Bundesliga

Kommentar: Hertha und Dardai - mehr Berliner Weg geht nicht

Kommentar

Hertha und Dardai: Mehr Berliner Weg geht nicht

Übernimmt die Aufgabe mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad: Hertha-Coach Pal Dardai.

Übernimmt die Aufgabe mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad: Hertha-Coach Pal Dardai. imago images/Matthias Koch

Volkan Bulut wich geschickt aus, bannte dadurch die Gefahr und konnte den eigenen Laufweg fortsetzen. Es war einer der wenigen Zweikämpfe, die für Hertha am Wochenende ein eher positives Ende nahmen. Ein ungleiches Duell war es dennoch und zudem keines, aus dem die Berliner sportlichen Mehrwert ziehen konnten: Bulut war dem Auto seines Chefs Sandro Schwarz, der am Samstagvormittag recht rasch aus der Parklücke herausfuhr, um das Olympiapark-Areal zu verlassen, ausgewichen. Eine Karambolage hätte den sportlichen Totalschaden vom Vorabend, als Hertha BSC bei Schalke 04 unter die Räder kam, abgerundet - und zur Berliner Pannen-Saison gepasst.

Immer wenn Antworten verlangt waren, gab diese Mannschaft zuletzt neue Rätsel auf - auch ihrem Trainer übrigens, der wie alle Beobachter sah, dass diese Elf fast im wöchentlichen Wechsel zum aufopferungsvollen Kampf ebenso fähig war wie zur völligen Selbstdemontage. Gegen Wolfsburg (0:5), in Hoffenheim (1:3) und auf Schalke (2:5) spielte sich dieselbe Mannschaft um Kopf und Kragen, die Mönchengladbach (4:1) filetierte und in Freiburg (1:1) zeitweise näher am Sieg war als der starke Gegner.

Diesem Team fehlt es an vielem

Diese Mannschaft kann an guten Tagen viele Kontrahenten ärgern, und an anderen Tagen löst sich ihr Widerstandsgeist schneller auf als eine Brausetablette. Schwarz, dessen fußballerische Idee gerade im Herbst zeitweise gut erkennbar war, hat es nicht geschafft, dem Hertha-Jahrgang 2022/23 seine Launen und den Hang zum Systemabsturz auszutreiben. Konstanz - jedenfalls in Form von Ergebnissen - gab es zu keiner Zeit. Nach dem Sturz ans Tabellenende schwand die Überzeugung der Bosse in den Mann, mit dem sie - endlich - Kontinuität schaffen wollten. Dummerweise haben sie dabei vergessen, ihm einen tauglichen Kader und ein ruhiges Arbeitsumfeld zu bieten.

Diesem Team, das erst mit der Brechstange und den Windhorst-Millionen Richtung nationale Spitze gepusht werden sollte und seit mindestens zwei Jahren sukzessive an Qualität eingebüßt hat, fehlt es an vielem, was über Wohl und Wehe einer Mannschaft entscheidet: Tempo, Temperament, Selbstbewusstsein, Hierarchie - und Qualität. Das Team hinter dem Team wurde über Jahre ebenso aufgebläht wie die Klub-Administration, aber für einen Neuner von Format, einen erstklassigen Innenverteidiger und einen Sechser, der diese immer noch fragile Mannschaft mental und fußballerisch stabilisiert, reichte es weder im vergangenen Sommer noch im Winter.

Der Kader - im Grunde der ganze Klub - ist eine Ruine des Größenwahns

Schwarz war in Berlin Cheftrainer und Mängelverwalter in Personalunion, und dass er nie lamentiert hat - nicht mal in Nebensätzen und Zwischentönen -, spricht für ihn. Man kann handwerklich vieles richtig machen und trotzdem scheitern, dafür steht er exemplarisch. Er hatte am Ende zu wenig Lösungen für Probleme, die vornehmlich andere verursacht haben - in einem Klub, der seit Jahren nur als Schlagzeilen-Lieferant und Geldverbrenner verlässlich abliefert. Herthas Niedergang ist keine Fügung des Schicksals, sondern die Chronik eines angekündigten Versagens. Der aktuelle Kader - im Grunde der ganze Klub - ist eine Ruine des Größenwahns. Auch der Einstieg des neuen Investors 777 Partners - für die Lizenzerteilung existenziell wichtig - ändert nichts an den Sparzwängen für lange Zeit.

Dass die Bosse um Präsident Kay Bernstein, Geschäftsführer Thomas E. Herrich und Sportdirektor Benjamin Weber die Mission Klassenerhalt jetzt Pal Dardai anvertrauen, ist die konsequente Fortsetzung des eingeschlagenen und propagierten Berliner Wegs - und zum Teil auch ein Gebot der Sparsamkeit. Dardai kennt den Klub, die Mannschaft und jeden Grashalm des Trainingsplatzes. Seine einstigen Antipoden auf den Manager-Stühlen, Michael Preetz und Fredi Bobic, sind längst weg. Mit beiden rieb sich Dardai, bei dem die Grenze zwischen Geradlinigkeit und Sturheit bisweilen verschwimmt. Der Ungar, der Hertha schon 2015 als Nachfolger von Jos Luhukay und 2021 als Nachfolger von Bruno Labbadia rettete und beide Male später nicht mehr gut genug für die Bosse war, startet seine dritte Mission als Hertha-Trainer. Es ist - mit Blick auf Platz 18, nur noch sechs verbleibende Spiele und eine Mannschaft, die auf Schalke am Rande des Nervenzusammenbruchs agierte - zweifellos die Aufgabe mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad.

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