Champions League

"Ein Sorry reicht nicht": Wann reagiert Ceferin auf das Chaos von Paris?

Liverpools Fan-Vertreter kritisiert UEFA-Präsident

"Ein Sorry reicht nicht": Wann reagiert Ceferin auf das Chaos von Paris?

Wird von Liverpools bedeutendster Fan-Organisation kritisiert: UEFA-Präsident Aleksander Ceferin.

Wird von Liverpools bedeutendster Fan-Organisation kritisiert: UEFA-Präsident Aleksander Ceferin. IMAGO/Moritz Müller

Von UEFA-Präsident Aleksander Ceferin persönlich war bis dato jedoch noch kein Wort zu hören über die skandalösen Organisationsmängel in Paris. Das kritisiert Joe Blott, der Vorsitzende der bedeutendsten Liverpooler Fanvertretung "Spirit of Shankly" (SOS). Eine Rücktrittsforderung an Ceferin gebe es nicht, sagt Blott, doch im Gespräch mit dem kicker warf der 62-Jährige dem UEFA-Boss Führungsversagen vor. "Von ihm hat es seit Mai vergangenen Jahres keine einzige Stellungnahme gegeben, dabei ist er der Chef des Ganzen." Das bedeute, der UEFA-Präsident verweigere sich der Realität. Und: "Er zeigt damit keine Führung." Echtes "Leadership" sähe anders aus. Ähnlich hatte sich bereits der britische Parlamentsabgeordnete Ian Byrne geäußert.

Der Untersuchungsbericht einer von der UEFA eingesetzten unabhängigen Kommission hatte den europäischen Verband als hauptverantwortlich für das Chaos am Stade de France genannt. Darin wurde auch herausgestrichen, dass es dem besonnenen Verhalten der Fans der Reds zu verdanken sei, dass es keine Toten gab.

Durch die Organisationsmängel hervorgerufenes Gedränge an Einlasskontrollen, ein völlig überzogener Polizeieinsatz mit Tränengas- und Pfefferspray sowie Überfälle lokaler Banden hatten zur Folge, dass mehr als 230 Menschen verletzt und viele weitere durch die Ereignisse vor und nach dem Spiel traumatisiert wurden.

Kurz nach Bekanntwerden des eindeutigen Untersuchungsberichts entschuldigte sich UEFA-Generalsekretär Theodore Theodoridis bei allen Fans, die unter den Umständen in der französischen Hauptstadt gelitten hätten. Kurz darauf folgte die Reaktion der UEFA, die betroffenen Endspielbesucher, die nicht oder nur mit Verspätung ins Stadion gelangten, mit der Rückerstattung des Ticketpreises zu entschädigen. Dabei wurde die Unterstützung von Fan-Organisationen wie SOS bei der Aufklärung des Endspiel-Chaos ausdrücklich gelobt.

Das "Sorry" der UEFA reicht nicht aus - Verband schweigt

Das bisherige "Sorry" der UEFA reiche allerdings nicht aus, klagt Blott. Es dürfe "nicht als Schlusspunkt" durchgehen. Vielmehr fordern SOS und weitere Fan-Initiativen wie Football Supporters Europe (FSE) eine konkretere Entschuldigung. Blott: "Für was genau entschuldigt sich die UEFA? Werden die 21 Punkte, die der Report für die Zukunft als Verbesserungen in der Organisation und für die Sicherheit der Zuschauer fordert, konsequent umgesetzt?" Auch ein klarer Zeitplan dafür werde erwartet. Denn: "Kein sollte erleben müssen, was uns widerfahren ist."

Wird es noch personelle Konsequenzen als Folge der Fehler in der Organisation des Endspiels in Paris geben? Wird sich Präsident Ceferin noch zu dem Chaos und dessen Folgen äußern? Und, wenn ja, wann? Entsprechende Fragen, die der kicker schriftlich stellte nach Bekanntwerden der Entschädigungsregelung, wurden von der UEFA nicht beantwortet.

Champions-League-Finale 2022

Blott betont: "Wir denken, dass sowohl die UEFA als Organisation als auch einzelne Personen zur Rechenschaft gezogen werden und Verantwortung übernehmen müssen. Das bedeutet, sie müssen in den Spiegel schauen und sich fragen: Was habe ich an diesem Tag nicht getan, sodass es fast zu einer Katastrophe gekommen wäre?"

Aus engsten UEFA-Kreisen erfuhr der kicker, dass in der Zentrale in Nyon der Vorwurf des Versagens vor allem auch in einem zentralen Punkt eingesehen wird: Als Projekt-"Owner" hat ihre zuständige Tochtergesellschaft Events SA es versäumt, die im Vorfeld beteiligten Institutionen und Behörden ausreichend zu vernetzen und auch zu überwachen. Mit nahendem Spieltag habe sich dann auch die Pariser Polizei zunehmend beratungsresistent gezeigt.

Opfer als Täter, ein Muster wie bei der Hillsborough-Katstrophe 1989

CEO der UEFA Events SA ist Martin Kallen. Der hat in einer Anhörung des französischen Senats im Sommer 2022 keine vollumfänglich korrekten Angaben gemacht und damit die Lügen des französischen Innenministers Gerald Darmanin sowie von Sportministerin Amelie Oudea-Castera alles andere als dementiert: Sie hatten lange behauptet, vor allem Liverpool-Fans mit zigtausendfach gefälschten Tickets seien für das Chaos verantwortlich gewesen. Dies bedeutete eine Wiederholung des Versuchs, Opfer als Täter darzustellen, wie es nach der Hillsborough-Katstrophe 1989 mit 97 Todesopfern schon einmal geschah, ehe Jahrzehnte später Polizei und Ministerien der Propaganda und Vertuschung entlarvt wurden.

Das wurde und wird in Liverpool als besonders schmerzhaft wahrgenommen. Blott sagte dem kicker, im Unterschied zu damals hätten die Medien sich diesmal nicht belügen lassen. SOS und andere Fangruppierungen hatten umgehend Augenzeugenberichte, Fotos und Videoaufnahmen gesammelt, um das tatsächliche Geschehen dokumentieren zu können.

"Kallen stehe als UEFA-Event-Chef sicher ganz oben auf der Liste der Verantwortlichen", die sich hinterfragen und zur Rechenschaft gezogen werden müssten, sagte Blott.

Real Madrid blieb lange unbeteiligt

Real Madrid hatte erklärt, mit dem Umfang und dem Verfahren der Entschädigungsleistung für betroffene Endspielbesucher nicht einverstanden zu sein und Nachbesserungen verlangt. Die Spanier hatten sich allerdings an der unabhängigen Untersuchung zuvor nicht beteiligt. Das legt die Vermutung nahe, die Königlichen würden ihre Kritik an der von der UEFA vorgesehenen Ticket-Rückerstattung vor allem deshalb äußern, weil Real und speziell ihr Präsident Florentino Perez in Sachen Super League mit dem Verband und dessen Kopf Ceferin über Kreuz liegen.

Augenzeugenberichte und Videos bei Twitter legen nahe, dass es aktuell auch beim Achtelfinal-Rückspiel des FC Porto gegen Inter Mailand am Dienstag organisatorische Probleme gab und Fans mit gültigen Tickets an den Eingängen von Ordnern und Polizisten in gefährliche Enge getrieben wurden und Schwierigkeiten hatten, rechtzeitig auf ihre Plätze zu kommen.

Auch das Europa-League-Finale 2022, das Eintracht Frankfurt gegen Glasgow Rangers in Sevilla gewann, fand unter alles andere als zuschauerfreundlichen Rahmenbedingungen statt. Bei extremer Hitze war die Versorgung mit Wasser und Getränken im Stadion bei weitem nicht ausreichend, sodass es zu zahlreichen medizinischen Notfällen kam.

Blott hofft im Sinne der Fans aller Klubs, dass die Besucher des Endspiels 2023 in Istanbul "wie 50 000 Touristen und nicht wie 50 000 Hooligans" empfangen werden.

Jörg Jakob

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