Champions League

Märzensonne, kurze Wonne

Madrid dominiert die Bayern taktisch und mental

Märzensonne, kurze Wonne

"Was ist hier los?" Franck Ribery und die Bayern erlebten gegen Real Madrid ein historisches Debakel.

"Was ist hier los?" Franck Ribery und die Bayern erlebten gegen Real Madrid ein historisches Debakel. imago

Sie demonstrierten ihre physische Überlegenheit, erwischten den Gegner mit rascher Raumüberbrückung immer wieder auf dem falschen Fuß, spielten ihre Größe bei Standardsituationen aus: Darum endete dieses Champions-League-Halbfinalduell in München 0:4, 0:4 aus Sicht des FCB, des FC Barcelona.

Ein Jahr ist das her. Es war ein Meilenstein der Bayern auf dem Weg zum Triple, ohne Gnade schickten sie ihren Kontrahenten damals in den Tiki-Taka-Tod. Und diesmal? Es wäre albern, die Bayern, die am Dienstagabend das Halbfinalrückspiel gegen Real Madrid mit 0:4 verloren , auf eine Stufe mit jener Barça-Elf zu stellen, der im April 2013 in München die Grenzen aufgezeigt wurden. Und doch ähnelte sich die Stimmung der Verlierer an beiden Abenden: "Es war das Gefühl da, dass nichts funktioniert", sagte Pep Guardiola nach der höchsten Niederlage seiner Trainerlaufbahn.

Standard-Gegentore "Pech"? Hier irrt Rummenigge

Man hatte erwartet, dass es schwer werden würde für die Bayern gegen Real, dass ein Aus keine Sensation wäre; nicht aber, dass es mit zwei Standardsituationen besiegelt werden würde. Zweimal funktionierte die Raumdeckung der Gastgeber nicht, zweimal durfte Sergio Ramos mit Anlauf in den Ball springen. "Und dann stehst du erst mal da und schaust dich blöd an - was ist hier los?", gab Thomas Müller die Ratlosigkeit wieder .

Während sich Madrids Trainer Carlo Ancelotti über die einstudierten Varianten freute, sprach Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge von "Pech" . Das trifft sicherlich nicht zu, wenn man sich in einem Champions-League-Halbfinale zweimal derart düpieren lässt. Es war vielmehr Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung, eines allgemeinen Spannungsverlusts: Schon vor dem 0:1 war Real den Bayern überlegen - taktisch und mental.

Sie lassen einem beim Kontern immer Platz. Das mögen wir.

Gareth Bale über die Bayern

"Der Grund, warum wir verloren haben", analysierte Guardiola noch in der Nacht, "ist, dass wir keinen Ballbesitz hatten. Wir haben schlecht gespielt, das ist meine Verantwortung, da habe ich mich vertan." Die Madrilenen spielten reagierend wie im Hinspiel, wagten sich aber anfangs weiter nach vorne, störten früher. Und sobald Xabi Alonso oder Luka Modric mal wieder einen Ball abgefangen hatten, lief auch schon der Gegenstoß über Bale, Ronaldo oder di Maria.

"Sie lassen einem beim Kontern immer Platz", erklärte Bale hinterher, "das mögen wir, denn wir sind schnell." Immer wieder war die Bayern-Abwehr überfordert, die Mittelfeldunterstützung blieb aus und wurde erst mit der Hereinnahme von Javi Martinez besser. "Das Spiel war zu offen", klagte Philipp Lahm. Real führte den Münchnern vor, was der Begriff Raumaufteilung bedeutet. Ja fast spielten die "Königlichen" wie der FCB 2012/13: stark bei Standards, effektiv im Abschluss, leidenschaftlich in der Defensive. In ihren K.o.-Spielen der Vorsaison hatten die Bayern im Schnitt weniger als 50 Prozent Ballbesitz.

Guardiolas Philosophie ist nicht am Ende - doch es ging etwas verloren

70 Prozent Ballbesitz, 0 Prozent Tore: Guardiolas Spielphilosophie stieß in diesen Halbfinalduellen dagegen an Grenzen. Ist die Tiki-Taka-Ära also vorüber? Mitnichten. Doch ziemlich genau, seit die Bayern am 25. März die früheste Meisterschaft aller Zeiten eingefahren haben, ist offensichtlich geworden, dass dieser Fußball nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert. Er erfordert Mut und Kreativität im Spiel nach vorne, Disziplin und Hingabe im Spiel nach hinten.

All das war bis zum Frühjahr noch da, all das ist plötzlich verloren gegangen. "Das stimmt", sagte Rummenigge bei "Sky" auf die Frage, ob die Mannschaft seit dem nationalen Titelgewinn spielt, als ob ihr der Stecker gezogen wurde. "Das kann ich bestätigen. Warum, das müssen wir in Ruhe besprechen." Dass Lenker Thiago seit Wochen fehlt, kann nicht der einzige Grund sein.

Pressestimmen

Nicht zu übersehen ist: Die Bayern haben den Spagat zwischen belanglosem Bundesliga-Alltag und entscheidenden Champions-League-Abenden nicht geschafft - womöglich auch, weil gewisse Anzeichen übersehen wurden. Schon im Viertelfinale gegen Manchester United wirkte das Bayern-Spiel verwundbar , das 0:1 in Madrid wurde trotz einer einzigen großen Torchance als Erfolg, das Los Real zuvor insgeheim als Glücksfall bewertet. Erlag man einer falschen Wahrnehmung? Ließ man sich von den Vormonaten blenden? "Märzensonne - kurze Wonne", lautet eine Bauernregel, die zur Bayernregel wurde.

Titelverteidiger? Die Bayern waren verunsichert, ließen sich provozieren

In jedem Fall zeigten die Münchner, dass sie Madrid auch mental nicht gewachsen waren. Manuel Neuer, die Zuverlässigkeit in Person, lud mit verunglückten Befreiungsschlägen Bale und Ronaldo zum Toreschießen ein, Franck Ribery leistete sich ungeahndet eine Tätlichkeit, auch seine Kollegen ließen sich provozieren. Die Bayern traten nicht auf wie eine Mannschaft, die zweimal in Folge im Champions-League-Finale stand.

Wie geht es weiter nach diesem "großen Schlag auf den Kopf für uns" (Ribery), der höchsten Heimniederlage in der Königsklasse überhaupt, der höchsten seit dem 0:4 gegen Arminia Bielefeld 1979? "Wir werden uns jetzt nicht drei Wochen in den Keller sperren", kündigt Müller an, in zweieinhalb Wochen steigt schließlich schon das DFB-Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund. Bis dahin geht es nicht darum, eine Alternative zum Tiki-Taka zu finden. Es geht darum, zu klären, was seit dem 25. März passiert ist.