Bundesliga

Zum 70. Geburtstag von Paul Breitner: Gnadenlos konsequent

Zum 70. Geburtstag von Paul Breitner

Gnadenlos konsequent

Paul Breitner (#3) jubelt schon, da ist der Ball noch gar nicht drin: Torschütze im WM-Finale 1974.

Paul Breitner (#3) jubelt schon, da ist der Ball noch gar nicht drin: Torschütze im WM-Finale 1974. imago/WEREK

Es ist eine Frage, die in keinem guten Fußball-Quiz fehlen sollte: "Wie heißt der einzige deutsche Fußballer, der in zwei WM-Endspielen jeweils ein Tor erzielte?" Wer sich nicht gut auskennt, der muss überlegen. Weder Helmut Rahn noch Gerd Müller oder Miroslav Klose waren es - Paul Breitner blieb mit seinen Toren 1974 gegen die Niederlande und 1982 gegen Italien dieses Alleinstellungsmerkmal vorbehalten.

Von dem er - natürlich - nichts wissen will. "Vergiss es! Wir haben das WM-Finale 1:3 verloren!" Dieses Tor besitzt für ihn keinen Wert. Immerhin: International schafften lediglich die Brasilianer Vava und Pelé sowie Zinedine Zidane dieses Kunststück. Doch Niederlagen zählen nicht, das ist eine Leitthese des Menschen und Profifußballers Paul Breitner, der am 5. September 70 wird und mitunter immer noch den "Kampfmodus als Lebensform" pflegt, wie ihm der Münchner Historiker Hans Woller bescheinigte.

Meister auch mit Real Madrid

Ein anstrengendes Leben ist das, doch Breitner, der große Polarisierer, will das so, und man kann von ihm halten, was man will: Seine Sprüche untermauerte er durch Leistung. Der 1951 im bayerischen Kolbermoor Geborene ist natürlich Mitglied der "Hall of Fame" des deutschen Fußballs. Weltmeister, Europameister, Europapokalsieger, Meister in Deutschland und Spanien, Pokalsieger dort ebenso. 1980 wählten ihn die Sportjournalisten zum "Fußballer des Jahres". Es gab nicht viele, die erfolgreicher waren als er.

Was ihn von den meisten Kollegen unterscheidet: Breitner stand auf seine ganz bestimmte Art auch als Baumeister des Erfolgs. Er war als 20-Jähriger mehr als nur ein Fußballer, er wollte Strippenzieher sein, seine Sucht nach Siegen stillen, dementsprechend gnadenlos konsequent zeigte er sich bei der Jagd nach Titeln und Trophäen. Das musste später Max Merkel erkennen, dessen Verpflichtung 1979 bei den Bayern scheiterte, weil Breitner - der vorher bereits Trainer Gyula Lorant weggebissen hatte - eine Palastrevolution anzettelte, der in der Folge auch noch der mächtige Präsident Wilhelm Neudecker zum Opfer fiel.

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Dessen Nachfolger Willi O. Hoffmann, ein barocker Lebemann, ließ Breitner ebenso gewähren wie Pal Csernai, der als Nachfolger von Lorant Trainer wurde, dessen Trainingsplan sich allerdings streng nach den Vorgaben Breitners richtete. Gemeinsam mit Karl-Heinz Rummenigge ("Breitnigge") bestimmte der erfolgreiche Rebell fortan das Geschehen auf dem Rasen und in der Kabine, die Geschäfte führte Uli Hoeneß, sein bester Freund seit Jugendtagen.

Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner

Ein Traumduo: Paul Breitner (re.) und Karl-Heinz Rummenigge - zusammen "Breitnigge". imago images/Horstmüller

Er kehrte zurück ins Nationalteam, nach sechs Jahren Pause, und übernahm auch dort die Fackel. Bernd Schuster, der aufstrebende Weltklasse-Spieler, verabschiedete sich mit einem offenen Brief im Spiegel aus dieser Herrschaft. Heute würde diese Causa Social Media zur Explosion bringen. Eine Kostprobe aus Schusters Beitrag im Spiegel vom 14. Juni 1981: "Immer schön dienern, vorm Bundestrainer, vorm Paul Breitner, vorm Kalle Rummenigge, und natürlich immer schön den Ball abgeben, wenn sie rufen, immer schön die Knochen hinhalten, wenn sie selber nach vorn wollen, und immer das Maul halten, wenn sie reden." Was für ein Epos!

Manche führen, manche folgen - Breitner wollte nie folgen, nicht einmal dem besten Leben, das man sich ausmalen kann als Profifußballer. 1974 hatte er die Bayern verlassen in Richtung Real Madrid, stolz, Mitglied dieses Weltvereins zu sein, vielleicht auch müde der ständigen Kämpfe um Anerkennung und Gefolgschaft in der Heimat. Breitner, der sich zu Beginn seiner Karriere als politisch links gerierte und im Bayern des Franz Josef Strauß damit natürlich kolossal aneckte, mutierte nun zum Weltmann, allerdings im goldenen Käfig. Und er tauschte das süße Leben von Madrid nach drei Jahren und wechselte in die am tiefsten vorstellbare Provinz - nach Braunschweig. Eine Saison hielt er Neid und Missgunst dort stand, dann ging er zurück nach München, der Rest ist bekannt.

Beinahe wäre er Bundestrainer geworden

Dem Ende seiner Karriere 1983 folgte ein Dasein als beißender Kritiker, der sich mit allen anlegte, die den Fußball in Deutschland gestalten wollten, fast wäre er 1998 Bundestrainer geworden, der damalige DFB-Chef Egidius Braun rückte in letzter Sekunde von ihm ab. Seine Freundschaft zu Uli Hoeneß ("Ich gehe nicht mehr in die Allianz-Arena, solange Uli lebt!") zerbrach gleich zweimal. Wunden, die ein Freund schlägt, verheilen eben nie. Dass Breitner mit seiner Kritik an der unsäglichen Pressekonferenz der Bayern-Bosse ("Die Würde des Menschen …") richtig lag, darf als gesichert gelten.

Mittlerweile ist es stiller geworden um ihn, dessen soziale Ader wieder stärker pulsiert, seit seine Frau Hilde ihn 2006 zu einer "Münchner Tafel" mitnahm, bei der er sich bis heute um die kümmert, die der Wohlstand links liegen lässt. Die 70 sieht man ihm nicht an, diesem vielschichtigen Charakter, der trotz aller Streitigkeiten auf ein erfülltes Leben zurückschauen darf. Und sicherlich noch einiges zu sagen haben wird.

Frank Lußem

Mal Mao, mal Jägermeister: Paul Breitner wird 70