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Flicks Erinnerungen an Florenz - Führungsspieler schlagen Alarm

Auftritt im Ukraine-Spiel wirft Fragen auf

Flicks Erinnerungen an Florenz - Führungsspieler schlagen Alarm

Ließ die Dreierkette proben: Bundestrainer Hansi Flick.

Ließ die Dreierkette proben: Bundestrainer Hansi Flick. picture alliance / SVEN SIMON

Hansi Flick war sich der Tragweite des Geschehens und des Echos, das auf dieses nur dem Ergebnis nach gar nicht so alarmierend wirkenden 3:3 gegen die Ukraine folgen würde, sofort bewusst. Denn er selbst richtete in den Katakomben des Bremer Weserstadions - angesprochen auf die vorangegangenen Pfiffe der Fans - den Blick auf den 3. März 2006 in Florenz, als die deutsche Nationalmannschaft drei Monate vor der Heim-Weltmeisterschaft in einem Testspiel gegen Gastgeber Italien mit 1:4 untergegangen war. Jürgen Klinsmann musste danach den geplanten Rückflug in seine kalifornische Wahlheimat verschieben und stattdessen in der Frankfurter DFB-Zentrale zum Rapport erscheinen. Auch über die vorzeitige Abberufung des Teamchefs wurde damals öffentlich diskutiert.

"2006 hat man 1:4 in Italien verloren und es war eine wahnsinnig negative Stimmung", sagte Flick rückblickend. Und fügte fast schon ein bisschen trotzig hinzu: "Trotzdem ist es ein Sommermärchen geworden."

Testspiel in Florenz

Davon scheinen Flick und seine Belegschaft ein Jahr vor der EM im eigenen Land ebenso weit weg wie damals Klinsmanns WM-Kandidaten. Der zusammenhanglose und uninspirierte Auftritt im 1000sten Jubiläums-Länderspiel der Verbandsgeschichte verstärkt vielmehr die Zweifel, ob der Bundestrainer nach dem kläglichen Vorrunden-Aus bei der WM in Katar tatsächlich noch den sportlichen Turnaround schafft. In den März-Länderspielen gegen Peru (2:0) und Belgien (2:3) wollte Flick einige personelle Experimente wagen, von denen sich allerdings einzig die Berufung des Dortmunders Marius Wolf als zielführend erwies.

In Bremen stand nun die Erprobung der Dreierreihe im Blickpunkt, die zunächst einmal krachend gescheitert ist. Flick betonte noch am Abend, dass er auch am Freitag in Polen mit dieser Grundformation antreten will. "Wir haben einen Plan, was das Ganze betrifft. Das werden wir weiterhin durchziehen", betonte er.

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"Wieder ist ein Experiment von Flick krachend gescheitert"

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Rüdiger und Kimmich werden deutlich

Die Führungsspieler zeigen sich alarmiert angesichts des Ist-Zustandes und der ausbleibenden Fortschritte. "Alle Tore haben wir denen geschenkt. Es hat auch was mit Hingabe zu tun. Du musst Zweikämpfe gewinnen", schimpfte Antonio Rüdiger und wiederholte damit eine Kritik, die er auch schon nach dem WM-Scheitern angebracht hatte. Auch Joshua Kimmich vermisst eine Entwicklung. "Der Fußball ist ein Ergebnissport. Und wir müssen es schnellstmöglich schaffen, dass wir die Ergebnisse in den Griff bekommen", forderte er.

Orientierungslos und ohne Überzeugung

Flick wirkt in dieser Testphase, als wenn er selber nicht so genau weiß, wohin er mit seiner Mannschaft eigentlich will. Und diese spielt aktuell auch so, als wisse sie nicht so recht, wie sie eigentlich verteidigen und angreifen soll. Vor allem: Der Mannschaft fehlt ganz augenscheinlich jegliches Selbstvertrauen und jegliche Überzeugung. Die Art, wie die drei Gegentreffer gegen einen nicht mehr als mittelmäßigen Gegner kassiert wurden, war haarsträubend. Immerhin diesbezüglich fand auch Flick deutliche Worte: "Die defensive Leistung war einfach nicht gut genug."

Nicht gut genug war über weite Strecken die Leistung der kompletten Mannschaft, und dies warf in Bremen die Frage auf, unter welchen Gesichtspunkten Flick eigentlich seine Startelf zusammengestellt hatte. Und welche EM-Formation ihm eigentlich vorschwebt. Linksverteidiger David Raum befindet sich in einem seit Monaten anhaltenden Formtief, weshalb er in Leipzig seinen Platz schon seit längerer Zeit an Ex-Nationalspieler Marcel Halstenberg eingebüßt hat. Auch Nico Schlotterbeck und Leroy Sané suchen seit Wochen Form und Rhythmus, trotzdem durften sie auflaufen.

Beharrliches Festhalten an Goretzka ist unverständlich

Besonders unverständlich ist Flicks beharrliches Festhalten an Leon Goretzka als Mittelfeldpartner von Joshua Kimmich, obwohl der Münchner schon seit Monaten auf dem Platz als Schatten seiner selbst agiert. Stattdessen mussten Kai Havertz, Jamal Musiala und Florian Wirtz, die aktuell größten Hoffnungsträger des deutschen Fußballs, allesamt zunächst auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Als Flick am Montagabend darauf angesprochen wurde, begründete er seine Personalwahl mit den Eindrücken, die er in den Trainingseinheiten gewonnen habe. "Was ich im Training sehe, ist auf sehr hohem Niveau", behauptete er. Da diese Übungseinheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, ist eine objektive Überprüfung dieser Aussage nicht möglich - und damit entscheidend, was im Spiel abgeliefert wird. Und das war in Bremen in vielerlei Hinsicht alarmierend defizitär.

Oliver Hartmann

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