Bundesliga

Big-City-Crash: Kommentar zum Abstieg von Hertha BSC

Kommentar zum Abstieg von Hertha BSC

Big-City-Crash

Aus der Traum: Hertha BSC stieg am Samstag zum siebten Mal aus der Bundesliga ab.

Aus der Traum: Hertha BSC stieg am Samstag zum siebten Mal aus der Bundesliga ab. imago images

Carsten Schmidt klang kühn, und es musste - bitteschön, was denn sonst?! - ein Superlativ sein. "Wir wollen die größte Aufholjagd, die der deutsche und vielleicht der internationale Fußball je erlebt hat, einleiten und zum Erfolg führen", sprach der damalige Hertha-CEO im März 2021. Das klang fast so schön und vollmundig wie Jürgen Klinsmanns Expertise im November 2019. "Hertha", sagte der Berliner Kurzzeit-Aufsichtsrat und spätere Kurzzeit-Trainer, "ist das spannendste Fußball-Projekt Europas." Das war vier Monate nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst, mit dem der Klub zu neuen Ufern aufbrechen wollte.

Jetzt ist der Verein abgesoffen, auf fast einzigartig spektakuläre und ausgesprochen teure Art. Oder, um in Schmidts Bild zu bleiben: Die Aufholjagd wird fortan noch ein bisschen länger dauern - und sie umfasst, eine Lizenzerteilung vorausgesetzt, in der nächsten Saison die nicht sonderlich glamourösen Stationen Kiel, Magdeburg und Paderborn.

Hertha BSC hat mit sehr viel Geld und an einem attraktiven Standort ein Lehrstück dafür abgeliefert, wie man es sportlich, finanziell, strategisch und kommunikativ genau nicht machen sollte. Dieser Klub, der immer mehr Geld verschlang und niemanden gut aussehen ließ oder gar besser machte, hat sich verschluckt an sich selbst. Er war auf dem Rasen zu keiner Zeit auch nur annähernd so zielstrebig und effektiv wie bei der Kapitalvernichtung. Das größte Einzelinvestment der Bundesliga-Geschichte mit einem Volumen von 374 Millionen Euro endet vorläufig in der Zweitklassigkeit. Das ist die Quittung für vier auf kaum fassbare Weise verkorkste Jahre.

Schief komponierte, intern überschätzte Kader

Diese Mannschaft, die am Samstag mit dem 1:1 gegen den VfL Bochum den siebten Abstieg der Klub-Geschichte perfekt machte, konnte sich nicht um Kopf und Kragen spielen, weil sie keinen Kopf hatte. Und keine Autoritäts-Achse. Und zu wenig Zusammenhalt. Dieser Klub hat seinen Trainern über die Jahre eine Menge zugemutet: mit schief komponierten, intern überschätzten Kadern und nicht enden wollenden Störgeräuschen.

Der Absturz 2023 wertet die Kraftakte, mit denen Bruno Labbadia im Frühjahr 2020, Pal Dardai im Frühjahr 2021 und Felix Magath im Frühjahr 2022 den GAU zunächst abwendeten, im Rückblick zusätzlich auf. Die Reformer Jürgen Klinsmann, Carsten Schmidt und Fredi Bobic wollten diesen lange sehr behäbigen Klub neu ausrichten.

Das war kein falsches Ziel, aber die Route dorthin war ein Irrweg. Klinsmann hätte im Wahnsinns-Transferwinter 2020 am liebsten die komplette deutsche Nationalmannschaft plus Dani Olmo nach Berlin gelotst. Schmidt stieß einen teuren Strukturanalyse- und Strategieprozess mit dem hochtrabenden Namen "Goldelse" an. Der mit wolkigen Worten vorgestellte Plan sah sechs Handlungsfelder und 40 Initiativen vor. Den Fachkräftemangel in der Innenverteidigung und im Angriffszentrum zu beheben, war offensichtlich kein Teil des Programms.

Und Bobic, der schlechtere Bedingungen als versprochen vorfand, brachte eine Crew in Mannschaftsstärke mit, Gefolgsleute mit wohlklingenden Titeln, und wenn man Zeit dafür gehabt hätte, hätte man den von Bobic installierten Verantwortlichen für Spielkonzeption angesichts der dürren Hertha-Auftritte gern gefragt, ob er seinen Job tatsächlich schon begonnen hat. Viele der Altlasten und der Erneuerer sind längst weg in diesem Klub, der sich über Jahre deutlich mehr zugemutet hat, als er aushalten konnte.

In den Kern-Geschäftsfeldern hat Hertha versagt

In den Kern-Geschäftsfeldern Sport und Finanzen hat Hertha versagt: auf der operativen Ebene und in seinen Kontrollinstanzen, die bei diesem Absturz mit Ansage lange Zeit alle Warnhinweise ausblendeten. Im Nebenfach Hauen und Stechen hat es der Klub unbestritten zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Inhaltsleere Claims ("We try. We fail. We win.") konnten den Mangel an Stringenz und Weitsicht nie verdecken.

Hertha hat ab dem Sommer 2019 sagenhafte 374 Millionen Euro bekommen und versenkt, und falls der Zusammenarbeit mit Investor Lars Windhorst jemals eine Strategie innewohnte, hat der Klub diese Strategie dummerweise bis zum Schluss in der Schublade gelassen. Windhorst hat mit öffentlich ausgerufenen, hybrisgeschwängerten Zielstellungen dem Projekt und dem Klub keinen Gefallen getan, er hat manche Tranchen später bezahlt als verabredet und mit einer unappetitlichen Spionage-Affäre den Ruf Herthas als zuverlässiger Schlagzeilen-Lieferant zementiert, aber er hat unterm Strich geliefert.

Vom Klub lässt sich das nicht sagen. Der damalige Präsident Werner Gegenbauer hat den Mann, ohne dessen üppige Alimentierung Hertha in Pandemie-Zeiten zum finanziellen Pflegefall geworden wäre, vom ersten Tag an behandelt, als hätte der goldene Löffel geklaut.

Am Tropf des neuen Investors 777 Partners

Seit März hängt der Klub am Tropf des neuen Investors 777 Partners, der Gesellschaftervertrag wird auf Betreiben der DFL aktuell in Teilen nachverhandelt. Herthas Teilausverkauf, aufgrund der desaströsen Finanzlage alternativlos, ist die nächste Zerreißprobe für den 131 Jahre alten Verein, hinter dem vier grotesk verpfuschte Jahre liegen - Jahre, die gespickt waren mit Eitelkeiten und Eiszeiten, mit Indiskretionen und Intrigen, mit Kaufsucht und Kontrollverlust, mit Geld und Gift.

Dieser Klub hatte abwechselnd Schüttelfrost oder Fieber, aber er wirkte nie gesund in diesem Spannungsfeld aus toxischer Binnenatmosphäre und Schlagzeilendichte. Präsident Kay Bernstein hat schon im Januar bei der Trennung von Bobic den "Berliner Weg" ausgerufen und im März bei der Präsentation des neuen Investors das unselige Label "Big City Club" beerdigt.

Wenn der Hybris jetzt die Katharsis folgt, kann Hertha das Stadium, in dem alle Zustandsbeschreibungen des Klubs stets wie eine Diagnose klangen, womöglich hinter sich lassen. Die aktuellen Rekorde bei den Zuschauer- und Mitgliederzahlen zeigen, welche Kraft dieser Klub immer noch hat. Der "Berliner Weg" klingt sinnstiftend, er darf nur nicht zum Dogma werden. Und die, die ihn propagieren, müssen in der nächsten Zeit zeigen, dass sie das Format haben, ihn auch auszugestalten.

Bobic, Bernstein und Co.: Die wichtigsten Töne der bisherigen Hertha-Saison

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