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Geldgeiler Profi? In diese Schublade passt Antonio Rüdiger nicht

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Geldgeiler Profi? In diese Schublade passt Antonio Rüdiger nicht

Inzwischen hat wohl jeder von ihm gehört: Antonio Rüdiger.

Inzwischen hat wohl jeder von ihm gehört: Antonio Rüdiger. picture alliance

Zurück zu den Wurzeln - und zwar buchstäblich. Das war Antonio Rüdigers Motto in der trainingsfreien Zeit zu Beginn der Woche. Afrika war sein Ziel, aber nicht die gerade in Kamerun laufende Kontinentalmeisterschaft, sondern Sierra Leone. Es ist das Geburtsland seiner Mutter. Sein Vater und Rüdiger selbst sind Berliner. Am Flughafen in Freetown herrschte ein Auflauf und ein Geschrei, um die mancher Popstar den deutschen Nationalspieler beneidet hätte. Auf dem Weg vom Terminal zum Auto, mit dem er abgeholt wurde, konnte er sich gleich noch im Nahkampf üben. Friedlich natürlich, aber es bedurfte dann doch eines gewissen Durchsetzungsvermögens, bis er seine Fans höflich, aber bestimmt abgeschüttelt hatte.

"Ich bin sprachlos, diese Leute sind verrückt", twitterte Rüdiger mit einem Lachtränen-Smiley, um zu unterstreichen, dass er natürlich "verrückt" im positiven Sinne meint. Er wird ihnen auch verziehen haben, dass fast alle dort maskenfrei herumliefen, während er sich mit FFP-2-Maske durch die Menge wühlte.

BRIGHTON, ENGLAND - JANUARY 18: Antonio Rudiger of Chelsea during the Premier League match between Brighton & Hove Albion and Chelsea at American Express Community Stadium on January 18, 2022 in Brighton, England. (Photo by Robin Jones/Getty Images)

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Rüdiger wollte zwar nach eigenen Angaben in Afrika auch "Kraft tanken" für die kommenden stressigen Wochen, doch er nahm auch wichtige Aufgaben wahr: Gründung der Antonio-Rüdiger-Foundation, Besuch beim deutschen Botschafter, Meeting mit Fans. Chelsea-Profis stehen in Afrika hoch im Kurs, nicht zuletzt wegen Didier Drogba und Michael Essien.

Enormer Popularitätsschub seit Roma-Zeiten

Rüdigers Popularität ist ebenso deutlich gestiegen gegenüber seinem letzten Besuch vor fünf Jahren. Damals spielte er noch bei der Roma. Mittlerweile ist er Leistungsträger bei den Blues, Stammkraft in der deutschen Nationalmannschaft, Champions-League-Sieger und Publikumsliebling an der Stamford Bridge.

Wenn die Engländer ein langgezogenes "Rüüüüüü" durchs Stadion schallen lassen, ist natürlich "AR2" gemeint, was eine große Ehre für ihn bedeutet und englisch ausgesprochen übrigens viel cooler klingt als auf Deutsch. Aber das nur nebenbei. 

Schwierige Zeiten unter Frank Lampard

Viel wichtiger: Vor etwas mehr als einem Jahr gab es für "Toni" Rüdiger nicht viel zu lachen. Sein Coach Frank Lampard hatte ihn nicht auf die Bank, sondern zum Teil auch auf die Tribüne verbannt. Das war damals schon schwer nachvollziehbar und ist es heute erst recht, wenn man bedenkt, welche Entwicklung Rüdiger unter Lampards Nachfolger Thomas Tuchel genommen hat, der seit Mittwoch ein Jahr im Amt ist. Jener Tuchel, der Rüdiger im Herbst 2020 noch nach Paris holen wollte, wo er aber dann die Entlassung unter den Weihnachtsbaum gelegt bekam.

Die Phase jedoch, in der Rüdiger nicht spielen durfte, hat ihn tief getroffen. Sportlich, klar, weil er ein Vollblutfußballer ist, der immer kicken will. Vor allem aber menschlich, weil er in seiner Wahrnehmung zu wenig Unterstützung von den Chelsea-Bossen erfuhr, die bereit gewesen wären, ihn bei einem entsprechenden Angebot ziehen zu lassen. Doch Rüdiger wollte sich durchbeißen.

Natürlich will auch Rüdiger mehr verdienen - Topliste an Interessenten

Heute stellen sich die Dinge anders dar: Rüdigers Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Es ist kein Geheimnis, dass er mehr verdienen möchte, deutlich mehr, weil er sich in einer anderen Kategorie sieht. Aber auch nicht so viel mehr, wie bereits kolportiert wurde. In den Sphären eines internationalen Topstürmers wie Romelu Lukaku oder Robert Lewandowski sieht er sich nicht.

Dass Profis, auch Rüdiger, immer mehr Geld bekommen wollen, soll jeder für sich bewerten. Entscheidend ist aber zweierlei: Wie bodenständig ist ein Spieler trotz des Megagehalts? Und was gibt die Branche her? Bei letztgenanntem Punkt sind ja immer mehrere Parteien im Spiel. Rüdigers gehobenes Standing, seine seit einem Jahr im Klub konstant guten Leistungen, die ihn in der kicker-Rangliste zweimal in die internationale Klasse hoben, sind seine Argumente in diesem Poker.

Der Verein muss sich überlegen: Geben wir dem Spieler mehr, oder lassen wir ihn ablösefrei ziehen? Sein Nachfolger, sollte er denn ähnlich gut sein, wird jedoch mutmaßlich nicht weniger fordern und zudem wahrscheinlich noch Ablöse kosten. Wenn Chelsea Rüdiger also ziehen lässt, dann nur um zu demonstrieren, dass man der vermeintlich Stärkere ist.

Der Ex-Stuttgarter indes kann wählen: PSG, ManUnited, Real Madrid und der FC Bayern sind Vereine, die immer wieder auftauchen, wenn es um Rüdigers Zukunft geht. Andererseits fühlt er sich mit seiner kleinen, jungen Familie sehr wohl in London, so etwas wird er auch nicht bedenkenlos aufgeben.

Feines Gespür für die weniger Privilegierten in Pandemie-Zeiten

Geld ist nicht alles. Dass Rüdiger bodenständig ist, beweist er nicht nur durch sein großzügiges Engagement in der Heimat seiner Mutter, wo er Operationen für Kinder finanzierte - sondern auch durch zahlreiche soziale Spenden verschiedener Art: Im September 2020 lieferte er Pizza bundesweit an 13 Krankenhäuser, ebenso für das Personal gedacht wie die Verpflegung, die er drei Monate lang in seinem Geburtsort in der Berliner Charité spendierte. An seinem 28. Geburtstag am 3. März 2021 ließ Rüdiger zudem in einem Londoner Hospital ein riesiges Kuchenbuffet auffahren. Doch er gibt den Leuten nicht nur Essen, sondern, noch wichtiger: Respekt für ihre Arbeit, speziell in der Pandemie. Und so stellte er bereits seinen Instagram-Kanal zur Verfügung, damit die Angestellten dort von ihrem Alltag und ihren Sorgen berichten konnten.

Die Schublade mit dem geldgeilen Profi, der in einer großen Fußballblase lebt, sollte also für Rüdiger niemand öffnen. Er wird nicht hineinpassen.

Nicht nur wegen der Spenden. Rüdiger blickt schon lange über den Tellerrand hinaus, macht sich gegen Rassismus stark. Allerdings sind die Kräfte des Abwehrspielers, der selbst schon Anfeindungen im Stadion und außerhalb erfahren musste, diesbezüglich auch begrenzt. "Die Idioten haben gewonnen", meinte er vor einigen Jahren mal resignierend. Doch natürlich wird er nicht aufhören zu hoffen, dass die große, vernünftige Masse es schafft, dass wenige geistige Tiefflieger nicht mehr Gehör finden mit rassistischen Äußerungen.

Flexibel und gesetzt - auch bei Hansi Flick

Erfreulicher ist für Rüdiger die eigene Entwicklung. In der Bundesliga in Stuttgart nicht wirklich wahrgenommen von einer breiten Öffentlichkeit, zog es ihn nach 66 Einsätzen für die Schwaben nach Italien. In Rom entwickelte er sich vor allem taktisch weiter, wovon er noch heute in Chelseas Dreierabwehrreihe profitiert. Doch er verteidigt nicht nur stark, sondern ist auch ein Schwungrad für Chelseas Offensive. Gerade bei seinen Vorstößen klingt besagtes "Rüüüüüü" an der Bridge.

Rüdiger spielt alle Positionen in der Dreierreihe, aber ebenso beide Innenverteidigerpositionen in der Viererkette. Hier ist er auch in der Nationalmannschaft gesetzt, sowohl bei Hansi Flick als auch bei dessen Vorgänger Joachim Löw. Allerdings erfüllte sich auch bei der vergangenen EM Rüdigers Wunsch nicht. Er hatte gehofft, dass er so gut spielen würde, dass er in der deutschen Öffentlichkeit genauso positiv auffallen würde wie in der Premier League. Doch im DFB-Trikot, das gestand er selbst vor einiger Zeit, konnte er bisher nicht so konstant glänzen.

Die Frage aller Fragen drängt

Dennoch: Er ist ein Innenverteidiger auf internationalem Top-Niveau, die Zahl und die Qualität der an ihm interessierten Vereine beweist dies. Zudem sprechen seine Erfolge mit Chelsea, allen voran der Champions-League-Triumph 2021, für sich. Und bald wird er sicher auch die berühmte Frage beantworten, die schon die britische Rockband The Clash vor vielen Jahren stellte: "Should I stay or should I go now?"                                                                                                                       

Thomas Böker

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