Bundesliga

Hertha-Kommentar: Gegenbauers Rücktritt kommt zu spät

Kommentar

Gegenbauers Rücktritt kommt zu spät

Nicht mehr länger Hertha-Präsident: Werner Gegenbauer.

Nicht mehr länger Hertha-Präsident: Werner Gegenbauer. imago images

Carsten Schmidt klang kühn, und es musste - bitteschön, was denn sonst?! - ein Superlativ sein. "Wir wollen die größte Aufholjagd, die der deutsche und vielleicht der internationale Fußball je erlebt hat, einleiten und zum Erfolg führen", sprach der damalige Hertha-CEO im März 2021. Das klang fast so schön und vollmundig wie Jürgen Klinsmanns Expertise im November 2019. "Hertha", sagte der Berliner Kurzzeit-Aufsichtsrat und spätere Kurzzeit-Trainer, "ist das spannendste Fußball-Projekt Europas." Das war vier Monate nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst, mit dem der Klub zu neuen Ufern aufbrechen wollte.

Viel hat nicht gefehlt, und dieser Klub wäre abgesoffen - und hätte, um in Schmidts Bild zu bleiben, seine Aufholjagd fortan an den eher unglamourösen Standorten Sandhausen, Paderborn und Magdeburg fortsetzen müssen. Die Mannschaft von Felix Magath hat ihre allerletzte Chance beherzt genutzt und am Montagabend in Hamburg den sportlichen Totalschaden verhindert.

Hertha hat sich verschluckt an sich selbst

Daran, dass dieser von Windhorst mit 375 Millionen Euro alimentierte Klub über Jahre ein Lehrstück dafür abgeliefert hat, wie man es sportlich, finanziell, strategisch und kommunikativ genau nicht machen sollte, ändert der Abend von Hamburg nichts. Hertha hat sich verschluckt an sich selbst.

Der Klub war seit Windhorsts Einstieg im Sommer 2019 auf dem Rasen zu keiner Zeit auch nur annähernd so zielstrebig und effektiv wie bei der Kapitalvernichtung. Das größte Einzelinvestment der Bundesliga-Geschichte wäre fast in der Zweitklassigkeit geendet. Der Abgang von Präsident Werner Gegenbauer und die vorzeitige Vertragsauflösung von Finanzchef Ingo Schiller sind Signale, die dem Klub für die Zukunft helfen werden - und die die Chance deutlich erhöhen, dass der Verein, der sich seit Jahren selbst im Weg steht, endlich zur Ruhe kommt.

Im Kerngeschäft Fußball war es mit Herthas Kunst in den vergangenen Jahren nicht weit her, aber im Nebenfach Hauen und Stechen hat es der Klub unbestritten zur nationalen Meisterschaft gebracht. Inhaltsleere Claims ("We try. We fail. We win.") konnten den Mangel an Stringenz und Weitsicht nie verdecken.

Mediation zwischen zwei Alpha-Tieren

Hertha hat sagenhafte 375 Millionen Euro bekommen und versenkt, und falls der Zusammenarbeit mit Investor Windhorst jemals eine Strategie innewohnte, hat der Klub diese Strategie bis jetzt in der Schublade gelassen. Windhorst hat mit öffentlich ausgerufenen, hybrisgeschwängerten Zielstellungen dem Projekt, dem Klub und seinem Investment keinen Gefallen getan, und er hat manche Tranchen später bezahlt als verabredet, aber er hat unterm Strich geliefert.

Thumbnail

Das Millionengrab: Machen 375 Mio. Euro Hertha BSC kaputt?

alle Videos in der Übersicht

Vom Klub lässt sich das nicht sagen. Gegenbauer hat den Mann, ohne dessen üppige Alimentation Hertha in Pandemie-Zeiten zum finanziellen Pflegefall geworden wäre, behandelt, als hätte der goldene Löffel geklaut. Dass Geschäftsführer Fredi Bobic mitten im Abstiegskampf zu Windhorst nach London flog, um die Wogen zu glätten, zeigt, wie viel aus dem Ruder gelaufen ist. Mediation zwischen zwei Alpha-Tieren - das gehörte bei der Unterschrift unter seinen Arbeitsvertrag nachweislich nicht zu Bobics Stellenprofil.

All die hausinternen Eitelkeiten und Eiszeiten haben maßgeblich mit dafür gesorgt, dass Hertha BSC über Jahre wahlweise Schüttelfrost oder Fieber hatte, aber nie gesund wirkte. Diese toxische, lähmende Binnenatmosphäre war eines der Kernprobleme. Gegenbauers Rückzug war überfällig, er kommt zu spät. Der begnadete Strippenzieher hat zuletzt auch intern viele verprellt. Wo Kommunikation nötig gewesen wäre, blockte er ab.

Ohne Vision, ohne Esprit, aber mit einer miserablen Außendarstellung

In den 14 Jahren unter der Ägide des Präsidenten Gegenbauer ist dieser Klub zweimal abgestiegen. Es waren bleierne Jahre: ohne Vision, ohne Esprit, aber mit einem teuren Kostenapparat, vielen Ränkespielen und einer miserablen Außendarstellung. Allerdings: Wer Gegenbauer verdammt, sollte bedenken, dass er in Zeiten, als die Klubkasse noch leerer war als aktuell, mit Spielertransfer-Darlehen Hertha half. Er gab privates Geld, ohne das der Klub seinerzeit die Grenze zur Handlungsunfähigkeit überschritten hätte. Auch das war Gegenbauer.

Der Abend von Hamburg bietet eine Chance, die Demission von Gegenbauer am Tag danach die nächste. Wenn der Hybris jetzt die Katharsis folgt, kann Hertha das Stadium, in dem alle Zustandsbeschreibungen des Klubs stets wie eine Diagnose klingen, womöglich hinter sich lassen. Mit viel frischer Luft, mit neuen Köpfen an der Spitze - und mit den richtigen Lehren nach grotesk verkorksten Jahren und einem Versagen auf allen Ebenen.