisterrennen. 70 Minuten waren im Frankfurter Waldstadion absolviert, als der Angreifer nach einer Herrmann-Ecke seine Kopfballstärke siegbringend einsetzte. Rehhagels Image als "ewiger Zweiter" war wenig später Vergangenheit, Werders mehrwöchige Meisterparty allgegenwärtig.

Vor der Saison hatte – im Gegensatz zu den Vorjahren – selbst im Norden kaum jemand damit gerechnet, dass Bremen den FC Bayern vom Fußball-Thron stoßen würde. "Ich plane das Team der 90er Jahre", hatte Rehhagel, seit 1981 an der Weser im Amt, den personellen Umbruch im Sommer 1987 kommentiert. Die Karriere von Torwart-Idol Dieter Burdenski klang aus. Abwehrchef Bruno Pezzey war zurück nach Österreich, Goalgetter Rudi Völler nach Italien gewechselt.

Bundesliga - Tabelle
Pl. Verein Punkte
1
Werder Bremen Werder Bremen
52
2
Bayern München Bayern München
48
3
1. FC Köln 1. FC Köln
48

Doch die Nachfolger der "großen Drei" machten nicht erst perspektivisch, sondern unmittelbar auf sich aufmerksam. Angefangen von Oliver Reck, der Burdenskis Job zwischen den Pfosten übernahm, trugen sie dazu bei, dass Werder eine Wohlfühl-Saison mit vier Punkten Vorsprung vor dem FCB auf Platz eins beendete.

Rehhagels "kontrollierte Offensive"

Am 6. Spieltag hatten die Bremer erstmals die Tabellenführung übernommen. Im Saisonverlauf sollten sie diese nur zweimal abgeben. Die Grundlage für den Erfolg bildete das, was Trainerfuchs Rehhagel unter dem Begriff "kontrollierte Offensive" in die Fußballsprache eingeführt hatte. Aufmerksame Defensivarbeit, eine bessere Balance zwischen den Mannschaftsteilen sowie entsprechendes Fachpersonal (Bratseth, Sauer, Schaaf, Otten und Neuzugang Borowka) sorgten dafür, dass Werder mit nur 22 Gegentoren in dieser Kategorie Spitze war. Mit Völler-Erbe Riedle hatten die Norddeutschen zudem einen echten Volltreffer gelandet. Der sprunggewaltige Angreifer, der von Blau Weiß 90 Berlin zum SV Werder gestoßen war, zeichnete für 18 der 42 Bremer Torerfolge verantwortlich. Gleich fünfmal schnürte Riedle, der mit seinen Offensivkollegen (Burgsmüller, Neubarth, Ordenewitz) blendend harmonierte, einen Doppelpack. So auch am 29. Spieltag, als die Bayern im Weserstadion zu Gast waren und mit einer 1:3-Schlappe im Gepäck die Heimreise antraten. Schon zu diesem Zeitpunkt war deutlich geworden, was Mirko Votava den Medienvertretern in Frankfurt in die Notizblöcke notierte: "Wir haben die Vorherrschaft der Bayern gebrochen", stellte der Kapitän der Meisterelf ebenso glücklich wie wahrheitsgetreu fest. Unter Votavas gekröntem Chef zeigte sich Werder auch im Anschluss titelhungrig. Als König Otto nach 14 Jahren Regentschaft Bremen im Jahr 1995 verließ, hatte er seiner Bilanz eine Reihe weiterer Erfolge hinzugefügt. 1992 wurde der Klub, der den HSV als Nummer eins im Norden abgelöst hatte, Europapokalsieger der Pokalsieger. Im Jahr darauf schnappte sich sein Team erneut den Meistertitel. 1994 wie schon 1991 entschieden die Grün-Weißen das DFB-Pokal-Finale zu ihren Gunsten.

Der Torschützenkönig

Jürgen Klinsmann ließ es am häufigsten klingeln. 19 Treffer standen am Saisonende für den 24-jährigen Vollblutstürmer des VfB Stuttgart zu Buche. Am 3. Spieltag hatte "Klinsi" Fahrt aufgenommen. Zum 6:0-Triumph gegen Borussia Mönchengladbach steuerte der schwäbische Sonnyboy die Hälfte der Tore bei.

Da auch unter den folgenden 13 Klinsmann-Treffern echte Schmankerln waren, etwa ein spektakulärer Fallrückzieher beim 3:0 gegen die Bayern, blieb die Torschützen-Liste nicht die einzige Wertung, in der Deutschlands späterer Bundestrainer die Nase vorn hatte. Auch bei der Wahl zum Fußballer des Jahres 1988 behielt der Sympathieträger die Oberhand – mit gigantischem Vorsprung vor Lothar Matthäus (FC Bayern). Die Entscheidung in Sachen Torschützenkönig war im Vergleich dazu deutlich enger gefallen. Werders Riedle (18 Tore), Matthäus und Hannovers Siegfried Reich (jeweils 17) reihten sich knapp hinter Klinsmann ein.

Was sonst noch geschah

Neben Werder Bremen durfte sich auch Bayer Leverkusen 1988 als großer Gewinner fühlen. In der Liga nur Mittelmaß, feierte die von Erich Ribbeck trainierte Werkself auf europäischem Parkett einen Erfolg von fußballhistorischer Tragweite. Nach packenden, spannungsreichen Endspielen gegen Espanyol Barcelona war der Gewinn des UEFA-Pokals amtlich, die Trophäe zum vierten Mal bei einem deutschen Vertreter untergebracht.

Otto wird zum König, Klinsi ballert, Schalke trauert

Auch bei Leverkusens rheinischem Rivalen, dem 1. FC Köln, fiel der Saisonrückblick zufriedenstellend aus. Trainer-Aufsteiger Christoph Daum dirigierte die "Geißböcke" in der Liga auf Rang drei. Unterstützt wurde er dabei von Sportdirektor Udo Lattek. Zumindest solange, bis dieser eine Woche nach Karnevalsende seinen Rücktritt erklärte. Einen deutlichen Fortschritt stellte das Fußballjahr auch für den VfB Stuttgart und den 1. FC Nürnberg dar. In der Vorsaison im Mittelfeld zuhause, schafften der VfB und der Club mit erfrischend-unbekümmerten Auftritten die Qualifikation für den UEFA-Cup. Für den SV Waldhof Mannheim hielt eine turbulente Spielzeit einen glücklichen Ausgang bereit. Über die Relegation gegen den SV Darmstadt 98 - Klarheit schaffte erst das Elfmeterschießen - sicherten sich die Kurpfälzer die weitere Erstliga-Zugehörigkeit.

Zu den Verlierern zählten indes eine Reihe von Vereinen: In erster Linie galt dies für die vormals übermächtigen Bayern. Von 1984 an dreimal in Folge Deutscher Meister, hatten diese unter dem als Lattek-Nachfolger überforderten Jupp Heynckes letztlich keinen Titel vorzuweisen. Noch unerfreulicher gestaltete sich die Saison 1987/88 für den FC Schalke 04. Als Tabellenletzte stürzten die "Knappen" – begleitet vom FC Homburg - in die Zweitklassigkeit ab. Auch Torwart Harald Schumacher, nach seinen "Anpfiff"-Enthüllungen in Köln und der Nationalelf in Ungnade gefallen, konnte nicht verhindern, dass sich die "Königsblauen" zum dritten Mal aus Deutschlands Eliteklasse verabschiedeten und Gelsenkirchen in einem Meer aus Tränen versank.